Münchner Neueste Nachrichten vom 31. Juli 1914:Patriotische Aufwallungen, ernste Gesichter

Auch vom Kriegsschauplatz auf dem Balkan gibt es Neuigkeiten. An der serbisch-bosnischen Grenze soll es zu Gefechten gekommen sein. Die serbische Hauptstadt Belgrad soll von zahlreichen Bomben getroffen, "das Lyzeum, das Grand Hotel, die französisch-serbische Bank, sowie zahlreiche andere Gebäude sollen beschädigt worden sein", heißt es.

In Wien gestaltet sich derweil die Rückkehr von Kaiser Franz Joseph aus Bad Ischl "zu einer einzigartigen, überwältigenden Kundgebung von Herrscher- und Vaterlandsliebe". Der Monarch hatte die Bevölkerung zu Beginn des Kriegs gegen Serbien mit seinem Manifest "An meine Völker!" begeistert. Leise Töne der Sorge um den greisen Monarchen klingen nun in der Zeitung an: "Das Aussehen des Kaisers ist infolge der übermäßigen Arbeit der letzten Tage etwas leidend."

Fatalismus in Paris

In Berlin ist die Stimmung angespannt. "Alles ist von dem Gedanken erfüllt, daß die Entscheidung nicht mehr lange auf sich warten lassen kann", schreiben die Münchner Neuesten Nachrichten. Auf der Prachtallee Unter den Linden und den angrenzenden Straßen habe "gestern Abend bis weit über Mitternacht hinaus ein so gewaltiger Menschenandrang (geherrscht), wie er selten erlebt worden ist". Dabei habe die Stimmung gar nichts Lautes. Reife Männer, Beamte, junge Paare, Studenten und andere seien "still und ernst" nebeneinander hergegangen.

Noch sehr viel bedrückender ist die Situation den Berichten zufolge beim künftigen Kriegsgegner Frankreich. Zwar dementiere die Regierung in Paris Gerüchte von einer Mobilmachung, schreiben die Münchner Neuesten Nachrichten. Trotzdem sei die "Volksstimmung fatalistisch".

Das äußert sich auch in konkreten Handlungen: Es gebe einen Ansturm auf die Banken, einzelne Restaurants und Großgeschäfte nähmen Papiergeld nicht mehr an, Einheimische und Fremde verließen zahlreich die Stadt. Das gelte insbesondere für die Deutschen: "Am Nordbahnhofe war gestern Abend ein solcher Andrang zu dem Köln-Berliner Eilzug, daß er verdoppelt werden mußte."

Aufregung rufen die aktuellen Entwicklungen auch in Marienbad hervor. Der böhmische Kurort erlebt gerade den Höhepunkt der Saison. Anfängliche Sorgen von Hoteliers und Gästen, "daß die zweifellos sehr ernste politische Situation unangenehme Rückwirkungen auf den Fremdenverkehr haben möchte", haben sich jedoch offenbar erst mal beruhigt. Nun sei die ganze mondäne Gesellschaft zuversichtlich, dass die Saison den "erwünscht ruhigen und ungestörten Fortgang" erleben werde. Diese Hoffnungen werden sich allerdings schon bald zerschlagen.

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