Die Nachricht kommt unerwartet. Jürgen Mossack, der Gründer der Kanzlei Mossack Fonseca, der Deutsche im Mittelpunkt der Panama Papers, ist zu einem Treffen bereit. Der in Fürth geborene Anwalt, in Panama tatsächlich "der Deutsche" genannt, wolle sich mit einem Reporter der S üddeutschen Zeitung zum Interview zusammensetzen - mehr als drei Jahre, nachdem dieser Zeitung die 11,5 Millionen Dokumente der Panama Papers zugespielt worden waren, die das Ende für seine Firma bedeuteten. Die SZ hatte die Unterlagen mit dem Internationalen Konsortium für Investigativjournalisten (ICIJ) geteilt, und damit mit 400 Reportern aus mehr als 80 Ländern.
Damals hatte die SZ Mossack zum ersten Mal nach einem Interview gefragt, aber manchmal brauchen die Dinge eben ihre Zeit. Jetzt soll es so weit sein: Jürgen Mossack sei bereit, sich in Panama zu treffen, das ist die Botschaft, die seine Anwältin der SZ übermitteln ließ. Also werden Flüge und Hotels gebucht und Fragen vorbereitet, eine lange Liste - bisher gab es ja kaum Antworten.
Ein einziges Mal nur, im März 2016, hatte sich Jürgen Mossack auf eine Anfrage hin direkt an einen SZ-Reporter gewandt - allerdings nur mit der Beschwerde, für die ihm damals per Brief gestellten Fragen nicht genug Zeit erhalten zu haben. Ohnehin würde kaum etwas von den Vorwürfen stimmen. Also gab man ihm mehr Zeit - und erhielt nie wieder eine Antwort, auch nicht nach der Veröffentlichung der Panama Papers im April 2016.
Seit damals ist eine Menge passiert. Die Kanzlei, die Jürgen Mossack 1977 noch als "Jürgen Mossack Lawfirm" in Panama-Stadt gegründet hatte und die 1986, nach dem Einstieg des panamaischen Anwalts Ramón Fonseca, zu Mossack Fonseca geworden war, hatte damals noch mehr als 600 Angestellte, verteilt auf 48 Büros in fast ebenso vielen Ländern. Mossfon, so kürzte sich die Firma selbst ab.
Nichts davon ist geblieben. Der Mossfon-Kosmos hat sich aufgelöst - von einem Tag auf den anderen wurde 2016 aus einer so gut wie unbekannten Anwaltskanzlei ein Synonym für kriminelle Geschäfte. Zwei Jahre später musste Mossfon die Geschäfte einstellen. Gegen Jürgen Mossack, seine Firma und seine Mitarbeiter laufen Verfahren in zahlreichen Ländern, auch in Deutschland. Jürgen Mossack selbst saß in Panama fast drei Monate in Haft und ist gerade nur auf Kaution frei.
Nun liegen der SZ wieder neue interne Daten von Mossack Fonseca vor, ein zweites und wesentlich kleineres Leak. Es geht um rund 500 Gigabyte an Daten aus der Zeit von März 2016 bis April 2018, also von kurz vor der Veröffentlichung der Panama Papers bis zur endgültigen Geschäftsaufgabe. Wieder sind es Tausende E-Mails und Dokumente, allerdings mit weit weniger Sprengkraft als die ursprünglichen Panama Papers. Sie zeichnen das Bild einer Kanzlei, deren Mitarbeiter verzweifelt versuchen, sich gegen die unabwendbare Katastrophe zu stemmen, sie aber nicht aufhalten können. Nebenbei enthüllt das neue Leak einige letzte Geheimnisse der Firma und ihrer prominenten Kunden, vor allem aber, wie regelmäßig und routiniert die Kanzlei gegen Anti-Geldwäsche-Richtlinien verstieß. Damit bestätigt das neue Leak die zentrale Erkenntnis des alten.
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Die neuen Unterlagen bilden erste Anzeichen der Katastrophe ab, die Anfang April 2016 über Mossack Fonseca hereinbrechen sollte. In E-Mails beschweren sich wütende Geschäftspartner bei der panamaischen Kanzlei, nachdem sie von Journalisten des ICIJ auf geheime Briefkastenfirmen und Dokumente angesprochen worden waren. Dies sei die Zeit gewesen, so hat es Jürgen Mossack später dem US-Sender CNBC erzählt, als man mitbekommen habe, dass etwas nicht stimmte. Die Journalisten hatten offensichtlich eine Menge Informationen, die nur auf den gesicherten Servern von Mossack Fonseca lagern sollten. Eigentlich.
Daten von Mossack Fonseca sind in Händen von Journalisten
Es hatte schon andere Hinweise auf eine undichte Stelle gegeben, als nämlich die mittlerweile ermordete maltesische Enthüllungsjournalistin Daphne Caruana Galizia über geheime Firmen und Trusts des damaligen Energieministers und des Stabschefs des Premierministers berichtete - für beide hatte Mossack Fonseca die Firmen gegründet. Und sie sollten geheim sein. Eigentlich.
In Wahrheit ist jedes "eigentlich" zu dieser Zeit längst pulverisiert. Ein Großteil dessen, was Mossack Fonseca auf seinen Servern gespeichert hatte, ist nicht mehr geheim, sondern in den Händen von Journalisten, die zum Teil schon ein Jahr lang daran arbeiten. Die Recherchen haben gezeigt, dass Mossack Fonseca nicht nur Premierministern und Diktatoren geholfen hat, ihr Geld zu verstecken, sondern auch Drogenkartellen, Mafia-Clans, Betrügern, Waffendealern und Regimen wie Nordkorea oder Iran.
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Genau darüber will man natürlich mit Jürgen Mossack sprechen, der ja immer behauptet hatte, gegen keinerlei Gesetze verstoßen zu haben. Aber einige Tage vor dem geplanten Treffen scheint sich Mossack, Sohn eines Waffen-SS-Mannes und späteren CIA-Zuarbeiters, der Anfang der 1960er nach Panama ausgewandert war, plötzlich nicht mehr so sicher zu sein, ob er tatsächlich reden möchte. Es geht wieder und wieder hin und her, seine Anwältin will wissen, ob er die Fragen vorab lesen kann? Wie viele es sein werden? Ob es ein arg konfrontatives Interview werde?
Und plötzlich weiß niemand mehr: Kommt er? Kommt er nicht? Wird er über alles reden - oder nur eine Verlautbarung verlesen?
Offizielle Stellungnahmen seiner Kanzlei gibt es längst, die Botschaft ist immer die gleiche: Mossack Fonseca hat immer alle Gesetze befolgt und sich nichts vorzuwerfen. Mossack Fonseca stehe an der Seite seiner Mitarbeiter - und seine Mitarbeiter an der Seite von Mossack Fonseca.
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Die meisten dieser Mitarbeiter ahnen wahrscheinlich am 3. März 2016 erstmals, dass irgendetwas ganz furchtbar schiefläuft in der Kanzlei: Per Rundmail kündigt Mossfon neue Sicherheitsregeln an, die mindestens seltsam anmuten. Alle Mitarbeiter müssen die Passwörter für ihre E-Mail-Konten sowie für das Mossfon-eigene Datensystem ändern. Das könnte man noch abhaken als Standard-Maßnahme, aber zugleich ist es mit sofortiger Wirkung verboten, E-Mails an große öffentliche Anbieter wie Gmail, Yahoo und Hotmail zu schicken. Das würde kaum eine Firma anordnen, wenn keine konkrete Bedrohung vorliegt. Gleichzeitig wird ein neuer verantwortlicher IT-Mitarbeiter für Datensicherheit ernannt, der nun "Weltklasse-Praktiken" bei Mossfon implementieren soll.
Journalisten, die Fragen stellen? "Dringend" verhören, fordert Mossack Fonseca
Was auch immer Mossack Fonsecas Führungsteam befürchtet oder vermutet hatte, am nächsten Tag wird daraus Gewissheit: Am 4. März schickt das ICIJ eine E-Mail an die Kanzlei und ihre beiden Gründer Jürgen Mossack und Ramón Fonseca persönlich und stellt 16 eher grundsätzliche Fragen, also etwa: Half Mossack Fonseca jemals, Geld zu waschen? Half Mossack Fonseca jemals Steuern zu hinterziehen? Half Mossack Fonseca Sanktionen zu brechen? 16 Fragen zu den 16 wichtigsten Vorwürfen, die sich aus den Dokumenten der Panama Papers klar ergeben.
Dazu informiert das ICIJ die Kanzlei Mossack Fonseca darüber, dass das Journalistenkonsortium, die SZ und weitere Partner gerade eine "ausführliche Recherche" durchführten, die unter anderem auf Dokumenten über "Tausende von Offshore-Firmen" basierte, die von Mossack Fonseca gegründet worden waren.
Spätestens jetzt müssen bei Mossfon alle Warnlichter rot geleuchtet haben.
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Aus den neu geleakten Daten geht hervor, wie die Kanzlei versucht, weiteren Schaden abzuwehren. Offenbar ist die Angst groß, dass über die Smartphones der Mossfon-Mitarbeiter Daten verloren gegangen sind, denn erst wird allen im Büro in Panama, wenig später auch allen Mitarbeitern in den Außenbüros verboten, auf Handys E-Mails zu empfangen. Am selben Tag ergeht, wieder per E-Mail, eine weitere als "wichtig" markierte Order: Vom heutigen Tage an nehme man keine "politisch exponierten Personen" mehr als Kunden an, also etwa Diktatorensöhne, Premierminister oder kremlnahe Oligarchen. Das gilt zwar nur für Neukunden und nicht etwa für Hunderte politisch exponierte Personen, die bereits die Dienste von Mossack Fonseca nutzen; dennoch ist die Kanzlei offenbar hochgradig nervös.
Wenige Tage später informiert Mossack Fonseca seine Mitarbeiter, dass bis auf Weiteres keine E-Mails mehr an Empfänger außerhalb des eigenen Servers versandt werden können. Die Firma ist - jedenfalls was E-Mails angeht - vorübergehend abgeschnitten von der Außenwelt.
An die Türen des Mossfon-Hauptquartiers, eines verglasten, dreistöckigen Gebäudes, das neben den futuristischen Wolkenkratzern des Finanzdistrikts von Panama-Stadt wie übrig geblieben wirkt, klopft dann aber doch genau diese, also: die Außenwelt, und zwar in Person von mehreren Investigativjournalisten aus dem ICIJ-Team, samt zugehörigen Kamerateams. Obwohl wenige Tage vorher eine neue Richtlinie verteilt worden war, die den Umgang mit Journalisten vorsorglich erklärte - bemerkenswertes Detail: der Elektroschocker soll nur im Falle aggressiven Verhaltens eingesetzt werden -, weiß Mossfon nicht so recht, wie man auf die Besucher reagieren soll. Die Richtlinie klärt nicht, was zu tun ist, wenn die Besucher freundlich und stoisch vor der Tür stehen bleiben und filmen. Der Wachmann ist nervös, ein Mitarbeiter teilt irgendwann einen Zettel aus, auf dem die Kanzlei bestreitet, illegal gehandelt zu haben. Aber die Journalisten gehen nicht.
Eine halbe Stunde später kommt der Pressesprecher herunter. Er sagt nicht viel mehr. Ein paar der Journalisten geben ihre Visitenkarten ab - falls jemand von Mossfon doch reden möchte.
Noch am selben Tag, am 10. März 2016, stellt ein Anwalt von Mossack Fonseca Strafanzeige, sie ist in den neuen Daten zu finden. In dem Schreiben an den panamaischen Generalstaatsanwalt heißt es, man habe am Vortag bemerkt, dass interne Daten kopiert worden seien. Nun fordert Mossack Fonseca Ermittlungen gegen alle Personen, die an dieser angeblichen Straftat beteiligt gewesen seien. Außerdem fordert Mossack Fonseca den Staatsanwalt auf, "dringend", sechs namentlich genannte Journalistinnen und Journalisten aus Frankreich, Dänemark, Australien, den USA und Deutschland zu vernehmen, die im Hilton-Hotel in Panama-Stadt abgestiegen seien. Das sind jene Journalisten, die kurz zuvor versucht hatten, mit der Kanzlei ins Gespräch zu kommen - und ihre Namen am Empfang hinterlassen hatten. Sie bleiben allerdings unbehelligt.
Dann passiert nicht mehr viel, bis gut drei Wochen später, am Abend des 3. April, um 20 Uhr deutscher Zeit, die Wellen über der Kanzlei zusammenschlagen. Tagelang dominieren die Panama Papers die Nachrichtenlage, Barack Obama und Wladimir Putin nehmen Stellung, außerdem Sprecher der UN, der OECD, der EU, des Vatikan. Es gibt Massendemonstrationen in mehreren Ländern, der isländische Premierminister tritt zurück, der Fußballverband Uefa wird durchsucht, eine Panama-Papers-Story jagt die nächste. Am Ende werden weltweit mehr als 5000 einzelne Geschichten aus dem Leak hervorgegangen sein. 5000 Geschichten, in denen wieder und wieder und wieder Mossack Fonseca erwähnt werden wird.
Das Scheinwerferlicht der Weltöffentlichkeit leuchtet grell in das Mossfon-Hauptquartier, wo eine neue Zeitrechnung beginnt: die Zeit nach dem Leak.
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Die erste Frage an Jürgen Mossack hätte gelautet: "Wie geht es Ihnen?" Aber das Treffen in Panama-Stadt findet nicht im Mossfon-Hauptquartier statt, sondern rund drei Kilometer weiter im Edison Corporate Center. Aus einem euphorischen "Si claro" wird am Telefon ein "No". Und so sitzt auf der anderen Seite des Tisches auch nicht Jürgen Mossack, sondern Guillermina McDonald. Seine Anwältin.
"Tut mir leid, ich bin nicht Jürgen, aber fast so etwas wie seine Mama", sagt sie, eine fröhliche Frau mit einer Stimme, die noch Stunden später in den Ohren hallt. McDonald war 17 Jahre lang Staatsanwältin, inzwischen hat sie sich einen Namen als Strafverteidigerin für die besonders harten Fälle gemacht. Sie betreut Jürgen Mossack und Ramón Fonseca, aber beispielsweise auch die Söhne Ricardo Martinellis, des wegen Korruption verhafteten ehemaligen Staatspräsidenten Panamas.
McDonald weiß, was sie tut und was sie will - und jetzt will sie Jürgen Mossack und die Presse zusammenbringen. Mossack - ausdrücklich nicht Fonseca. Der - jedenfalls vor dem Leak - landesweit bekannte Autor und einflussreiche Politiker rede ohnehin mit allen und jedem, und zwar zu viel. "Fonseca ist ein Schriftsteller, ein Bohemien. Er sagt manchmal Dinge, die er später bereut, ich muss ihn ein bisschen ausbremsen."
Jürgen Mossack, "der Deutsche", ist da offenbar anders, kontrollierter, vorsichtiger, irgendwie deutscher, vermutlich. Wenn es nach seiner Anwältin geht, soll er nun seine Version der Dinge darlegen. Die dürfte ungefähr dem entsprechen, was Mossack in einer ganzseitigen Anzeige verlautbaren ließ, die er vor einigen Tagen in Panamas ältester Tageszeitung La Estrella de Panamá veröffentlichen ließ: Die Kanzlei sei "nie in unrechtmäßige Handlungen" verstrickt gewesen, die Ermittlungen seien Schikane, Erniedrigung, gar psychologische Folter. Ähnliches würde er wohl auch im Interview erzählen.
Aber Jürgen Mossack will nun nicht mehr reden. Oder vielleicht doch? Die Anwältin sagt nicht endgültig ab, es bleibt unklar, "er ist ein scheuer Mensch", sagt sie. Aber fürs Erste, meint McDonald, könne sie so gut wie alle Fragen an ihren Mandanten beantworten. Sie wartet, bis der Kaffee serviert worden ist, um dann mit aufrichtig wirkender Freundlichkeit zu fragen: "Wie kann ich helfen?"
Die beste Antwort wäre natürlich: Schaffen Sie Jürgen Mossack hierher. Stattdessen bleibt man beim vorbereiteten Plan und fragt: Wie geht es Jürgen Mossack?
"Er fühlt sich sehr schlecht", sagt Guillermina McDonald, "der Skandal der Panama Papers hat ihn hart getroffen."
Im Laufe des Gesprächs wird schnell klar: Wann immer McDonald von dem Skandal der Panama Papers spricht, meint sie nicht die illegalen Machenschaften von Mossfon-Kunden, sie meint die Veröffentlichung selbst. Bei den Panama Papers handelt es sich ihrer Ansicht nach nicht um investigativen Journalismus, sondern um Datendiebstahl, also ein Verbrechen. Und ihr Klient Jürgen Mossack ist dementsprechend nicht Täter, sondern Opfer - genau wie seine Familie: "Zu diesem Skandal gibt es immer noch keinen Richterspruch. Aber er hat bereits bewirkt, dass sich einige der Kinder von Jürgen Mossack, die ebenfalls Anwälte sind, große Sorgen machen und Angst haben. Sie fühlen sich mit diesem Nachnamen in der Branche stigmatisiert."
Man könnte es natürlich auch so sehen, dass die Kinder das Stigma in Wahrheit ihrem Vater verdanken, und nicht etwa den Journalisten - aber derartige Gedanken haben im Schwarz und Weiß der Anwältin keinen Platz. Sie kritisiert die panamaische Regierung, spricht von einem Angriff "von außen" und beklagt, dass Mossack Fonseca zum Sündenbock gemacht worden sei für etwas, das ganz normales Geschäft gewesen sei in Panama. Die Panama Papers seien, etwas verkürzt, eine schreiende Ungerechtigkeit.
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Die Existenzkrise beginnt für Mossack Fonseca schon, bevor die Panama Papers überhaupt veröffentlicht werden. Durch die Anfragen des ICIJ und der anderen SZ-Partner gewarnt, entwickelt Mossfon eine Medien-Strategie, wohl gemeinsam mit einer Firma für Krisen-PR. Die Mitarbeiter bekommen sogar einen Ansprechpartner für "besondere Situationen" mit Medien: das "Krisen-Komitee".
Gleichzeitig melden Mossfon-Angestellte den zuständigen Behörden verschiedener Länder hektisch angeblich "verdächtige Aktivitäten" ihrer Kunden - nach denen zuvor Journalisten gefragt haben. Das ist in etwa so überzeugend wie ein Hehler, der von einer geplanten Razzia bei ihm erfährt und noch schnell seine Kumpanen anschwärzt: alles Diebe, überall!
Die auf einmal so verdächtigen Aktivitäten waren Mossack Fonseca oft ja schon seit Jahren bekannt - und egal. Aber jetzt, wo man auf einmal im Fokus der Öffentlichkeit steht, spielt man lieber doch nach den Regeln. Es werden also Meldungen zu Sergej Roldugin verfasst, dem Cello spielenden besten Freund des russischen Präsidenten Wladimir Putin, oder zu dem höchst umstrittenen israelischen Diamantenhändler Beny Steinmetz, zum Vater des früheren britischen Premiers David Cameron, zu einer Firma des früheren Uefa-Präsidenten Michel Platini. Einige waren schon seit Jahren Kunden.
Dann gehen die ersten Artikel der Panama Papers online - und bei Mossack Fonseca bricht Chaos aus, wie die neuen Dokumente eindruckvoll belegen. Unvorstellbares Chaos. Journalisten aus aller Welt, Ermittler aus sehr vielen Ländern, Kunden von überallher, ihre Banken, Anwälte und Vermittler, sie alle wollen, alarmiert von Artikeln, Fernsehsendungen und Radiobeiträgen, Antworten. Am liebsten sofort.
Schon die Ermittler stellen Mossack Fonseca vor eine schier unlösbare Aufgabe. Durch die weltweite Berichterstattung kommen Anfragen von überall, inzwischen laufen in rund 80 Ländern weltweit Ermittlungen. Allein die Unidad de Análisis Financiera, Panamas Anti-Geldwäscheeinheit, wendet sich bis Ende 2017 mehr als 300 Mal an Mossfon. Gefragt wird fast immer nach Informationen über die wahren Eigentümer von Offshorefirmen. Jede einzelne Anfrage kostet Tage, wie soll Mossfon da hinterherkommen?
Aber nicht alle Ermittler sind geduldig. Bald schon werden die ersten Mossfon-Büros durchsucht, erst in Peru und in Ecuador, dann das Hauptquartier in Panama - ganze 27 Stunden bleiben die Ermittler.
Abgesehen von der Zeitproblematik gibt es noch einen weiteren Grund, warum viele Anfragen ohne echte Antworten bleiben: Mossack Fonseca hat selbst keine Ahnung. Laut internen Unterlagen weiß das Mossfon-Büro auf den Britischen Jungferninseln damals bei mehr als 70 Prozent der dort gegründeten und noch aktiven Offshore-Firmen nicht, wer dahinter steht. Bei den von Mossfon in Panama und auf den Seychellen gegründeten Briefkastenfirmen sind die Eigentümer gar in 75 Prozent der Fälle unbekannt - obwohl es inzwischen für jeden Offshore-Provider Vorschrift ist, diese grundlegenden Informationen vorrätig zu haben. Die Zahlen sind ein Desaster, und so sieht man das auch intern: Es sei "beschämend", schreibt eine Mitarbeiterin an ihre Kollegen.
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Interessanterweise hatte Jürgen Mossacks Anwältin in dem Gespräch mit der SZ behauptet, Mossfon habe immer gewusst - "siempre!" -, wem jede einzelne Briefkastenfirma gehört.
Es ist ja auch vertrackt: Jahrzehntelang bestand das Tagesgeschäft darin, Briefkastenfirmen zu gründen, Scheindirektoren einzusetzen und Trusts, Gesellschaften oder Stiftungen so lange zu verschachteln und auf Steueroasen zu verteilen, bis garantiert kein Fahnder mehr durchblicken konnte. Auf der internen Prioritätenliste stand Verschleierung sehr weit oben - die Einhaltung internationaler Anti-Geldwäscherichtlinien eher weniger.
Seit den Panama Papers findet sich auf der aktuellen Prioritätenliste ein neues Ziel ganz oben. Es heißt: überleben.
Dafür muss Mossack Fonseca ab sofort alles anders machen, daher startet die Kanzlei das "Projekt Panama". Ziel ist, alle Eigentümer von Panama-Firmen zu identifizieren. Ähnliche Vorhaben werden in weiteren Steueroasen gestartet, in denen Mossack Fonseca aktiv war. Allerdings hat Mossfon nicht mit dem Widerstand der Kunden gerechnet. Viele Kunden finden die Idee absurd, nach dem Leak ihre sensibelsten Daten ausgerechnet Mossack Fonseca anzuvertrauen, ausgerechnet jetzt. Als ob nichts gewesen wäre.
In ungezählten Antworten an Kunden und Vermittler entschuldigen sich Mossfon-Mitarbeiter für die entstandenen Probleme und erlassen Gebühren, die Kanzlei mutiert zu einem einzigen Entschuldigungsautomaten. Doch das hilft kaum. Die meisten Mandanten haben nur einen Wunsch: so schnell wie irgendwie möglich wegkommen von dieser Firma, die inzwischen weltweit als Symbol einer kriminellen Parallelwelt gilt.
Die Anwälte von Fußballstar Lionel Messi beteuern, seine Firma sei "total inaktiv". Aber warum gibt es dann Aktivitäten?
Der Abschied ist meist wütend, das Ganze sei doch eine "Mickey-Mouse-Operation", schreibt einer. Man solle aufhören, nach Informationen zu fragen, Mossfon müsse doch nur auf der Homepage des ICIJ nachschauen, dort könne man es nachlesen - und alle Regierungen leider auch, beschwert sich ein anderer. Viele berichten von Ermittlungen gegen sich und von lästigen Journalisten, ein weiterer schreibt erkennbar aufgebracht, "wegen Mossack müssen Kunden jetzt Einkommensteuern bezahlen".
Auch die Vertreter der prominentesten Kunden sind aufgebracht. Anwälte des Fußballstars Lionel Messi - der inzwischen wegen Steuerbetrugs verurteilt wurde - beklagen, ihrem Kunden sei ein "irreparabler Schaden" entstanden. Die neuen Daten zeigen nun, dass Messis Firma offenbar im Mai 2016 noch genutzt wurde und ein paar Monate später zu einem neuen Dienstleister transferiert werden sollte, obwohl die Anwälte des Fußballers zuvor noch beteuert hatten, die Firma sei "total inaktiv". Warum soll sie dann weiterverschoben werden, wenn man sie angeblich nicht mehr nutzen will? Auf Anfrage des ICIJ antwortet ein Anwalt Messis eher allgemein: Die Firma sei nicht mehr in Gebrauch, die Familie habe außerdem ihre Steuerstreitigkeiten mit dem spanischen Staat längst geregelt.
Am Ende ist auch der Firmenname selbst eines der Probleme, vor denen Mossack Fonseca steht. Der Name ist Gift für jede Art von Zukunft. Banken weigern sich, Geld auf Mossfon-Konten zu überweisen, erzählt ein Mitarbeiter einem Kunden, daher halte man keine Konten mehr im Namen der Firma. Stattdessen beauftragt Mossfon eine Drittfirma, an die ihre Kunden fälliges Geld überweisen sollen.
Aber das Geschäft soll ja weitergehen, in einem seiner raren Interviews direkt nach der Veröffentlichung der Panama Papers sagt Jürgen Mossack trotzig, man werde jetzt nicht damit anfangen, Bananen zu verkaufen. Also werden Filialen umbenannt, aus Mossack Fonseca Samoa wird Central Corporate Services Limited, aus Mossack Fonseca British Anguilla wird Blue Icon Corporate Services Corp. und Mossack Fonseca Seychelles heißt fortan Aldabra Consulting Services. Die Mitarbeiter bleiben, oft sogar die Mossfon-E-Mail-Adressen.
In anderen Regionen übernehmen neu gegründete Firmen die bisherigen Mossfon-Kunden - auch hier meist mit demselben Personal. Unklar ist, ob diese angeblich unabhängigen Firmen noch zu Mossack Fonseca gehören, oder ob es unabhängige Ausgründungen ehemaliger Angestellter sind. Aber die Tatsache, dass drei angeblich unabhängig operierende Nachfolgefirmen vollkommen unabhängig voneinander das identische Logo gewählt haben sollen - nämlich die griechische Sagengestalt Pegasus -, macht zumindest stutzig.
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Auf Anfrage der SZ antworten die neuen Firmen nicht, oder aber sie versichern, tatsächlich unabhängig zu handeln.
Wie auch immer - Mossack Fonseca lässt sich nicht mehr retten. Ein Büro nach dem anderen schließt seine Tore, alle ehemals 48 Mossfon-Außenstellen. Im März 2018 teilt auch das Hauptquartier in Panama mit, seine Geschäfte einzustellen. Durch "die Zerstörung ihrer Reputation" sei ein Weitermachen unmöglich. Einige wenige Angestellte würden noch Anfragen von Behörden beantworten. Die Firma werde weiter "für Gerechtigkeit kämpfen".
Einen ganz ähnlichen Anspruch auf Gerechtigkeit erheben auch etliche Staatsanwaltschaften, darunter die in Panama. Auf ihr Geheiß wurden Jürgen Mossack und Ramón Fonseca im Februar 2017 festgenommen, weil Mossfon eine "kriminelle Organisation" sei. Beide kamen später gegen Kaution frei. Nach einer neuen Verhaftungswelle sind derzeit, laut den panamaischen Behörden, sieben Mossfon-Mitarbeiter in Untersuchungshaft, 71 Personen werden verschiedener Delikte beschuldigt.
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Die Firma wird bald Geschichte sein. Wer heute das Glasgebäude besucht, in dem sich die Kanzlei zu besseren Zeiten über drei Stockwerke ausbreitete, findet viel Leere. Das große Schild vor dem Glasgebäude steht nicht mehr. Wo vor zwei Jahren die Wachmänner noch den Auftrag hatten, Journalisten fernzuhalten, können diese heute einfach ins Treppenhaus gehen, vorbei an der ehemaligen Sicherheitsschleuse und dem Anmelde-Desk. Auch im Erdgeschoss und im ersten Stock sind alle Mossfon-Schilder abmontiert.
Im zweiten Stock schieben ein Frau und ein Mann gerade ein paar Schreibtischstühle in den Aufzug. Die letzten Reste des ehemaligen Branchenführers der globalen Schattenwirtschaft, das letzte Inventar. Auf E-Mails der SZ antwortet Mossack Fonseca längst nicht mehr. Alle Fragen zu diesem Text, die auch an Mossacks Anwältin Guillermina McDonald gegeben wurden, bleiben unbeantwortet.
Am Ende des Treffens hatte McDonald zwar wieder einen Besuch bei ihrem Klienten in Aussicht gestellt, wenn er sich überzeugen lasse. Aber es kommt nur die Nachricht: "Es wird kein Gespräch geben."
Mitarbeit: Ben Hallman, Sol Lauría, Will Fitzgibbon