Indien:Der Premier bittet die Bauern um Verzeihung

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Jubelnde Bauern nach der Rede des indischen Premiers Modi. (Foto: Xavier Galiana/AFP)

Länger als ein Jahr haben Indiens Bauern vor den Toren Delhis gegen eine Agrarreform protestiert. Es gab Straßenschlachten und Tote. Nun ist Regierungschef Narendra Modi überraschend eingeknickt und nimmt die umstrittenen Gesetze zurück. Warum?

Von David Pfeifer, Bangkok

Es war eine Überraschung, fast so groß, als hätte er seine eigene Reinkarnation angekündigt, als Premierminister Narendra Modi von der regierenden Bharatiya Janata Party (BJP) sich am Freitag in seiner Rede an die protestierenden Bauern wandte: "Ich appelliere an Sie, auf Ihre Höfe und zu Ihren Familien zurückzukehren. Lasst uns einen Neuanfang machen."

Über ein Jahr haben die Bauern nun demonstriert, zuerst in ihren Bundesstaaten, dann in immer wütenderen Protesten in der Hauptstadt. Schließlich wurden sie von der Polizei aus Delhi vertrieben und richteten Camps an vier Zufahrtsstraßen ein. Es kam zu Verletzungen und Verletzten, sogar Toten. Mehr als 600 Bauern sollen in diesem Jahr in den Camps gestorben sein.

Zuletzt waren bei einer Demonstration in Uttar Pradesh bei einem Autounfall neun Menschen umgekommen, vier Bauern, drei BJP-Mitarbeiter, der Fahrer und ein Journalist. Der Fall wird noch immer untersucht. Einfach wird es also nicht werden mit einem Neuanfang.

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Seit einem Jahr demonstrieren die indischen Bauern gegen die Regierung - es gab Blockaden, Straßenschlachten und Tote. Nun fahren sie eine Rekordernte ein und müssen sich zwischen Protestcamp und Bauernhof aufteilen. Aufgeben wollen sie aber nicht.

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Im Januar hatte das oberste Gericht in Delhi einen Gesprächstermin zwischen der Regierung und den Bauernvertretern anberaumt, er verlief ergebnislos. Die Bauern beharrten auf ihrer Forderung, die Gesetze zurückzunehmen, und einen "Minimum Support Price" zu garantieren, einen Mindestpreis, zu dem ihnen ihre Erzeugnisse abgekauft werden. Die Regierungsseite hielt an ihren autokratisch ersonnenen und durchgedrückten Gesetzen fest, auch nachdem das Gericht sie schon außer Kraft gesetzt hatte.

Seltene Solidarität zwischen Landwirten aller Religionen

In seiner Rede kündigte Premierminister Modi nun an, dass die Regierung die drei Landwirtschaftsgesetze aufheben werde, noch in der Wintersitzung des Parlaments, bis zum Ende des Monats.

Das vergangene Jahr brachte eine Rekord-Ernte, die Bauern müssen seit ein paar Wochen zwischen den Camps und ihren Höfen pendeln. Einer der wohlhabenden Sikh-Bauern aus dem Punjab antwortete noch im Spätsommer auf die Frage, wie lange sich die Blockade auf diese Weise aufrechterhalten ließe: "Ewig." Hinter ihm hing ein Schild mit der Mahnung: "Es geht nicht um Hindus gegen Sikhs, oder Sikhs gegen Indien - es geht um Bauern gegen die Landwirtschaftsgesetze!"

In seltener Solidarität hatten sich die vielen Millionen Landwirte jeder Religion gegen die Regierung verbündet. Rakesh Tikait, 51, Sprecher von 40 Millionen Bauern alleine aus dem bevölkerungsreichsten Bundesland Uttar Pradesh, hatte im Gespräch mit der SZ angekündigt: "Wir warten ab, wer sich als zweitstärkste Kraft hinter der BJP etabliert, und wählen diese Partei dann geschlossen." Sowohl im Punjab wie auch in Uttar Pradesh wird 2022 gewählt.

Beobachter vermuten, dass dies der Hintergrund ist, warum Modi und die BJP nun einlenken. "Ich bitte die Menschen um Verzeihung und stelle mit reinem Herzen fest, dass vielleicht etwas Buße bei uns gefehlt hat", sagte der Premierminister in seiner Rede. Die Regierung habe die drei Agrargesetze mit reinen Absichten eingeführt, könne aber einigen Landwirten deren Bedeutung nicht erklären.

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Modi erklärte außerdem, dass einige Bauernverbände die Gesetze begrüßt und unterstützt hätten. "Ich bin ihnen allen sehr dankbar, und ich danke ihnen." Auch der indische Agrarökonom Devinder Sharma sagt, dass die Landwirtschaft dringend reformiert werden müsse. "Bauern verdienen heute quasi genau so wenig wie vor hundert Jahren, obwohl sie überlebenswichtige Güter erzeugen." Doch statt einer Marktliberalisierung würde Sharma eine stärkere Lenkung der Preispolitik begrüßen. Sharma sieht weder die Bauern noch die Regierung in der Rolle der Bösen, sondern die internationalen Lebensmittelkonzerne, die ihre Profite auf Kosten der Bauern und der Verbraucher steigern würden.

Womöglich wird Sharma, der zu den führenden Experten des Landes zählt, nun in den Ausschuss berufen, dessen Gründung Narendra Modi ebenfalls angekündigt hat. Darin sollen Vertreter der Regierung, der Länder, der Bauern, sowie Agrarwissenschaftler und Agrarökonomen sitzen. Der Ausschuss soll sich auch mit Themen wie natürlicher Landwirtschaft, wissenschaftlichen Methoden zur Veränderung der Anbaumuster und den Mindestpreisen befassen. Denn der Notwendigkeit einer Reform widersprechen auch die großen Bauernvereinigungen nicht.

Oppositionsführer wie die Kongress-Abgeordneten Rahul Gandhi und Navjot Singh Sidhu sowie die Ministerpräsidentin von West-Bengalen, Mamata Banerjee, gratulierten den Landwirten. "Glückwunsch zum Sieg über die Ungerechtigkeit! Es lebe Indien, es leben Indiens Bauern!", twitterte Rahul Gandhi, der sich vermutlich Hoffnungen macht, dass seine Partei bei den kommenden Wahlen im Punjab und in Uttar Pradesh noch von den Protesten profitiert.

Erleichterung wird sich vor allem in den Dörfern ausbreiten, die nah an den Protestcamps der Bauern liegen. Hier war in den vergangenen Monaten ein Umleitungsverkehr entstanden, der die kleinen Gemeinden fast erstickte. Da die Camps wichtige Zubringer in die Hauptstadt blockierten, lief alles über Nebenstraßen, die für das Aufkommen nicht stabil genug waren.

Während die Bauern auf dem Asphalt der Autobahn ihre Kühe unter Plastikplanen trocken hielten, konnte man in den kleinen Gemeinden nicht mehr Fahrrad fahren, weil die Lehmstraßen im Starkregen von den vielen Autos umgepflügt worden waren. Modis Rede wird also nicht nur für die vielen Millionen Bauern im Land eine große Erleichterung sein.

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