Missbrauchsfälle:Entschuldigung in der Herz-Jesu-Kirche

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Kardinal Reinhard Marx mit Gemeindemitgliedern. (Foto: Felix Hörhager/dpa)

Reinhard Marx besucht den Pfarrverband Garching-Engelsberg, in dem über Jahre ein wegen Missbrauch vorbestrafter Pfarrer tätig war, ohne dass die Gläubigen das wussten. Der Kardinal sagt endlich die Worte, die man hier hören möchte.

Von Jakob Wetzel, München

Hier ist das Wort wohl gefallen, dass sie sich erhofft und auf das sie gewartet haben. Die Herz-Jesu-Kirche in Garching an der Alz nahe Altötting ist ein schlichter Bau von 1959. Seitlich fällt Licht herein. Hinter dem Altar ein Wandmosaik vom Boden bis zum Giebel, es zeigt den auferstandenen Jesus. Vor diesem Bild hat Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, am Samstagabend um Entschuldigung gebeten. Zutritt zur Kirche hatten nur Pfarrangehörige, die Entschuldigung war nicht für die Kameras. Doch der Kardinal berichtet später davon, im Pfarrheim. Er habe sich entschuldigt, für die Kirche und für sich persönlich, das lasse sich nicht trennen.

Acht Wochen ist es her, da hat Marx dem Papst seinen Rücktritt als Erzbischof angeboten, um Verantwortung zu übernehmen für die "Katastrophe des sexuellen Missbrauchs durch Amtsträger der Kirche", so Marx. Franziskus lehnte ab: Marx solle Erzbischof bleiben. An diesem Samstag ist der Kardinal nun nach Garching gefahren, in eine verwundete Gemeinde.

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Papst Franziskus lehnt den Rücktritt von Kardinal Marx ab - und überrascht diesen damit. Marx' Rolle in der Kirche ist nun gestärkt, Betroffenenvertreter aber reagieren mit scharfer Kritik.

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21 Jahre lang, von 1987 bis 2008, ist im Pfarrverband Garching-Engelsberg ein Pfarrer tätig gewesen, der anderswo Kinder missbraucht hatte und dafür auch verurteilt worden war. Die Garchinger erfuhren davon nichts, es gab nur Gerüchte. 2010, als die Missbrauchsfälle Schlagzeilen machten, lasen sie davon in der Zeitung. Weitere zehn Jahre später wurde klar: Der Mann hatte wohl auch in Garching Verbrechen begangen. Die Kirche kennt mittlerweile drei Betroffene.

Das Versagen reicht über Garching hinaus. Der Täter war 1980 vom Bistum Essen ins Erzbistum München und Freising geschickt worden, nach Missbrauchsvorwürfen. Er sollte eine Therapie machen, arbeitete aber auch als Seelsorger. Erzbischof war damals Joseph Ratzinger, der spätere Papst. Unter Ratzingers Nachfolger Friedrich Wetter wurde der Priester erst nach Grafing bei München geschickt, dann nach Garching.

Täter wird Tourismus-Seelsorger

Marx ließ 2008 ein Gutachten über ihn erstellen und sandte ihn dann als Tourismus-Seelsorger nach Bad Tölz. Inzwischen ist der Priester suspendiert und ins Bistum Essen zurückbeordert worden. Sein Fall wird mit anderen von einer Kanzlei untersucht. Sein Einsatz und das Schweigen gegenüber der Gemeinde seien aber schwere Fehler gewesen, "für die sich die Erzdiözese bei den Betroffenen und allen Menschen in der Pfarrei entschuldigt", hatte die Kirche schon vor dem Besuch des Kardinals erklärt.

"Gut, dass er jetzt kommt", hat Rosi Mittermeier vor dem Besuch gesagt. Sie gehört der "Initiative Sauerteig" an, einem Zusammenschluss von Gläubigen, die aufarbeiten wollen, was geschehen ist. Schon im März 2020 hatten sich Mitglieder der Initiative mit Marx in München getroffen und ihn zu einer Entschuldigung aufgefordert. "Für was soll ich mich entschuldigen?", habe er geantwortet, wurde kolportiert. Zuletzt habe man aber gut miteinander kommuniziert. Mittermeier ist froh, dass Marx bleibt. Sonst hätte man erst auf einen Nachfolger warten und dann von vorne beginnen müssen.

Marx spricht am Samstag im Pfarrheim zweieinhalb Stunden mit dem Pfarrgemeinderat und der Initiative. Danach spricht er zu ihnen in der Kirche, dann geht es zurück ins Pfarrheim. Drinnen sind Kameras aufgebaut, draußen protestieren Franz Deser, sein Bruder Gerhard und zwei Unterstützer. Die Brüder sind von Missbrauch betroffen, einst bei den Franziskanern in Burghausen. Sie wollen, dass alles auf den Tisch kommt. "Ein ehrliches Rücktrittsangebot verlangt ein ehrliches Bekennen der eigenen Schuld!", steht auf Franz Desers Plakat. Fehler dürfe jeder machen, aber es müsse ehrlich zugehen, sagt er. Marx bleibt stehen. "Mein Rücktrittsangebot war ehrlich", ruft er Deser zu. "Schreiben Sie mir. Ich nehme jeden Brief ernst."

Drinnen entschuldigt sich Marx erneut. Es gebe zwar "keinen konkreten Punkt, wo ich sage, da habe ich etwas vertuscht". Aber er frage sich, ob er genug hingesehen habe. Auch nach 2010 hätte vieles besser laufen können. Man habe die Verletzungen unterschätzt, in den Gesprächen aber auch erkannt: Alle wollten nach vorne sehen. "Wir wollen nicht, dass der Täter auch noch unsere Zukunft bestimmt", so Marx. Es brauche Veränderungen. "Wenn das, was wir hier erlebt haben, wenn der Schock nicht zu einer Reform führt, dann weiß ich nicht, wie groß der Schock werden muss."

Rosi Mittermeier von der Initiative Sauerteig ist zufrieden mit dem Gespräch. Sie wünsche sich ein neues Bewusstsein: dass es nicht um einzelne Täter gehe, sondern um das System, um die Lust an der Macht. Um Strukturen, dank derer Täter anderen das Gefühl geben können, mitschuldig zu sein und schweigen zu müssen. Es brauche einen neuen Stil. Auf diesem Weg sei ihnen ein wichtiger Schritt gelungen. "Das Gespräch kann Schule machen. Es muss Schule machen."

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