Papst Franziskus nimmt den Rücktritt von Kardinal Reinhard Marx nicht an. "Das ist meine Antwort, lieber Bruder. Mach weiter, so wie Du es vorschlägst, aber als Erzbischof von München und Freising", schreibt das Kirchenoberhaupt in einem am Donnerstag veröffentlichten, ungewöhnlich persönlich gehaltenen Brief. Für vatikanische Verhältnisse hat Franziskus damit nahezu in Lichtgeschwindigkeit entschieden - und auch Marx selbst überrascht, der mehrere Stunden brauchte für seine Antwort. "Seine Entscheidung, dass ich meinen Dienst als Erzbischof von München und Freising weiter fortführen soll, habe ich so nicht erwartet", teilte Marx mit. "Im Gehorsam akzeptiere ich seine Entscheidung."
Am vergangenen Donnerstag war das Vorgehen zwischen Rom und München noch abgestimmt gewesen: Nach Erlaubnis des Papstes hatte Marx da öffentlich gemacht, dass er dem Pontifex am 21. Mai seinen Amtsverzicht als Erzbischof von München und Freising angeboten hatte - um "Mitverantwortung zu tragen für die Katastrophe des sexuellen Missbrauchs durch Amtsträger der Kirche in den vergangenen Jahrzehnten", wie Marx schrieb. Es gehe ihm darum, sowohl Verantwortung für persönliches Fehlverhalten als auch für institutionelles Versagen zu übernehmen. Gegen Marx gibt es Vorwürfe, in seiner Zeit im Bistum Trier Fälle sexueller Gewalt nicht konsequent verfolgt zu haben. Eine umfassende Untersuchung steht allerdings noch aus. Dass einer der mächtigsten Bischöfe Deutschlands und der Weltkirche seinen Rücktritt offensiv angeboten hatte, machte international Schlagzeilen.
Papst:Franziskus' Brief an Marx im Wortlaut
"Ich stimme Dir zu, dass wir es mit einer Katastrophe zu tun haben": Wie der Papst seine Entscheidung gegenüber Kardinal Marx begründet.
Franziskus dankt Marx, seinem "lieben Bruder", der gleichzeitig einer seiner wichtigsten Berater ist, nun für seinen Mut. Er stimme ihm zu, dass es sich bei der "traurigen Geschichte des sexuellen Missbrauchs" und dem Umgang der Kirche damit, um eine "Katastrophe" handele: "Wir müssen für die Geschichte Verantwortung übernehmen, sowohl als einzelner als auch in Gemeinschaft. Das anzunehmen bedeutet, sich der Krise auszusetzen." Bloße Vorsätze zur Änderung des Lebens zu machen, ohne "das Fleisch auf den Grill zu legen", führten zu nichts, schreibt der Papst in dem auf Spanisch, seiner Muttersprache, verfassten Brief. "Es sind nicht die Untersuchungen, die uns retten werden, und auch nicht die Macht der Institutionen." Deshalb solle Marx weitermachen und sich für eine geistliche Erneuerung der Kirche einsetzen.
Marx sagte, er werde darüber nachdenken, wie Papst Franziskus und er "gemeinsam noch mehr zur Erneuerung der Kirche hier in unserem Erzbistum und insgesamt beitragen können". Er empfinde die Entscheidung des Papstes als große Herausforderung. "Danach einfach wieder zur Tagesordnung überzugehen, kann nicht der Weg für mich und auch nicht für das Erzbistum sein". Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller sagte, Marx werde nun im Amt als Sünder mit seinen Fehlern als Bischof von Trier und Erzbischof von München konfrontiert werden. "Das mag schmerzlich sein, aber der Papst erspart Marx nicht diesen Gang."
Indem Franziskus Marx im Amt belässt und das auch noch mit einer so raschen und eindeutigen Entscheidung, hat er seine Rolle in der Weltkirche und in Deutschland aber auch deutlich gestärkt. Eine "Überzeugungsentscheidung" nannte es der Vatikan-Kenner Pater Bernd Hagenkord, der die Reformdebatte "Synodaler Weg" geistlich begleitet. Gerade mit Blick auf den Synodalen Weg sei er froh, "dass Kardinal Marx uns als starke Stimme erhalten bleibt", sagte der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Thomas Sternberg, der Rheinischen Post. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, sagte, er freue sich auf die weitere Zusammenarbeit.
Betroffenenvertreter indes reagierten mit scharfer Kritik: "Mit seiner Entscheidung, den Rücktritt nicht anzunehmen, nimmt Franziskus dem Rücktrittsangebot von Kardinal Marx die Wucht", sagte Matthias Katsch vom "Eckigen Tisch". Marx habe mit seiner Entscheidung auf die Verantwortung aller Bischöfe, auch die des Bischofs von Rom, gezielt. "Der Papst moderiert diese erschütternde Einsicht jetzt einfach weg und entlastet damit auch sein eigenes Amt. Besonders erschreckend ist aber, wie der Papst in seiner Erklärung versucht, die Verantwortung für Machtmissbrauch und Missbrauchsvertuschung durch Bischöfe weltweit zu relativieren, indem er darauf verweist, dass früher eben "andere Zeiten" gewesen seien."
Hiltrud Schönheit, Vorsitzende des Katholikenrats der Region München sagte, sie freue sich einerseits, dass Marx bleibe. "Aber was den Inhalt des Papst-Briefes angeht, bin ich hin- und hergerissen: Mir fehlt komplett die Opferperspektive." Und, so Schönheit weiter: "Auf Marx' Verzweiflung und Not, nämlich dass Teile des deutschen Episkopats die Notwendigkeit von strukturellen und systemischen Veränderungen nicht sehen, geht Franziskus überhaupt nicht ein." Sie sei "fassungslos und sprachlos", sagt Agnes Wich, Betroffene aus dem Erzbistum und Mitglied in der Betroffenen-Initiative Süddeutschland. "Es bleibt alles beim Alten. Nach seinem Rücktrittsangebot hatte ich den Eindruck, dass etwas aufbricht. Doch Franziskus hat diese Chance vertan. Kirche ist unberechenbar und genau das treibt die Menschen aus dieser Kirche." Sie selbst sei vor Ostern ausgetreten.