Minderheitsregierung in NRW:Jürgen Merkel, vom Platz gestellt?

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Während die neue Minderheitsregierung in Düsseldorf noch Ampelträume spinnt, wähnen sich SPD und Grüne in Berlin nach der Wende in NRW fast schon wieder an der Macht. Rüttgers weg, Merkel weg? "Ein großer Schritt hin zum Ende der dusteren schwarz-gelben Zeit", frohlockt Grünen-Chefin Claudia Roth.

Susanne Höll und Daniel Brössler

Die Überraschung bei den Bundes-Sozialdemokraten über den Entschluss zugunsten einer rot-grünen Minderheitsregierung in Düsseldorf war am Donnerstag groß. Denn bis fast 14 Uhr war man bis in die Spitze des Willy-Brandt-Hauses davon ausgegangen, dass die Landesvorsitzende Hannelore Kraft trotz mehr oder minder diskreten Drängens aus Berlin bei ihrem Kurs bleiben und aus der Opposition heraus Politik machen würde. Schließlich hatte Kraft selbst am Mittwoch vor Hauptstadtjournalisten eine Minderheitsregierung zwar nicht ausgeschlossen, allerdings wortreich erklärt, warum dieser Schritt für die SPD und sie persönlich äußerst riskant wäre.

Böses Ohmen für die Berliner Regierung? Die Fraktionsvorsitzende der nordrhein-westfälischen Grünen, Sylvia Löhrmann, hält bei der Verkündung einer rot-grünen Minderheitsregierung in NRW eine Gelb-Rote Karte in der Hand. (Foto: ddp)

Am frühen Nachmittag soll dann der Anruf aus Düsseldorf gekommen sein, in dem sie über ihren Meinungswandel informierte.

Das alles sei, so heißt es aus Bundestagsfraktion und Parteizentrale, ohne Druck aus Berlin geschehen. Dass der Vorsitzende Sigmar Gabriel und andere namhafte Sozialdemokraten von Kraft mehr Mut zu einer Minderheitsregierung wünschten, war seit Tagen bekannt.

"Alles in allem genau das Richtige"

Am Wochenende ermunterte Gabriel Kraft zu diesem Schritt. Ihre Strategie des Abwartens erschien vielen in der Bundes-SPD zu riskant. In Berlin befürchtete man, dass die mühsam aufgebauten Beziehungen zu den Grünen nun Schaden erleiden könnten, und die Sozialdemokraten an Rhein und Ruhr sich einen Ruf als machtunwillige Truppe zuziehen könnten.

Krafts Wende erfreut die rote Bundestruppe nun. "Alles in allem genau das Richtige", heißt es aus dem Willy-Brandt-Haus. Man bleibe an der Seite der Grünen, des einzigen wirklich engen politischen Partners der SPD.

Und die Sozialdemokraten können weiter Ampelträume spinnen. Wenn es in Düsseldorf gelingt, die Liberalen ab und an für ein gemeinsames Vorgehen zu gewinnen und mit ihnen nach den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz zusammenzuarbeiten, hätte die SPD eine weitere, dringend benötigte Machtoption gewonnen.

Offiziell hatten Gabriel und andere die Machtverhältnisse im Bundesrat als Argument für eine Minderheitsregierung in Düsseldorf genannt. Bei einer Ablösung des geschäftsführenden Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers verlieren Union und FDP ihre Mehrheit, SPD-geführte Länder könnten wichtige Projekte der Bundesregierung stoppen.

Solche wichtigen Projekte sind allerdings nicht in Sicht. Ob und wann die Frage der Verlängerung der Atom-Laufzeiten die Länderkammer erreicht, ist offen, das Prämienmodell in der gesetzlichen Krankenversicherung ist für diese Legislatur wohl tot, vom Sparpaket dürften nur kleine Teile den Bundesrat beschäftigen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was die Grünen-Parteichefin Claudia Roth von dem rot-grünen Minderheitsbündnis in NRW hält.

Minderheitsregierung
:Regieren in der Unterzahl

In Nordrhein-Westfalen deutet sich eine rot-grüne Minderheitsregierung an. Es wäre nicht das erste Mal, dass die tragenden Fraktionen keine eigene Mehrheit im Parlament haben. Erfolgreich waren die bisherigen Versuche allerdings kaum.

Bei den Grünen in Berlin waren Seufzer der Erleichterung zu hören. "Das Allererste und Allerwichtigste ist: Schwarz-Gelb kann nicht mehr durchregieren", sagte Parteichefin Claudia Roth der Süddeutschen Zeitung. Jetzt werde sich die "Stärke des föderalen Systems" zeigen. Beim Sparpaket oder in der Atompolitik gebe es durchaus Möglichkeiten, die Bundesregierung zu bremsen. Wichtig ist Roth aber vor allem das Signal, das ein Wechsel sei. "Das ist ein großer Schritt hin zum Ende der dusteren schwarz-gelben Zeit", versicherte Roth.

Für die Grünen kommt die Koalition in NRW zu einer Zeit, in der sie in den Umfragen bundesweit ungekannte Höhen erklimmen. Das nährt Hoffnungen, nach der nächsten Bundestagswahl wieder mitregieren zu können - und zwar gar nicht nur zwingend mit der SPD.

Jamaika auf keinen Fall

Festlegungen wollen die Grünen vermeiden. Die hart erarbeitete Offenheit werde man auch jetzt nicht gefährden, ist zu hören. In der Tat gibt es fast keine Variante, die von den Grünen nicht überlegt würde. Dazu gehören Rot-Rot-Grün ebenso wie Schwarz-Grün. Selbst die Abneigung gegen die Ampel mit SPD und FDP hat in letzter Zeit nachgelassen, nur nach Jamaika mit Union und FDP wollen die Grünen auf keinen Fall.

Menschlich funktioniert es mit der SPD am besten. Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier, Jürgen Trittin und Renate Künast kennen sich seit Jahren und haben schon gemeinsam regiert. Das half, als Trittin und Gabriel ihren Coup mit Präsidentschaftskandidat Joachim Gauck einfädelten.

Nur zu fest umarmen lassen wollen sich die Grünen nicht, zumal es für Rot-Grün allein im Bund auch künftig kaum reichen dürfte. Man brauche keine "zweite Version des rot-grünen Projektes", meint Roth, "wir sind eine eigenständige Kraft".

Schwer haben es nun die Linken. Sie können nicht wirklich für die Minderheitsregierung sein, können sie aber auch nicht ganz ablehnen. "Wir finden alles richtig, was zu einer sozialeren Politik führt", ließ Parteichef Klaus Ernst wissen. Die schwarz-gelbe Mehrheit im Bundesrat müsse gebrochen werden. "Wir werden uns so verhalten, dass das möglich wird", versprach er.

© SZ vom 18.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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