Militär:Lehnigk-Emden: „Wir sind der Zeitenwende-Motor“

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Präsidentin des Bundeswehr-Beschaffungsamtes Annette Lehnigk-Emden. (Foto: David Young/dpa)

Probleme mit dem Schützenpanzer Puma, lange Entscheidungswege, ausufernde Kosten und ein Spion: Das Bundeswehr-Beschaffungsamt gerät immer wieder in die Schlagzeilen. Bei der Rüstungsbeschaffung drückt die neue Präsidentin jetzt aufs Tempo.

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Koblenz (dpa) - Das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen der Bundeswehr wird nach Einschätzung der Präsidentin des Beschaffungsamtes im kommenden Jahr vollständig ausgegeben sein. Für zwei Drittel des Geldes seien bis Ende des Jahres Verträge planmäßig geschlossen und somit Bestellungen in Auftrag gegeben, sagte Präsidentin Annette Lehnigk-Emden in Koblenz. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hatte die 62-Jährige vor rund vier Monaten von der Vizepräsidentin zur Präsidentin des Bundesamts für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) gemacht.

„In diesem Jahr werden wir noch Verträge in zweistelliger Milliardenhöhe schließen, sowohl aus dem Wehretat als auch aus dem Sondervermögen finanziert“, kündigte Lehnigk-Emden an. Damit erhalte die wehrtechnische Industrie Planungssicherheit zum Aufbau zusätzlicher Produktionskapazitäten. „Aber dann muss sie auch liefern - und zwar schnell.“

Das aus dem Sondervermögen Bestellte werde 2024 und 2025 erwartet, einiges wie die Tarnkappenbomber F-35 aber auch ab 2026. Ziel ihrer Behörde sei eine „schnellstmögliche Lieferung“. „In der viel zitierten Zeitenwende sind wir hier der Zeitenwende-Motor.“

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im Februar 2022 im Bundestag eine „Zeitenwende“ ausgerufen und gesagt, Deutschland werde von nun an Jahr für Jahr mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung investieren. Ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro soll für Investitionen und Rüstungsvorhaben bei der Bundeswehr dienen.

Die materielle Ausstattung in der Bundeswehr habe in den vergangenen Jahrzehnten unter anderem durch die Fokussierung auf Auslandseinsätze gelitten, stellte Lehnigk-Emden fest. Nun stehe der Kernauftrag der Landes- und Bündnisverteidigung wieder im Mittelpunkt. „Zur Wahrheit gehört aber auch, dass so eine Neuorientierung insbesondere mit Blick auf das Material nicht innerhalb weniger Wochen und Monate aufgeholt werden kann“, betonte die Juristin. Um die Ausstattung auch in Zukunft instandhalten zu können, unterstützte sie die Forderung nach einer Aufstockung des Wehretats.

„Wir hier im Amt können auch schnell“, sagte Lehnigk-Emden. Bei durchschnittlich 11.000 geschlossenen Kaufverträgen pro Jahr könne in Einzelfällen zwar auch mal etwas schief laufen, das finde dann aber in der Öffentlichkeit „anekdotenbasierte“ Aufmerksamkeit.

„Wir haben funktionierende Systeme“, sagte die Präsidentin zur Ausstattung der Bundeswehr. „Die Gewehre schießen, die Flugzeuge fliegen, die Schiffe schwimmen und die U-Boote tauchen.“

Es gehe nun darum, das Sondervermögen effektiv zu investieren. Ein Umbau ihrer kritisierten Behörde sei dafür nicht nötig. „Es kommt mir jetzt besonders darauf an, dass wir in den bestehenden Strukturen Entscheidungen schnell und effizient treffen“, sagte sie. „Denn grundlegende Strukturen zu ändern, würde zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Zeit, die wir in der jetzigen Zeit nicht haben.“

Stattdessen würden Verfahren vereinfacht. Das Amt werde sich von vielen internen rechtlichen Auflagen und Prozessschritten befreien, „die wir uns in der Vergangenheit zusätzlich zum rechtlichen nationalen Rahmen selbst auferlegt haben“. „Die Zeiten mehrfacher Prüfschleifen und des Absicherungsdenkens, das in Teilen natürlich auch dazu führte, dass dringend benötigtes Material verspätet bei der Truppe ankam, sind jetzt vorbei.“

Dabei sind längst nicht alle Planstellen in der Behörde besetzt. „Ich kann jetzt natürlich nicht sagen, mir fehlen jetzt hier 1200 Leute und das hat keine Auswirkungen. Das stimmt nicht“, sagte Lehnigk-Emden.

Zu dem jüngsten Fall eines mutmaßlichen Spions im Beschaffungsamt verwies die Präsidentin auf den Generalbundesanwalt. Ermittler des Bundeskriminalamtes hatten vor wenigen Tagen einen Mitarbeiter der Behörde wegen des Verdachts auf geheimdienstliche Agententätigkeit für Russland festgenommen. „Bei uns ist grundsätzlich jeder sicherheitsüberprüft, der sicherheitskritische Tätigkeiten wahrnimmt“, sagte Thomas Scheibe, Leiter des Presse- und Informationszentrums der Behörde. „Jeder Dienstposten bei uns wird aufgrund seiner Zugänge oder seiner Tätigkeiten bewertet.“

Lehnigk-Emden hat laut eigener Aussage ein Projekt zum „Kulturwandel“ im Bundeswehrbeschaffungsamt auf den Weg gebracht. „Da geht es um Werte und Leitlinie zur Führung und zur Zusammenarbeit“, sagte sie. So habe sie etwa einen Briefkasten für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingerichtet für direkte Fragen an sie. „Das wird auch mehr und mehr genutzt.“ Auch dadurch setze ein Kulturwandel ein. „Dann kommen Probleme hoch, die ich vielleicht nicht so kenne.“

Das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr ist dem Verteidigungsministerium unterstellt. Hauptaufgabe ist die Ausstattung der Bundeswehr mit leistungsfähigem und sicherem Gerät, jedoch gibt es seit Jahren Kritik an den langen Entscheidungswegen. Immer wieder liefen auch Kosten aus dem Ruder.

Von den insgesamt rund 12.500 Vollzeitstellen des BAAINBW und seiner zehn Außenstellen sind derzeit etwa 2000 nicht besetzt. In Koblenz und Lahnstein sind 1000 von 7500 Posten vakant.

© dpa-infocom, dpa:230817-99-865230/4

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