Migration:„Lassen sich die Zähne machen“: Kritik an Merz-Aussage

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CDU-Chéf Friedrich Merz sorgt mit einer Aussage über Migranten für Empörung. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Kommen Migranten auch nach Deutschland, um sich die Zähne machen zu lassen? Der CDU-Chef erweckt diesen Eindruck. Die gesetzliche Regelung ist relativ eindeutig.

Direkt aus dem dpa-Newskanal: Dieser Text wurde automatisch von der Deutschen Presse-Agentur (dpa) übernommen und von der SZ-Redaktion nicht bearbeitet.

Berlin (dpa) - Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hat die Bundesregierung mit einem drastischen Vergleich zur Eindämmung der irregulären Migration aufgefordert - und heftige Kritik geerntet.

„Die werden doch wahnsinnig, die Leute, wenn die sehen, dass 300.000 Asylbewerber abgelehnt sind, nicht ausreisen, die vollen Leistungen bekommen, die volle Heilfürsorge bekommen“, sagte Merz im „Welt-Talk“ des Fernsehsenders Welt. „Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine.“ Von SPD und Grünen wurde ihm daraufhin übelster Populismus vorgeworfen.

Die Unionsfraktion verbreitete die Aussage ihres Chefs auch auf der Plattform X, vormals Twitter. „Wir müssen über die Pull-Faktoren sprechen, die hier in Deutschland wirken. Wir haben massive Faktoren, die dazu führen, dass über 30 Prozent der Asylbewerber aus ganz Europa nach Deutschland kommen“, sagte er demnach. Mit Pull-Faktoren meint Merz solche, die eine Sogwirkung auf Migranten haben. Der Koalition warf er vor, nicht zu handeln. „Was Sie hier machen, ist eine Katastrophe für dieses Land.“

Bundesinnenminister Nancy Faeser, SPD-Spitzenkandidatin für die Hessen-Wahl in eineinhalb Wochen, widersprach umgehend. „Das ist erbärmlicher Populismus auf dem Rücken der Schwächsten. Wer so spricht, spielt Menschen gegeneinander aus und stärkt nur die AfD“, schrieb sie auf X. „Und es ist falsch: Denn Asylsuchende werden nur behandelt, wenn sie akut erkrankt sind oder unter Schmerzen leiden.“

„Merz spielt ganz bewusst Gruppen gegeneinander aus“

Im Asylbewerberleistungsgesetz heißt es in Paragraf 4 zu Leistungen bei Krankheit: „Zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sind die erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen zu gewähren.“ Eingeschränkt wird: „Eine Versorgung mit Zahnersatz erfolgt nur, soweit dies im Einzelfall aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist.“

Anders sieht es jedoch nach den ersten 18 Monaten des Aufenthalts aus, der sogenannten Wartezeit: Ab dann werden Asylbewerber von den gesetzlichen Krankenkassen betreut. „Sie erhalten eine elektronische Gesundheitskarte, mit der Sie nahezu dieselben Leistungen erhalten wie gesetzlich Krankenversicherte“, heißt es dazu auf der Homepage des Spitzenverbands der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).

Die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang äußerte sich ähnlich wie Faeser. „Friedrich Merz spielt ganz bewusst Gruppen gegeneinander aus, verbreitet dabei Falschinformationen. So wird kein einziges Problem gelöst, aber Hass geschürt“, schrieb sie auf X. Das sei eines „Vorsitzenden einer Volkspartei unwürdig“.

Zahnärztekammer kritisiert Merz-Aussagen

Auch die Bundeszahnärztekammer hat die Aussagen von CDU-Chef Friedrich Merz über Zahnarztbehandlungen für Asylbewerber kritisiert und als unzutreffend zurückgewiesen. „Ich kann die Aussagen von Friedrich Merz ehrlich gesagt nicht nachvollziehen“, sagte der Präsident der Bundeszahnärztekammer, Christoph Benz, der „Wirtschaftswoche“.

Benz widersprach Merz und erklärte, dass es „keinen Zusammenhang“ gebe. „Beim Zahnarzt kriegt man in der Regel problemlos Termine“, sagte er. Wartezeiten im ländlichen Bereich seien auf die geringe Zahnarztdichte zurückzuführen. „Wer starke Schmerzen hat, wird aber immer bevorzugt behandelt“, betonte der Zahnärztechef und warnte vor „problematischen Pauschalaussagen“. „Die derzeit übliche politische Polterei löst keine Probleme. Ich würde mich über mehr Sacharbeit in der Politik freuen.“

„Dass sich Geflüchtete massenhaft in Deutschland die Zähne machen lassen, wie Friedrich Merz gesagt hat, das geht im Regelfall nicht“, sagte Benz der „FAZ“. Es gebe vor allem bei kosmetischen Aspekten Einschränkungen bei den Leistungen. Zwar werde bei Schmerzen keine Behandlung verweigert, ein gesetzlicher Anspruch auf Zahnersatz bestehe aber nur dann, wenn dieser „aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist“. Da sei etwa der Fall, wenn jemand auf der Flucht seine herausnehmbare Prothese verloren habe.

Wie reagiert die Union?

Parteifreunde verteidigten den CDU-Chef unterdessen. „Friedrich Merz spricht das an, was die Menschen auf der Straße sprechen“, sagte der stellvertretende CSU-Vorsitzende und Chef der christdemokratischen europäischen Parteienfamilie EVP, Manfred Weber (CSU) im Deutschlandfunk. „Wenn ich im Wahlkampf in Bayern unterwegs bin, sind dass die Themen, die die Leute interessiert und bewegt.“

„Der gesundheitspolitische Sprecher der Fraktion, Tino Sorge (CDU), sagte der „Rheinischen Post“: „Friedrich Merz hat Recht. Die scheinheilige Empörung aus Reihen der Ampel sagt viel darüber aus, wie mit kritischen Meinungen umgegangen wird.“ Hunderttausende abgelehnte Asylbewerber seien zum Teil seit Jahren ausreisepflichtig. Dennoch könnten sie zum Nulltarif das deutsche Gesundheitssystem nutzen. Darüber müsse man diskutieren. „Dass Arzttermine auch wegen der Belastungen durch Migranten vielerorts knapper werden, ist eine Realität. Zahlreiche Kommunen bestätigen das seit Monaten. Das trifft auch auf Kita- und Schulplätze zu.“

Auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt rechtfertigte die Äußerungen. „Friedrich Merz hat auf eine Stimmung in der Bevölkerung hingewiesen, die sich auf die Belastung der Infrastruktur bezieht“, sagte Dobrindt. Dazu gehöre neben Kitas und Schulen auch das Gesundheitssystem.

Merz eckt immer wieder an

CDU-Chef Merz war schon einige Male mit zugespitzten Wortmeldungen zur Migration angeeckt - hatte sich aber gegen Populismusvorwürfe verwahrt und davor gewarnt, heikle Themen nicht anzusprechen. „Wir müssen auch in der Lage sein, mal Probleme zu adressieren. Auch mal mit Formulierungen, die nicht jedem gefallen“, sagte er bei einem CDU-Grundsatzkonvent im Juni. Das sei nicht gleich rechts und nicht gleich rassistisch „und vor allen Dingen nicht irgendwo AfD-Sprech.“

Merz räumte als Fehler ein, im Zusammenhang mit Ukraine-Flüchtlingen von angeblichem „Sozialtourismus“ gesprochen zu haben. Zugleich betonte er bei dem CDU-Konvent im Juni: „Bei den Paschas bleibt's.“ Nach Silvester-Krawallen in Berlin hatte der CDU-Vorsitzende auf Integrationsprobleme in Schulen hingewiesen - und darauf, dass Väter es sich verbäten, dass Lehrerinnen „ihre Söhne, die kleinen Paschas, da mal etwas zurechtweisen“. Auch damals erntete er viel Kritik.

In diesen Debatten - die auch unionsintern geführt werden - klingt auch immer wieder das Thema Kanzlerkandidatur durch und die Frage, ob Merz der Richtige ist, wenn es darum geht, Kanzler Olaf Scholz (SPD) bei der Bundestagswahl 2025 herauszufordern. Als potenzielle Anwärter werden neben Merz auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) gehandelt. Die nächste reguläre Bundestagswahl steht im Herbst 2025 an.

© dpa-infocom, dpa:230928-99-359749/10

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