Nach dem Bund-Länder-Beschluss über eine weitere Verlängerung und Verschärfung der Corona-Maßnahmen hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel den Fragen der Hauptstadtpresse gestellt.
Man sei in einer schwierigen Phase der Pandemie, sagte Merkel. Es gebe ein gespaltenes Bild. Zum einen gebe es weniger Patienten auf den Intensivstationen als noch zu Weihnachten. Das Gesundheitssystem sei nicht überlastet.
"Wir können es uns nicht oft genug vor Augen führen: Wenn wir mit den Maßnahmen gegen das Virus warten würden oder gewartet hätten, wären die Intensivstationen voll", sagte Merkel. Es sei jedoch sehr wichtig und ermutigend, dass sich die Lage zu entspannen beginnt. "Die harten Einschränkungen haben sich gelohnt." Die Kanzlerin dankte den Bürgerinnen und Bürgern einmal mehr für die Unterstützung.
Aber auf der anderen Seite habe man es noch immer mit hohen Todeszahlen zu tun. Das sei furchtbar, denn schließlich gehe es nicht einfach nur um Zahlen, "das sind Menschen, die in Einsamkeit gestorben sind, das sind Schicksale, das sind Familien, die um sie trauern".
Darüber hinaus dürfe nicht außer Acht gelassen werden, dass trotz aller Bemühungen eine Gefahr droht: Das mutierte Virus, das zu hohen Infektionszahlen in Großbritannien, Irland, den Niederlanden oder Dänemark geführt hat, und das auch in Deutschland nachgewiesen worden ist. Noch sei es nicht dominant, aber trotzdem sehr ernst zu nehmen.
"Wir können nicht warten, bis sich das in den täglichen Infektionszahlen niederschlägt", warnte Merkel. "Dann wäre es zu spät. Das können wir noch verhindern."
Öffnung von Kitas und Schulen priorisieren
Merkel betonte, dass sie, wenn wieder Lockerungen möglich seien, eine Öffnung von Kitas und Schulen priorisieren würde. Bei der Öffnung stünden diese auf Rang eins, das sei politisch völlig unstrittig. "Aber danach wird es natürlich nicht ganz einfach. Ich würd mal sagen, aus praktischen Gründen müsste man dann bald die Friseure rannehmen, aber das ist jetzt mehr anekdotisch." Darüber hinaus erwähnte sie den Einzelhandel. Aber man müsse immer über die Auswirkungen diskutieren, "sonst würden wir uns, glaub ich, gleich wieder zurückwerfen". Als Beispiel führte sie die Erfahrungen von Großbritannien an. "Man macht einen harten Lockdown, man öffnet, man öffnet zu viel und man hat das Ergebnis, das man dann zu schnell wieder im exponentiellen Wachstum ist", erklärte die Kanzlerin.
Zur Impfstrategie in Deutschland betonte sie, wie wichtig es sei, in Altenheimen und überhaupt ältere Menschen zuerst zu impfen. "Mir bricht das Herz, wenn ich sehe, wie viele Menschen dort in Einsamkeit gestorben sind", sagte Merkel. "Das ist emotional auch für mich extrem schwierig." Zu den diskutierten Privilegien von Geimpften wies sie darauf hin, dass es eigentlich schon ein Privileg sei, geimpft zu werden.
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Allerdings könnten Schulen "nicht vollständig" öffnen, sondern im Wechselunterricht sowie nur für Abschlussklassen und erste Klassenstufen, so die KMK-Vorsitzende Ernst. Das Robert-Koch-Institut meldet 6729 Neuinfektionen und 217 Todesfälle.
Angesichts der am Donnerstagabend anstehenden virtuellen Beratungen der Kanzlerin mit den Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union sprach Merkel auch mögliche gemeinsame Maßnahmen gegen die Pandemie an. Ins Detail ging sie nicht, sagte aber, gerade die Ausbreitung der Virusmutante müsste in Europa gemeinsam bekämpft werden. Denn "wir sind epidemiologisch betrachtet als EU ein Gebiet". In der Frage der Grenzschließungen in Europa erklärte sie, es ginge nicht darum, solche flächendeckend einzuführen. Schon aufgrund der Pendler sollte etwa das Testen auf das Virus aufeinander abgestimmt werden. Aber völlig ausgeschlossen werden könnten Grenzschließungen auch nicht.
Unstimmigkeiten mit einigen Bundesländern gehörten für die Kanzlerin zur Politik. "Ich schätze die Zusammenarbeit, auch wenn sie mühselig und zeitaufwändig ist", sagte sie. Zuletzt war aus der Bund-Länder-Konferenz am Dienstag zu hören, dass es gerade um die Bildungspolitik bisweilen deftigen Streit gab.
Zur Debatte um die Impfstoff-Bestellung erklärte Merkel, sie habe alles Menschenmögliche getan. Sie stehe dazu, dies auf europäischer Ebene geregelt zu haben. Die bereits zugelassenen Impfstoffe von Biontech und Pfizer sowie Moderna, und auch die demnächst kommenden Impfstoffe, seien "der Weg aus der Krise". Dass am Tag der Zulassung bereits produzierte Impfstoffe vorlagen, sei ein Novum in der Geschichte der Medizin. Das hing unter anderem damit zusammen, dass die Bundesregierung Haftungen übernommen habe, falls die Zulassung der Impfstoffe fehlgeschlagen hätte. Selbst eine Kooperation mit Russland, das einen eigenen Impfstoff entwickelt hat, schloss Merkel nicht aus.
Trotz der Drosselung der Produktion von Biontech/Pfizer aufgrund von Umbauarbeiten im Betrieb in Belgien geht die Kanzlerin davon aus, dass die 8,8 Millionen versprochenen Dosen für das erste Quartal auch in Deutschland ankommen werden. Merkel erklärte, dass deutlich mehr Bürgerinnen und Bürger nach dem zweiten Quartal geimpft sein werden. Bis Ende des Sommers am 21. September sollten alle Bürgern ein Impfangebot erhalten haben.
Zum Amtsantritt des neuen US-Präsidenten sagte Merkel, es gebe mit Joe Biden einen viel breiteren Raum politischer Übereinstimmung als mit Donald Trump. Schon die ersten Entscheidungen zeigten das, etwa die Rückkehr der USA in die WHO und in das Klimaabkommen von Paris, oder in der Frage der Migration. Sie erklärte allerdings auch: "Europa wird insgesamt mehr Verantwortung übernehmen müssen, das gilt nicht nur militärisch, sondern das gilt auch im diplomatischen Bereich und in vielen anderen Dingen."
Die Kanzlerin kommt bereits zum vierten Mal seit Beginn der Pandemie vor einem Jahr in die Bundespressekonferenz - dem Verein der Journalistinnen und Journalisten, die über Bundespolitik berichten.