CDU-Präsidiumssitzung:Die Angst vor dem Flickenteppich

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Nach wochenlangem Shutdown wegen der Corona-Pandemie haben seit Montag die ersten kleineren und mittelgroßen Geschäfte im Südwesten wieder geöffnet. (Foto: dpa)
  • Bei der CDU-Präsidiumssitzung warnt Kanzlerin Merkel vor einer gefährlichen Debatte über vorzeitige Lockerungen.
  • Merkels akute Sorgen beziehen sich wohl auf die weitere Ausbreitung eines Flickenteppichs an regionalen Maßnahmen.
  • Sie hatte bereits nach einer Schalte mit den Ministerpräsidenten Anfang April vor einer solchen Verwirrung gewarnt.

Von Boris Herrmann, Berlin

Die CDU befindet sich in einer seltsamen Lage: Ihre Umfragewerte klettern gerade schneller als die Infektionszahlen, aber freuen mag sich niemand so richtig. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sogar die große Sorge, dass eine Trendwende bevorsteht - nicht in den Umfragen, sondern bei der zuletzt recht erfolgreichen Viruseindämmung. "Wir bewegen uns auf dünnem Eis", sagte Merkel nach einer Sitzung des Corona-Kabinetts am Montag.

Diesen Montag hatten viele Deutsche seit Tagen herbeigesehnt. Nach vier Wochen Zwangspause vom Alltag traten erste Lockerungen des Shutdowns in Kraft, die Bund und Länder vergangene Woche beschlossen hatten. Es zeichnete sich dann aber schon am Vormittag ab, nach einer, gelinde gesagt, beschwingten Präsidiumssitzung der CDU, dass nicht die ersten Entspannungsübungen im Land die Nachrichtenlage bestimmen würden, sondern eine Wortschöpfung der Bundeskanzlerin: die "Öffnungsdiskussionsorgien".

Nach Angaben aus Teilnehmerkreisen soll Merkel mit diesem Begriff vor einer gefährlichen Debatte über vorzeitige Lockerungen gewarnt haben. Auf der Pressekonferenz am Nachmittag im Kanzleramt bestätigte sie dieses Zitat indirekt: "Ich habe mich in der Tat mahnend eingelassen". Außerdem sagte sie: "Ich habe den Eindruck, dass seit vergangenem Mittwoch eine Diskussion in Gang gekommen ist, die eine Sicherheit insinuiert, die nicht da ist."

Von ihrer überraschend scharfen Kritik im CDU-Präsidium durften sich vor allem jene Ministerpräsidenten angesprochen fühlen, die bereits öffentlich über weitere Lockerungsmaßnahmen in ihren Ländern nachgedacht hatten. Wieder einmal steht damit nicht zuletzt der CDU-Vize und nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet im Fokus, der irgendwann, wenn das alles vorbei ist, auch Kanzlerkandidat werden will.

Laschet: "NRW ist das Land der Küchenbauer"

Laschet soll Merkel im Präsidium grundsätzlich zugestimmt haben, was ihn aber laut Teilnehmern nicht davon abhielt, den Sonderkurs in seinem Bundesland zu verteidigen. Demnach soll er die vorzeitige Öffnung von Möbelhäusern damit begründet haben, dass Nordrhein-Westfalen "das Land der Küchenbauer" sei.

Die akuten Sorgen der Kanzlerin beziehen sich wohl auch auf die weitere Ausbreitung des berüchtigten Flickenteppichs, also auf ein politisch schwer vermittelbares Geflecht aus regionalen Maßnahmen und Ausnahmen. Nordrhein-Westfalen will auch Babyfachmärkte öffnen, Rheinland-Pfalz Malls und Zoos, in Bayern, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern muss man im öffentlichen Nahverkehr Masken tragen, andernorts wird es bloß empfohlen. Wer soll das noch verstehen? Und Merkel fragt sich außerdem: Wer hält sich an Dinge, die er nicht versteht?

Sie hatte bereits nach einer Schalte mit den Ministerpräsidenten Anfang April vor einer solchen Verwirrung gewarnt. Man habe die Maßnahmen gegen Corona "als Bundesrepublik Deutschland" beschlossen und wolle sie auch zusammen wieder auflösen. Bund und Länder seien sich einig, dass "kein Flickenteppich" entstehen dürfe, berichtete Merkel damals. Jetzt fürchtet sie wohl, diese Einigkeit überschätzt zu haben. Aus ihrer Sicht sollen die nächsten Lockerungsschritte wie verabredet erst am 30. April im Gespräch zwischen Bund und Ländern beschlossen werden. "Der beste Weg ist der, der jetzt vorsichtig ist", sagte sie am Montag.

Kopfschütteln im CDU-Präsidium löste laut Generalsekretär Paul Ziemiak vor allem die Öffnung eines Outlet-Centers im SPD-regierten Rheinland-Pfalz aus. Apropos SPD: In der Zeit vor Corona gab es auch mal eine Diskussionsorgie rund um die Grundrente, die beinahe zum Bruch der Koalition geführt hätte.

Auch dieses Thema kocht jetzt wieder hoch, allerdings läuft die Debatte diesmal quer durch die CDU. Der Parlamentarische Staatssekretär Marco Wanderwitz widersprach Forderungen aus seiner Unionsfraktion, dieses mühsam ausgehandelte Projekt zu verschieben. Auf die Frage, ob es dazu eine gemeinsame Haltung der Partei gebe, sagte Ziemiak: "Das war heute kein Thema", es sei nur um Corona gegangen.

© SZ vom 21.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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