Migration:Melonis Mission in Tunesien

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Eine Afrikanerin sitzt am Meer in Sidi Mansour, 270 Kilometer südöstlich von Tunis. Immer wieder sterben Menschen auf der Überfahrt nach Europa. (Foto: Fethi Belaid/AFP)

Mit ihrem Staatsbesuch in Tunis will Italiens Premier Meloni das einstige Vorzeigeland des arabischen Frühlings vor dem Bankrott retten. Aber dahinter steckt noch ein anderer Gedanke. 

Von Mirco Keilberth, Tunis

Italiens Premierministerin Giorgia Meloni wird am Mittwoch zu einem kurzfristig vereinbarten Besuch in Tunesien erwartet. Die Regierungschefin in Rom hatte laut der Presseagentur Agenzia Nova schon am 2. Juni mit Tunesiens Präsidenten Kais Saied telefoniert, um dem nordafrikanischen Land ihre Unterstützung bei den Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) zu versichern. Dem Land mit seinen zwölf Millionen Einwohnern droht wegen mehrerer fälliger Rückzahlungen von Krediten der Staatsbankrott. Die seit der Corona-Pandemie anhaltende Wirtschaftskrise treibt derzeit so viele Menschen nach Europa wie zuletzt 2015. Auch mit kleinen Booten erreicht man von der Halbinsel Kap Bon oder Sfax die italienische Insel Lampedusa in weniger als 24 Stunden. Dem will Meloni entgegenwirken.

28 000 Migrantinnen und Migranten, viermal so viel wie im Vorjahr, haben nach Angaben des Innenministeriums in Rom seit Anfang Januar den italienischen Schengen-Raum erreicht. Quellen aus dem Präsidentenpalast in Tunis-Karthago berichten, dass während des Gesprächs mit Saied die Idee einer Konferenz aller von Migration betroffenen Staaten aufkam. Mit einer gemeinsamen Strategie zusammen mit den Länder Westafrikas, des Sahels und Nordafrikas könnte Italien die Führungsrolle innerhalb der EU beim Thema Migration im südlichen Mittelmeer übernehmen.

Symbolischer Handschlag mit Assad

In Brüssel und Berlin fordert man seit Saieds Putsch im Juli 2021 die Rückkehr zu einer parlamentarischen Demokratie. Doch Saied führt seinen Kampf gegen die moderaten Islamisten der Partei Ennahda und, wie er sagt, gegen "korrupte Parteien und Geschäftsleute" unbeirrt weiter. Sein Handschlag mit Syriens Präsident Baschar al-Assad während des Gipfels der Arabischen Liga gilt unter Menschenrechtsaktivisten der Region als symbolisches Ende des 2011 begonnenen arabischen Frühlings.

Melonis Wahlerfolg beruhte unter anderem auf der Zusage, die Zahl der in auf Lampedusa und Sizilien ankommenden Migranten drastisch zu reduzieren. Die Küstenwachen Tunesiens und Libyens sollen dafür modernisiert und geschult werden, unter anderem in einer von Deutschland finanzierten Militärakademie. Bei einem Besuch in Tunis am 18. Januar warben der italienische Außenminister Antonio Tajani und Innenminister Matteo Piantedosi für eine enge Kooperation. Tunesien und Italien seien beide Opfer von kriminellen Machenschaften der Menschenhändler, sagte Tajani. Man werde illegale Migration eindämmen und legale Migration von tunesischen Fachkräften nach Italien massiv ausweiten. Als die Minister anschließend nach Kairo weiterreisten, um dem Regime von Präsident Abdel Fattah Sisi eine ähnliche Partnerschaft anzubieten, glaubten sie eine wirksame Formel für die Zusammenarbeit mit Autokraten Nordafrikas gefunden zu haben. Kredite als Gegenleistung für den Stopp der nach Freiheit und Demokratie strebenden Jugend.

Doch Saied ließ mit seiner knappen Rede am 21. Februar vor den Generälen und Ministern des Nationalen Sicherheitsrates dann eine Bombe platzen. Die in Tunesien lebenden Migranten aus afrikanischen Ländern südlich der Sahara seien Teil einer Verschwörung gegen den Islam und die arabische Kultur, erklärte der Präsident. Anstatt wie mit Italien abgesprochen nur gegen illegal ins Land gekommene Migranten vorzugehen, verhaftete die Polizei auch westafrikanische Studenten. Aus Angst vor fremdenfeindlichen Mobs stiegen nun Tausende in die Boote nach Italien, anstatt wie geplant in die Heimat zurückgeflogen zu werden. So pulverisierte der tunesische Präsident Melonis wichtigstes Wahlkampfversprechen: die Zahl der Migranten zu reduzieren.

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Bei den Gesprächen in Tunis will Meloni nun Saied davon überzeugen, die von dem Internationalen Währungsfonds geforderten Wirtschaftsreformen anzunehmen, um eine neue Welle tunesischer Migranten zu verhindern. Saied hat trotz seines autokratischen Regierungsstils zwar weiterhin die meisten Tunesier hinter sich. Doch der vom IWF geforderte Abbau der Lebensmittelsubventionen, die von Meloni geforderte Rücknahme ausgewiesener Migranten und der von EU-Politikern gewünschte Bau von Asylcentern könnte zu soziale Unruhen führen. Auch weil die EU ihren Teil des Migrationsabkommens nicht einhält. Selbst auf die Erteilung eines Touristenvisums warten Tunesier derzeit oft mehrere Monate. Die Erteilung eines Arbeitsvisums für Deutschland dauert über ein Jahr.

Unterstützer von Saied, wie die kleine "Nationale Partei Tunesiens," fordern daher die Abkehr von Europa und und den Beitritt des Landes zur Allianz der Brics-Staaten.

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