Wolfgang Schäuble hat in den vergangenen Jahren gern den Demütigen gegeben. Er sei Minister, hat Schäuble oft gesagt, da gelte seine Loyalität der Kanzlerin. Zwar habe er seine eigene Meinung, sei manchmal bestimmt auch nicht einfach im Umgang. Aber Merkel müsse sich keine Sorgen machen, beteuerte Schäuble immer wieder. Das gebiete schon sein Verständnis von der Verfassung.
Schäuble hat zwar gerne geraunt. Er sprach mal vom "unvorsichtigen Skifahrer", der eine Lawine auslöst - und störte sich nicht daran, dass man das als Kritik an Merkels Flüchtlingspolitik verstand. Er adelte Merkels stärksten Widersacher, Jens Spahn, durch ein Doppelinterview im Spiegel - kurz darauf wurde Spahn gegen Merkels Willen ins CDU-Präsidium gewählt. Später machte Schäuble den aufbegehrenden Spahn sogar zu seinem Staatssekretär im Finanzministerium. Und als es darum ging, ob Griechenland die Euro-Zone verlassen sollte, zeigte Schäuble mehr als deutlich, dass er anderer Auffassung ist als die Kanzlerin.
Aber offen gegen Merkel aufbegehrt, das hat Schäuble tatsächlich nie. Das hat sich jetzt schlagartig geändert. Aber Schäuble ist ja auch nicht mehr Minister.
"Es wäre das Beste für das Land, wenn Friedrich Merz eine Mehrheit auf dem Parteitag erhielte", hat Schäuble der FAZ gesagt. Das Beste! Für das ganze Land! Es ist Wolfgang Schäubles Art zu sagen: Merkel muss weg.
Schäuble bricht in dem Interview, darüber kann auch sein Lob für die Arbeit der Kanzlerin nicht hinwegtäuschen, mit Merkel. Er will nicht nur an der Spitze der CDU, sondern auch an der Spitze des Landes einen Wechsel. Warum sollte er sonst sagen, Merz sei das Beste "für das Land"? Und warum sollte er sonst so dick auftragen? Denn Schäuble behauptet ja sogar, dass Merz das ganze "System" wieder "stabilisieren" könnte. Das heißt im Umkehrschluss, dass Merkel das seiner Ansicht nicht mehr ausreichend leistet.
Direkte Kritik am Stil der Kanzlerin
Auch das restliche Interview zeigt, wie weit sich Schäuble von Merkel entfernt hat. Er schimpft, dass man nach der Bundestagswahl so lange für die Regierungsbildung gebraucht habe "und nichts anderes als wieder eine große Koalition hinbekommen" habe. Dazu muss man wissen, dass es Schäuble lieber gewesen wäre, wenn Merkel nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen eine Minderheitsregierung gebildet hätte.
Vor allem aber lobt der Bundestagspräsident Merz in einer Weise, die man nur als direkte Kritik am Stil der Kanzlerin verstehen kann. Schäuble sagt, Merz sei "ein Mann, der mit klaren Konzepten klare Signale sendet, der den Mut hat, nicht nur das Ende einer Diskussion abzuwarten, sondern sie stattdessen zu gestalten". Das stoße "auch mal auf Widerstand", aber das tue der politischen Debatte gut.
Dass Schäuble im Rennen um die Merkel-Nachfolge Merz favorisiert, ist allerdings nicht überraschend, davon sind schon vor dem Interview alle ausgegangen. Die beiden kennen sich nicht nur lange, Merz war von 1998 bis 2000 einer von Schäubles Stellvertretern als Unionsfraktionschef - sie sind auch seit vielen Jahren befreundet. Merz war Gast bei der privaten Feier zu Schäubles 75. Geburtstag. Außerdem haben beide nicht nur erquickliche Erfahrungen mit der Kanzlerin gesammelt, das verbindet.
Angela Merkel löste im Jahr 2000 Schäuble an der CDU-Spitze ab, 2002 übernahm sie von Merz den Vorsitz der Unionsfraktion. Für die beiden Männer war das - zumindest bis heute - das Ende ihres erhofften Weges ins Kanzleramt. Dort sitzt jetzt seit 13 Jahren Merkel. Und als Kanzlerin hat Merkel nichts dafür getan, dass Schäuble wenigstens Bundespräsident wird, dabei wäre er es so gerne geworden. Es gibt nicht wenige in der CDU, die glauben, dass Schäuble und Merz all das bis heute nicht verwunden haben. Die Intensität, mit der die beiden bestreiten, unter offenen Wunden zu leiden, ist eher ein Indiz dafür, dass die Wunden immer noch schmerzen.
Aber warum tritt Schäuble jetzt auch öffentlich und dermaßen eindeutig für Merz ein? Schäuble scheint die Sorge zu haben, dass es für Merz eng werden könnte - und er deshalb dringend der öffentlichen Unterstützung bedarf. Offenbar herrscht in seinem Lager Nervosität. Das Rennen zwischen Merz und Annegret Kramp-Karrenbauer scheint ausgesprochen knapp zu sein. Wer in diesen Tagen mit Vorstandsmitgliedern spricht, bekommt Einschätzungen wie "Es wird 52 zu 48 ausgehen" oder "Es ist so eng, dass es auf die Bewerbungsreden auf dem Parteitag ankommen wird". Es könnten in Hamburg also wenige Stimmen den Ausschlag geben. Dem Lager von Merz bereiten deshalb einige Zahlen Sorge, auf die wegen der ansonsten üblichen klaren Mehrheiten unter normalen Umständen keiner achten würde.
Auf dem Parteitag werden gut ein Drittel der Delegierten Frauen sein. Es wird angenommen, dass sie mit deutlicher Mehrheit für Kramp-Karrenbauer stimmen werden. Für Merz wird es nicht einfach sein, diesen Vorsprung durch ein gutes Abschneiden bei den Männern wieder auszugleichen. Außerdem sind 150 der 1001 Delegierten im Hauptberuf Bundestagsabgeordneter. Sie haben ein Interesse daran, dass es keine vorzeitige Neuwahl gibt. Da sich aber kaum jemand eine dauerhaft gedeihliche Zusammenarbeit zwischen einem CDU-Chef Merz und Kanzlerin Merkel vorstellen kann, dürfte Kramp-Karrenbauer unter den Mandatsträgern nicht schlecht abschneiden. Auch wer eigentlich für Merz ist, wird es sich genau überlegen, ob er mit einem Votum für ihn vielleicht seine eigene Zeit im Bundestag verkürzt.
Und dann ist da noch der dritte Kandidat, Gesundheitsminister Jens Spahn. Der gilt zwar nur als Außenseiter. Aber er fischt im selben Teich wie Merz. Beide treten mit einem eher wirtschaftsliberalen Profil an, und beide stammen aus Nordrhein-Westfalen. Der Landesverband stellt auf dem Parteitag 296 Delegierte. Vor allem in der Jungen Union gibt es Delegierte, die im ersten Wahlgang Spahn wählen wollen - und erst in einer Stichwahl Merz.
Es ist vermutlich Schäubles letzte große politische Schlacht
Auf die Meinungsumfragen kann man wenig geben. Sie bilden ja nur die Stimmung in der Gesamtbevölkerung oder unter den CDU-Anhängern ab. Gewählt wird der oder die neue Vorsitzende aber lediglich von den 1001 Delegierten. Auch die Eindrücke von den acht Regionalkonferenzen, auf denen sich die drei Kandidaten vorgestellt haben, sind deshalb mit Vorsicht zu genießen. Das gilt auch für das Ergebnis der Mitgliederbefragung in Sachsen-Anhalt, bei der 55,8 Prozent der Teilnehmer für Merz, 39,5 Prozent für Kramp-Karrenbauer und 4,7 Prozent für Spahn gestimmt haben. Der Landesverband stellt außerdem nur 18 Delegierte - und dass Merz im Osten besser als Kramp-Karrenbauer abschneidet, davon ist man eh ausgegangen. Alle anderen CDU-Landesverbände haben auf eine Mitgliederbefragung verzichtet.
Das ist die Gemengelage, in der Schäuble sich jetzt öffentlich festgelegt hat. Im Lager von Merz hoffen sie, dass das der Bewerbung des ehemaligen Fraktionschefs noch einmal Schub verleiht - immerhin ist Schäuble so etwas wie der Übervater der CDU. Allerdings befürchten einige Merz-Unterstützer, dass Schäuble zu früh in den Wettbewerb eingegriffen hat. Bis zur Wahl am Freitag könne die Wirkung seines Interviews schon verpufft sein. Auch weil nicht erwartet werde, dass Schäuble auf dem Parteitag das Wort ergreift. Im Lager von Kramp-Karrenbauer hoffen sie sogar, dass das ungewöhnliche Schäuble-Interview bei vielen Delegierten, die der Generalsekretärin nahe stehen, eine "Jetzt-erst- recht-Stimmung" auslöst.
All das sind aber nur Spekulationen. Am Freitagabend wird man wissen, ob Schäuble die vermutlich letzte große politische Auseinandersetzung seines Lebens gewonnen hat - und Merz neuer CDU-Chef ist.