Wahl in Luxemburg:Ampel auf Gelb

Lesezeit: 3 min

"Jeder hat das Recht auf ein Dach über dem Kopf": Demonstration gegen die Wohnungsnot in Luxemburg. (Foto: Simon Wohlfahrt/AFP)

Im Großherzogtum regieren Liberale mit Sozialdemokraten und Grünen. Nach zehn Jahren droht nun das Aus - weil das größte Problem des Landes ungelöst ist.

Von Léonardo Kahn, München

Als 2013 die aktuelle linksliberale Koalition gebildet wurde, war das ein Paradigmenwechsel in der luxemburgischen Politik. Vorher hatte bis auf eine vierjährige Pause stets die christsoziale CSV die Regierung gestellt. Jean-Claude Juncker (CSV) hatte das Land knapp 19 Jahre als Premierminister geführt, bevor er EU-Kommissionspräsident wurde.

Das Bündnis von Liberalen (DP), Sozialdemokraten (LSAP) und den Grünen (déi Gréng), das die Wähler 2018 bestätigten, hat vieles verändert im Großherzogtum. Es führte die gleichgeschlechtliche Ehe ein, baute den öffentlichen Personennahverkehr aus und machte ihn kostenlos für alle Fahrgäste, der Cannabiskonsum wird toleriert - sozialliberale Politik wie aus dem Bilderbuch. Trotzdem könnte die Regierung von Premier Xavier Bettel (DP) in der Parlamentswahl am Sonntag abgewählt werden. Das liegt in erster Linie am Wohnungsmarkt.

Der Mietspiegel ist mehr als doppelt so hoch wie in München

Der Miet- und Kaufpreis von Wohnungen hat sich in den zwei Legislaturperioden verdoppelt. In Luxemburg-Stadt sind die Preise vergleichbar mit denen im Stadtzentrum von Paris und London, in der Provinz sieht es kaum besser aus. Der Mietspiegel ist mehr als doppelt so hoch wie in München.

Studierende und Berufsanfänger können sich in Luxemburg keine Wohnung leisten und ziehen in die Nachbarländer, obwohl das Durchschnittseinkommen mit 72 200 Euro eines der höchsten weltweit ist. Die Wohnungsnot und die schwindende Kaufkraft sind daher die wichtigsten Wahlkampfthemen, wie Recherchen der Universität Luxemburg bestätigen. Die Klimapolitik kommt an dritter Stelle.

Für die Grünen könnte der Wahlsonntag deswegen schlecht ausgehen, laut Umfragen werden sie einen Sitz in der Abgeordnetenkammer verlieren. Die Koalition käme dann nur noch auf 30 der 60 Sitze im Parlament, ihre knappe Mehrheit wäre dahin. Die luxemburgische Ampel steht nach zehn Jahren kurz vor dem Aus.

Die Anliegen der Wähler sind "materialistischer" geworden

Die Spitzenkandidatin der Grünen, Sam Tanson, erklärt die schlechten Umfragewerte so: Die "Krisenbelastbarkeit" der Wählerschaft stoße nach der Pandemie und wegen des Kriegs in der Ukraine an ihre Grenzen. "Wäre Politik eine Hausarbeit, hätten wir eine ,bonne note', da wir unsere Wahlversprechen eingelöst haben", sagt sie. Der kostenlose ÖPNV, die neue Straßenbahn in der Hauptstadt, hohe Kaufprämien für Elektrofahrzeuge und Fahrräder waren Forderungen ihrer Partei, die in der Bevölkerung nicht nur gut ankommen, sondern sogar einen gewissen Nationalstolz erzeugt haben. Warum honorieren die Wähler das nicht?

Kein Heizungsgesetz geplant: Sam Tanson, Spitzenkandidatin der Grünen. (Foto: Roman Vondrous/Imago)

Tanson klagt über Kritik an den deutschen Grünen, die nach Luxemburg "herüberschwappt", wie sie sagt. Ein Drittel der Bevölkerung schaut deutsches Fernsehen. "Ich musste auf Wahlveranstaltungen oft erklären, dass wir kein Heizungsgesetz planen", sagt Tanson, die Kultur- und Justizministerin ist. Tatsächlich warnte auch die rechte Partei ADR in sozialen Medien vor einem Öl- oder Gasheizungsverbot.

Empirisch lässt sich jedoch kein Zusammenhang zwischen deutscher Grünen-Kritik und luxemburgischem Wahlverhalten finden. Das ergeben die Recherchen der Universität Luxemburg. Vielmehr seien die Anliegen der Wählerschaft in den vergangenen fünf Jahren "materialistischer" geworden, sagt der Politikwissenschaftler Philippe Poirier, "post-materialistische" Ziele wie Umweltschutz und Gleichberechtigung verlören hingegen an Bedeutung, selbst in der Erstwählerschaft. Und obwohl die Immobilien-Debatte andere Wahlthemen überschattet, wünschen sich nicht alle eine Senkung der Preise.

Luxemburg, eine Eigentumsdemokratie

Von den knapp 650 000 Einwohnern sind lediglich die Hälfte (50,7 Prozent) luxemburgische Staatsbürger und somit wahlberechtigt. Im Gegensatz zu den Ausländern im Land besitzen achtzig Prozent der Luxemburger eine Wohnung, Wirtschaftsexperten sprechen von einer Eigentumsdemokratie. Die Luxemburger haben in den vergangenen Jahrzehnten mit ihren Immobilien hohe Gewinne erzielt. Eine Drosselung des Markts bedeutet für die Eigentümer auch Kapitalverlust.

Um den Wohnungsbau anzukurbeln, will die christsoziale CSV daher, wie zu Junckers Zeiten, Investoren mit Steuererleichterungen anlocken. Ein Vorschlag, der den Bauunternehmern gefällt. Einer der einflussreichsten im Land, Marc Giorgetti, lud zwei Wochen vor der Wahl auf seine private Feier auch Politiker ein, unter ihnen CSV-Spitzenkandidat Luc Frieden. Im Kleinstaat sind Politik und Wirtschaft eng miteinander verknüpft.

Mit Steuererleichterungen gegen die Wohnungsnot: der christsoziale Spitzenkandidat Luc Frieden. (Foto: imago/imago)

Die Christsozialen könnten laut Umfragen stärkste Kraft bleiben, ohne ihr bisheriges Wahlergebnis von 28 Prozent zu verbessern. Als Jean-Claude Juncker Parteichef war, lagen sie zehn Prozentpunkte höher. Der Ex-Premier lässt manche nostalgisch werden. Deshalb nahm er an einer Wahlveranstaltung seiner Partei teil, jedoch nur als stiller Begleiter. Die CSV sieht sich als Regierungspartei, mit der Oppositionsrolle hat sie sich in zehn Jahren nicht abfinden können.

Und vielleicht muss sie das auch nicht länger. Zusammen mit den Liberalen könnte es knapp werden, das Wahlergebnis der Partei von Regierungschef Bettel könnte sich laut Umfragen sogar leicht verschlechtern. Eine große Koalition mit der sozialdemokratischen LSAP hingegen ergäbe die stabilste Mehrheit im Parlament. Auf den rechten Flügeln der Liberalen und der Sozialdemokraten gibt es durchaus Befürworter einer Koalition mit den Christsozialen. Die Wohnungsbauprogramme der Liberalen und der CSV ähneln sich, auf der Feier des Bauunternehmers Giorgetti war auch die liberale Hauptstadt-Bürgermeisterin Lydie Polfer anwesend.

Alle Nachrichten im Überblick
:SZ am Morgen & Abend Newsletter

Alles, was Sie heute wissen müssen: Die wichtigsten Nachrichten des Tages, zusammengefasst und eingeordnet von der SZ-Redaktion. Hier kostenlos anmelden.

Von den vier großen Parteien kann voraussichtlich nur die sozialdemokratische LSAP ihr Wahlergebnis verbessern. Der von ihr gestellte Außenminister Jean Asselborn und die Gesundheitsministerin Paulette Lenert sind die beliebtesten Politiker im Land. Die Spitzenkandidatin Lenert konnte ihr Ansehen in der Pandemie im Gegensatz zu ihrem deutschen Pendant stark steigern.

Auf Platz eins in der Beliebtheitsskala: der sozialdemokratische Außenminister Jean Asselborn. (Foto: Christoph Hardt/imago images)

Insgesamt verlieren die Großparteien an Zuspruch, die luxemburgische Politiklandschaft fragmentiert sich. In der Opposition können die Piraten voraussichtlich viele Protestwähler binden, mehr als die Linke (déi Lénk) und die rechte ADR. Deswegen werden am Sonntag vermutlich wenige Stimmen darüber entscheiden, wie die nächste luxemburgische Regierung aussehen wird.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusBelgien
:Ein Urteil, das Belgien aufwühlt

Der schwarze Student Sanda Dia ist von Mitgliedern einer Studentenverbindung zu Tode gequält worden, seine Peiniger kamen mit milden Strafen davon. Vor allem junge Menschen demonstrieren seither gegen eine "Klassenjustiz". Nun befeuert ein bekannter Youtuber die Proteste, indem er einige Verurteilte beim Namen nennt.

Von Thomas Kirchner

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: