Linkspartei:Die neue Linken-Spitze hat ein Lager-Problem

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Stehen seit Ende Februar an der Spitze der Linkspartei - und vor großen Aufgaben: Susanne Hennig-Wellsow (links) und Janine Wissler. (Foto: Christian Marquardt/Pool/Getty Images)

Die frisch gewählten Vorsitzenden Hennig-Wellsow und Wisser wollen mit Blick auf die Bundestagswahl eng zusammenstehen. Doch eine wichtige Gruppe ist in der Parteispitze überhaupt nicht mehr vertreten.

Von Boris Herrmann, Berlin

Es gibt schwerere Schicksale als das von Janine Wissler. Aber da wird man einmal im Leben Parteivorsitzende und dann kann man nicht mal abends mit den Genossinnen und Genossen ein Bier trinken. Das ärgert sie schon ein bisschen. Außerdem fällt ihr, der Überzeugungsfrankfurterin, gerade ein, dass sie jetzt ja dringend eine Wohnung in Berlin braucht. Der berüchtigte Berliner Mietmarkt, na danke! "Wohnungen sind kein Renditeobjekt, Wohnen ist ein Menschenrecht", hat sie in ihrer Rede gesagt - ein Recht, dass sie nun vielleicht auch gerne für sich selbst in Anspruch nehmen würde.

Wissler, 39, ist gerade ein ganzes Stück berühmter geworden. Mehr als 84 Prozent der Delegierten haben sie in die neue Doppelspitze der Linken gewählt. In dieser stark zersplitterten Partei ist das ein mehr als beachtliches Ergebnis. Eben noch war sie eine hessische Oppositionspolitikerin, die ihre Pressetermine selbst organisierte. Jetzt gehört sie zu den wichtigsten politischen Figuren im Hauptstadtbetrieb. Sie hat es so gewollt, aber dies ist auch der Moment, in dem Wissler realisiert, was sie sich damit an kleinen Nebenwirkungen eingehandelt hat.

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Gerade steht sie im Innenhof eines Kreuzberger Veranstaltungszentrums. Drinnen mäandert immer noch der streng zugangslimitierte Online-Parteitag auf die abschließende "Internationale" zu. Die Kamerateams der Fernsehsender haben sich aber längt draußen vor der Tür für ihre Siegerinterviews aufgereiht - bei Temperaturen, die auch nicht höher sind als die Umfragewerte der Linken. Wisslers erste Prüfung als Parteichefin besteht darin, auch komplett durchgefroren noch fröhlich den Aufbruch ins Superwahljahr auszustrahlen. Es klappt erstaunlich gut.

Ihre künftige Co-Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow, 43, wirkt trotzdem ein bisschen wetterfester. Das mag damit zu tun haben, dass die ehemalige Eisschnellläuferin Kälte gewohnt ist. Vielleicht liegt es auch an ihrem dickeren Anorak. Hennig-Wellsow sitzt ein wenig abseits vom Kameratrubel auf einer Steintreppe und bringt ihre Stimmung mit einem Wort zum Ausdruck: "Läuft!"

Hennig-Wellsow hat deutlich mehr riskiert

Dabei ist es auf den ersten Blick für die thüringische Landes- und Fraktionsvorsitzende an diesem Tag nicht ganz so gut gelaufen wie für Wissler. Hennig-Wellsow erhielt 70,5 Prozent der Stimmen, also deutlich weniger als ihre hessische Kollegin.

Allerdings hat sie in dieser Wahl auch in dreierlei Hinsicht mehr riskiert. Erstens, indem sie im Vorfeld das, was sie ihren "radikal-pragmatischen Ansatz" nennt, also den erklärten Wunsch nach einer Regierungsbeteiligung im Bund, besonders offensiv vertrat. Sie tat das wohl wissend, dass die Aufzählung all dessen, was mit der Linken niemals zu machen sei, ihr wohl mehr Stimmen eingebracht hätte.

Zweitens hatte sie zwar eine Bewerbungsrede geschrieben, diese dann aber im letzten Moment weggelegt und frei gesprochen. Weil sie das Gefühl hatte: "Was ich sagen und an Motivation vermitteln will, das kann man nicht ablesen."

Und drittens überließ sie Wissler auch noch den Platz auf der konkurrenzlosen Liste zur Sicherung der Frauenquote, während sie selbst sich zwei männlichen Gegenkandidaten stellte. Die waren zwar so unbekannt wie chancenlos, trotzdem strich einer der beiden mit seinem Ich-bin-gegen-alles-Vortrag satte 20 Prozent vom radikalen Utopisten-Flügel ein.

Abstimmung über die Bündnisfähigkeit der Außenpolitik der Linken

Hennig-Wellsow interessiert sich aber vor allem für die Gegenrechnung. Mehr als zwei Drittel der Partei hätten damit ja ihren Kurs bestätigt. "Das finde ich schon ziemlich ermutigend", sagt sie. Von dem Parteitag nimmt sie mit, dass es in der Linken "offenbar überhaupt keine Differenz" mehr gibt, "wenn es darum geht, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um das Leben im Hier im Jetzt zu verändern".

An der Stelle kippt ihr Radikal-Optimismus ein wenig ins Realitätsfremde. Wie diese Linke nämlich auch immer noch tickt, das zeigt der Fall von Matthias Höhn. Der Verteidigungsexperte im Bundestag hatte neulich in einem Positionspapier für eine realistischere linke Außenpolitik geworben. Er rief seine Partei dazu auf, friedenserhaltende Auslandseinsätze der Bundeswehr nicht mehr kategorisch abzulehnen und Menschenrechtsverletzungen überall gleichermaßen zu ächten, also auch in Ländern wie Russland, Kuba oder Venezuela.

Am Wochenende bewarb er sich um einen Stellvertreterposten im Parteivorstand - und scheiterte. In der Stichwahl unterlag er dem friedenspolitischen Sprecher der Bundestagfraktion, Tobias Pflüger, einem erklärten Gegner aller Auslandseinsätze. Es war auch eine Abstimmung über die Bündnisfähigkeit der Außenpolitik der Linken. Und mithin eine Niederlage für Hennig-Wellsow.

Für das neue Führungsduo ergibt sich daraus aber noch ein weiteres Problem. Mit Höhn hat vor allem das einst so einflussreiche ostdeutsche Reformer-Lager um Fraktionschef Dietmar Bartsch verloren. Dieses Netzwerk ist nun überhaupt nicht mehr im engeren Führungszirkel der Partei vertreten.

Hennig-Wellsow will in den Bundestag, Wissler hält sich bedeckt

Was auch daran liegt, dass der Parlamentarische Fraktionsgeschäftsführer Jan Korte von ursprünglichen Erwägungen absah, gegen Wissler und Hennig-Wellsow anzutreten. Daraufhin wollten die Reformer mit Thomas Westphal, einem Mitarbeiter von Bartschs Fraktionsbüro, zumindest Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler herausfordern. Aber Westphal zog seine Kandidatur im letzten Moment zurück - offenbar auch auf Betreiben der neuen Doppelspitze.

Was zunächst wie ein Erfolg für Wissler und Hennig-Wellsow aussah, erweist sich nun als Bürde. Es dürfte den beiden Frauen in ihrem Ziel, die Reihen zu schließen, nicht helfen, wenn sich die Bartsch-Leute im Karl-Liebknecht-Haus komplett unterrepräsentiert fühlen

Janine Wissler hatte in ihrer Bewerbungsrede nicht nur mit ihrem Aufruf zum Klassenkampf die Herzen der Genossen gewärmt. Sie sprach wohl auch vielen aus der Seele, als sie sagte: "Manchmal diskutieren wir uns über Dinge die Köpfe heiß, die kein Außenstehender versteht, manchmal nicht mal wir selber." Die Gefahr, dass solche Diskussionen weiterlaufen, ist mit dem Gesamtergebnis dieses Parteitags nicht ausgeräumt.

Wissler hält sich noch seltsam bedeckt, ob und wann sie ihre Geschäfte als Fraktionsvorsitzende in Hessen aufgibt, wann sie ihren Hauptwohnsitz nach Berlin verlagert, ob sie überhaupt für den Bundestag kandidiert.

Weil aber die Uhr tickt bis zur Bundestagswahl, sieht sich Hennig-Wellsow dadurch umso mehr in der Pflicht, für klare Verhältnisse zu sorgen. Sie will in den kommenden Tagen den Landes- und den Fraktionsvorsitz in Thüringen niederlegen. Für sie ist es als Parteivorsitzende mit Regierungsverbesserungsanspruch eine Selbstverständlichkeit, sich um ein Bundestagsmandat zu bewerben.

Wenn Susanne Hennig-Wellsow in einem kalten Berliner Innenhof sagt, man müsse "hier und jetzt" etwas verbessern, dann meint sie das wörtlich.

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