Linkspartei:Jetzt aber wirklich

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Am Nato-Hauptquartier "niederknien"? Spitzenkandidat Dietmar Bartsch hatte jüngst einen Wutausbruch zum Thema Verteidigungsbündnis. (Foto: Clemens Bilan/Pool/Getty Images)

Die Linken-Führung hat Hunger auf Regierungsverantwortung, die einzige Option dafür ist Rot-Grün-Rot. In Partei und Fraktion aber gibt es durchaus noch die alten Ideologen und Putin-Versteher, die so einem Bündnis im Weg stehen.

Von Boris Herrmann

Dietmar Bartsch, der Fraktionschef und Spitzenkandidat der Linken, hat dieser Tage ein Wort erfunden, das realistische Chancen hat, die täglichen Erregungswellen des Wahljahres 2021 zu überdauern. Es lautet: "Bekenntnisquatsch".

Ginge es allein nach dem Pragmatiker Bartsch, stünde die Forderung nach der Auflösung der Nato vermutlich nicht mehr im Wahlprogramm der Linken. Aber Teilen der friedensbewegten Basis ist das ein zentrales Anliegen, deshalb steht es weiterhin drin. Und die politische Konkurrenz, inklusive der potenziellen Koalitionspartner, nimmt das gerne zum Anlass, um die Linke am Nasenring durch die Arena zu führen. Annalena Baerbock, die Kanzlerkandidatin der Grünen, hat die Linkspartei aufgefordert, "zur Nato zu stehen". Olaf Scholz, SPD, wünscht sich sogar, dass dieses Bekenntnis "von Herzen" kommt.

Es lohnt sich, Bartschs jüngsten Wutausbruch in dieser Sache noch einmal in voller Schönheit zu genießen: "Was ist denn eigentlich mit Bekenntnis gemeint? Sollen wir beide (er meinte sich und seine Co-Spitzenkandidatin Janine Wissler; Anm. d. Red.) mal zum Nato-Hauptquartier fahren, da niederknien und sagen: Wir bekennen uns?" Es müsse jetzt um Politik gehen, nicht um "Kasperletheater" und diesen Bekenntnisquatsch, sagte Bartsch. Daraus lässt sich zwischen den Zeilen aber ein ganz anderes Bekenntnis extrahieren. Nämlich das der Linken zu Rot-Grün-Rot.

SPD und Grüne mögen sich alle möglichen Farbkombinationen offenhalten. Die Linke aber wird, wenn überhaupt, nur eine Option haben. Und die will sie diesmal nutzen. Keiner der maßgeblichen Köpfe in Partei und Fraktion lässt daran einen Zweifel.

Man müsse das Leben der Menschen im Hier und Jetzt verbessern, fordert die Co-Chefin

Schwarz auf weiß belegt ist das jetzt in einem Papier der Linken, das die Sehnsucht zum Mitregieren bereits im Namen trägt: "Sofortprogramm für einen Politikwechsel". Es ist nichts anderes als ein Bewerbungsschreiben für eine Regierungsbeteiligung. Kernbotschaft: "Die Linke steht für Klarheit und Verlässlichkeit, wenn es um die Zukunft unseres Landes geht."

Treibende Kraft dieses Kurses ist die Co-Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow, die Regierungserfahrung aus Thüringen mitbringt. Die Linke müsse das Leben der Menschen im Hier und Jetzt verbessern, anstatt sich hinter den alten Parolen zu verschanzen, lautet ihre Devise. Seit Wochen bereitet Hennig-Wellsow ihre Partei im Hintergrund auf mögliche Sondierungsgespräche vor. Inzwischen sagt selbst Janine Wissler, die regierungsskeptischere Hälfte der Doppelspitze: Wenn man etwas wolle, suche man Wege. Wenn man etwas nicht wolle, suche man Gründe, "wir sind bereit, Wege zu suchen".

Es gab Zeiten, sie liegen noch gar nicht so weit zurück, da verbarrikadierten unzählige Dinge den Weg zu einem Linksbündnis auf Bundesebene - angefangen bei den enormen Egos von Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder. Dass die Linkspartei überhaupt existiert, ist nicht zuletzt mit dieser sehr nachhaltig zerbrochenen Männerfreundschaft zu erklären. Große inhaltliche Differenzen gab es nicht nur in der Friedenspolitik, sondern auch in der Sozial-, der Steuer- und der Wirtschaftspolitik. Schließlich war da noch die Vergangenheit der einstigen PDS als Rechtsnachfolger der SED, die diese Partei zur Außenseiterin im Bundestag degradierte, ungeachtet aller Namenswechsel.

Die heutige Linke ist aber keine Ostpartei und keine Protestpartei mehr, große Teile ihrer Mitglieder, zumal im Westen, wurden nach der Wende geboren. Sie regiert in drei Bundesländern mit (Thüringen, Bremen, Berlin), stellt in Bodo Ramelow einen Ministerpräsidenten, und im Parteiprogramm liest man vieles, was so ähnlich auch bei SPD und Grünen stehen könnte: höherer Mindestlohn, Kindergrundsicherung, Energiewende, Verkehrswende, bezahlbare Mieten.

Die außenpolitische Flanke bleibt die große Problemzone fürs Mitregieren

Wenn man die aktuelle Diskussion herunterbricht, scheinen einem Linksbündnis - neben der Grundvoraussetzung, dass es erst einmal vom Wähler rechnerisch ermöglicht werden muss - offenbar nur noch vier Buchstaben im Weg zu stehen: N, A, T und O.

Zweifellos bleibt die außenpolitische Flanke die große Problemzone einer Linkspartei, die mitregieren will. Der berüchtigte Arbeitskreis VI für Außenpolitik in der Bundestagsfraktion ist so etwas wie ein Sammelbecken der alten Ideologien, der Fundamentalisten und Putin-Versteher. Er wird von Heike Hänsel geleitet, die aus ihrer Sympathie für den venezolanischen Autokraten Nicolás Maduro kein Geheimnis macht. Hänsel gehörte auch zu jenen sieben Abgeordneten der Linken, die neulich im Bundestag gegen die Afghanistan-Rettungsaktion gestimmt haben, während sich die große Mehrheit der Fraktion zumindest enthielt.

Die Linke ist nun mal eine Fusionspartei, die unterschiedlichste Strömungen vereint. Um des inneren Friedens willen können die maßgeblichen Pragmatiker auch die Pazifisten, Trotzkisten und Antikapitalisten nicht völlig ignorieren, schon allein deshalb nicht, weil die Basis einen etwaigen Koalitionsvertrag billigen müsste. Die Parteispitze ist deshalb darum bemüht, den Fokus auf innenpolitische Themen zu lenken. In ihrem Sofortprogramm taucht weder das Wort "Nato" auf noch die bisherige Forderung, alle Auslandseinsätze der Bundeswehr zu beenden. Diese sollen jetzt vielmehr "auf den Prüfstand gestellt werden". Wer könnte da bei SPD und Grünen Einwände haben?

Wenn ein rot-grünes-rotes Bündnis scheitert, dann wird es wohl nicht an der Führungsriege der Dunkelroten scheitern.

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