Jetzt macht er also doch noch einmal weiter, zumindest vorübergehend. Dietmar Bartsch, der Mitte August überraschend angekündigt hatte, sich nach acht Jahren vom Fraktionsvorsitz der Linken im Bundestag zurückzuziehen, überrascht diesmal mit einem einstweiligen Rückzug vom Rückzug. "Ich bin als Fraktionsvorsitzender im Amt", sagte Bartsch am Dienstag im Reichstagsgebäude. Und daran wird sich auch bis auf Weiteres nichts ändern.
Der Grund für diese neuerliche Volte bei den Linken ist denkbar simpel: Sie haben bislang schlichtweg keine mehrheitsfähige Nachfolgelösung für Bartsch gefunden. Die ursprünglich auf den 4. September angesetzte Neuwahl der Fraktionsspitze musste mangels Kandidaten kurzfristig abgesagt werden.
Keiner will's machen - alle warten ab
Bartschs bisherige Co-Fraktionsvorsitzende Amira Mohamed Ali hört dagegen zum 25. Oktober auf. Vieles deutet darauf hin, dass sie sich demnächst wohl der - noch nicht gegründeten - Partei ihrer engen Vertrauten Sahra Wagenknecht anschließen wird. Bartsch wird die Linksfraktion also bis auf Weiteres allein anführen. Ein entsprechender Beschluss soll am Dienstag in der Fraktionssitzung einstimmig gewesen sein.
Das Führungsvakuum an der Spitze der kleinsten Bundestagsfraktion ist damit aber allenfalls notdürftig abgedeckt. Unter 38 Abgeordneten scheint es derzeit niemanden zu geben, der diese Aufgabe von Bartsch übernehmen möchte. Das hat auch mit der allseits erwarteten Spaltung zu tun. Sobald Wagenknecht die Gründung ihres eigenen politischen Projekts offiziell bekannt gibt - und mit ihr mindestens ein weiteres Mitglied die Fraktion verlässt - würde die Linke ihren Fraktionsstatus verlieren. Und dann bräuchte es auch keine Fraktionsvorsitzenden mehr. Die zu vergebenden Chefposten sind also alles andere als Karrieresprungbretter.
Für die Besetzung der Fraktionsspitze haben die beiden Parteivorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan ein Vorschlagsrecht, von dem sie zu dem anberaumten Termin Anfang September aber keinen Gebrauch machten. Hinten den Kulissen bemühten sich beide seit Wochen um eine tragfähige Lösung. Das scheint nun eine Notlösung zu sein: Der ewige Bartsch macht doch noch ein bisschen weiter.
Wird Bartsch seinen eigenen Laden abwickeln müssen?
Bartsch, 65, ist seit 2015 Vorsitzender der Linksfraktion, zunächst gemeinsam mit Wagenknecht, seit 2019 mit Mohamed Ali. Diese hatte ihren Rückzug auch damit begründet, dass Wagenknecht in der Linken gemobbt werde. Laut Bartsch hatte seine ursprüngliche Entscheidung, sein Führungsamt abzugeben, aber nichts damit zu tun, dass die Linksfraktion kurz vor ihrem Zerfall steht. Er habe das eigentlich schon vor der letzten Bundestagswahl beschlossen, sagte er im August. Dass es so schwer werden würde, seinen Job loszuwerden, ahnte er damals offenbar noch nicht.

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Der jetzigen Zwischenlösung mit Bartsch liegt folgender Gedanke zugrunde: Wenn dieser Chefposten eh bald nicht mehr existiert, dann soll es bis zum bitteren Ende am besten jemand machen, der diesen Job schon längere Zeit erträgt. Gemessen daran, dass Bartsch jetzt wohl die Aufgabe zufallen wird, seinen eigenen Laden abzuwickeln, klang er am Dienstag recht motiviert: "Gehen Sie davon aus, dass die Fraktion weiterhin ihre Aufgaben wahrnehmen wird im Bundestag - jedenfalls solange es die Fraktion gibt."