Lebensmittelverschwendung:Ein Müllberg zum Essen

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Hier ist das sogenannte Containern erlaubt: Ein Supermarkt in Bremen erlaubt ausdrücklich, dass aus seinen Mülltonnen Lebensmittel genommen werden dürfen. (Foto: Carmen Jaspersen/dpa)

Ein Dialogforum soll unter Leitung des Landwirtschaftsministeriums die Lebensmittelabfälle von etwa zwölf Millionen Tonnen im Jahr halbieren. Ex-Ministerin Renate Künast kritisiert, es gehe alles viel zu langsam. Und stellt die Systemfrage.

Von Thomas Hummel, München

Würde man die Menge der in Deutschland weggeworfenen Lebensmittel auf einen Haufen werfen, es käme ein respektabler Berg zusammen. Etwa zwölf Millionen Tonnen werden hierzulande pro Jahr entsorgt, das meiste davon ist noch genießbar und zum Verzehr geeignet. In den Nachbarländern sieht es nicht viel besser aus, die Europäische Union verzeichnet etwa 88 Millionen Tonnen Essensabfälle.

Die EU hat sich vor einigen Jahren das Ziel gesetzt, diese Berge bis 2030 zu halbieren, die Bundesregierung schloss sich dem an. Julia Klöckner (CDU), Ministerin für Landwirtschaft und Ernährung, verkündete Anfang 2019 eine "nationale Strategie" gegen die Verschwendung. Doch Kritiker bemängeln, dass sich bislang viel zu wenig tut. Klöckners Vorgängerin im Amt, Renate Künast von den Grünen, sagte der SZ: "Mit den aktuellen Maßnahmen und bei dem Tempo kann ich mir nicht vorstellen, dass Deutschland die Menge an weggeworfenen Lebensmitteln halbiert." Es fehle der Ehrgeiz und alles gehe zu langsam.

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Die CDU-Ministerin Klöckner hat häufig erklärt, entschlossen gegen die Wegwerfmentalität vorgehen zu wollen. Lebensmittelverschwendung sei angesichts von etwa 800 Millionen Hungernden auf der Welt, des Ressourcenverbrauchs bei der Herstellung und den daraus entstehenden Treibhausgasemissionen "schlichtweg ethisch nicht vertretbar", schrieb sie in einem Beitrag für die Welt. Sie setzt auf Freiwilligkeit und Gesprächsrunden.

So tagt an diesem Mittwoch zum zweiten Mal das Nationale Dialogforum zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung, dort geben Vertreter der fünf untergeordneten Foren für alle Bereiche der Lebensmittelkette erste Berichte ab. Allerdings arbeiten die Runden für Primärproduktion und Verarbeitung erst seit Kurzem, auch in den Bereichen Groß- und Einzelhandel, Außer-Haus-Verpflegung und private Haushalte soll es bislang an verbindlichen Zielen fehlen.

"Ohne rechtliche Vorgaben wird es nicht gehen"

Angesichts der nahenden Bundestagswahlen rechnet Künast nicht mehr damit, dass in dieser Legislaturperiode noch feste Vereinbarungen getroffen werden. Sie bezweifelt, dass der Ansatz der Freiwilligkeit funktioniert. "Ohne rechtliche Vorgaben wird es nicht gehen. Da könnten wir vom Ausland lernen", sagte die 65-Jährige. In Frankreich dürfen große Supermärkte genießbare Lebensmittel nicht wegwerfen, diese müssen zum Beispiel gespendet werden. Italien schützt Lebensmittelspender vor Strafen, wenn sie Essen weitergeben, das am Ende doch verdorben ist.

In Deutschland hemmt dieses Haftungsrisiko die Spendenbereitschaft. Die Bundesregierung erklärte auf eine Anfrage der Grünen-Fraktion, dass sie den Schutz der Endverbraucher auch bei gespendeten Lebensmitteln durch gemeinnützige Organisationen oder soziale Einrichtungen nicht aufweichen werde. Auch das sogenannte Containern, also das Entnehmen von Lebensmitteln etwa aus dem Müll von Supermärkten, ist noch nicht entkriminalisiert. Immerhin wurde zuletzt der Umstand behoben, dass Lebensmittelhändler auf gespendete Waren noch Umsatzsteuer entrichten mussten, während das Wegwerfen gratis war.

Und so deutet sich im Dialogforum eine Debatte über Detailfragen in den jeweiligen Sektoren an. Künast fordert hingegen einen Systemwechsel, weg von Strukturen, "in dem immer alles überall vorhanden sein muss". Zwei Minuten vor Ladenschluss könnten Kunden noch die weltweite Palette von Obst und Gemüse kaufen. "Darin liegt ein Fehler. Weniger wäre mehr. Saisonaler und regionaler wäre mehr." Die Bundesregierung müsse sich etwa für eine andere EU-Agrarpolitik einsetzen, stattdessen biete Klöckners Ministerium Anleitungen, was man mit Lebensmittelresten noch alles kochen könne. Zum Ärger der Grünen-Politikerin: "Dazu brauche ich kein Ministerium."

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