Landwirtschaft:Druck auf Özdemir von allen Seiten

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Nicht bewirtschaftete Flächen wie Blühstreifen sollen Insekten und anderen Wildtieren Lebensraum bieten. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Sollen Bauern vier Prozent ihrer Flächen dem Artenschutz überlassen oder nicht? Agrarminister Özdemir muss die Entscheidung am Donnerstag nach Brüssel melden und hat sich einen Kompromiss überlegt. Doch die FDP ist dagegen.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Cem Özdemir ist in Not. Seit Wochen parken immer mal wieder Traktoren vor seinem Ministerium, und damit er die Bauern darin nicht vergisst, hupen sie hin und wieder. Mit den Landwirten und ihrem Bauernverband will sich der grüne Landwirtschaftsminister lieber nicht anlegen. Aber er ist eben auch ein Grüner. Da macht es sich schlecht, die Umweltverbände zu verprellen. Eins von beidem wird aber in den nächsten Stunden passieren.

Bis diesen Donnerstag, 23.59 Uhr, soll Özdemir nach Brüssel die deutsche Linie zu einer Stützungsmaßnahme für die Landwirtschaft kabeln. Die EU-Kommission, die an niemanden so viel Geld ausschüttet wie an Europas Bauern, will eine der verpflichtenden Gegenleistungen aussetzen: Die Pflicht, auf vier Prozent ihrer Flächen Hecken oder Bäume zu pflanzen oder sie sich selbst zu überlassen. Diese "nicht produktiven Flächen" sollen jenen Pflanzen und Lebewesen Rückzugsorte bieten, die in einer zunehmend intensiven Landwirtschaft anderswo keinen Platz mehr finden.

Neue Regeln für die Landwirte? Die FDP findet, das Fass sei voll

Für die Landwirte, die auch für diese Flächen die übliche Basisprämie von gut 150 Euro bekommen, ist diese Pflicht lästig. Schließlich könnten sie auf diesen Flächen auch Feldfrüchte anbauen. Für Hecken oder Blühstreifen erhalten sie bisher erst Sonderprämien jenseits der vier Pflicht-Prozent. Dort winken bis zu 1300 Euro pro Hektar.

In seiner Not ersann Özdemir einen Kompromiss, zusammen mit dem Umweltministerium der Parteifreundin Steffi Lemke. Demnach soll zwar die Vier-Prozent-Pflicht fallen. Das heißt, die Landwirte könnten dort anbauen oder sich die Sonderprämie für Brachflächen ab dem ersten Hektar holen. Für dieses Entgegenkommen aber will Özdemir Geld für weitere Umweltleistungen mobilisieren, etwa für die Bewirtschaftung von Weiden. Und dafür die 150-Euro-Basisprämie etwas schrumpfen. Özdemir hoffte, so beide Seiten zufriedenstellen zu können, Landwirte und Umweltschützer. Auch die SPD findet das gut. "Die Grundzüge gehen in die richtige Richtung", sagt Fraktionsvize Matthias Miersch. Doch die FDP ist anderer Meinung.

"Wir müssen weg von diesen Koppelgeschäften", sagt etwa deren stellvertretende Fraktionsvorsitzende Carina Konrad. Die Landwirtschaft habe "keinen Nerv mehr" für immer neue Regeln. "Das Fass ist mehr als voll", findet sie. Das sieht der Bauernverband ganz ähnlich.

Die Gegenseite ist auch nicht untätig. Per Brief haben Umwelt- und Landwirtschaftsverbände an Kanzler Olaf Scholz appelliert, die Hecken- und Brachenpflicht nicht ersatzlos aufzuweichen. "Der Vorschlag bedeutet einen maximalen ökologischen Schaden bei minimalem ökonomischem Nutzen", schrieben sie. Eine Kompensation über andere Öko-Regeln sei dagegen denkbar.

Wasserversorger warnen vor noch mehr Düngemitteln auf den Feldern

Auch die Wasserwirtschaft warnt. Denn wenn künftig die bisher nicht produktiven Flächen doch wieder produktiv werden sollten, wird dort auch gedüngt. "Die in einigen Regionen ohnehin hohe Nitratbelastung im Grundwasser, in Oberflächengewässern und im Boden droht sich dadurch noch weiter zu verschärfen - mit erheblichen Folgen für die Natur und den Gewässerschutz", warnt eine Verbände-Allianz um den Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft BDEW.

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Längst hat sich auch das Kanzleramt eingeschaltet, doch Treffen mit beteiligten Ministerien aller Koalitionspartner blieben ergebnislos. Auch der Plan, das Kabinett am Mittwoch mit der Entscheidung zu befassen, scheiterte - es gab schlicht noch keine. Aus dem Landwirtschaftsministerium wiederum heißt es, Özdemir werbe weiterhin für seinen Kompromissvorschlag. Immerhin kann er sich auf die Ergebnisse der breit angelegten Zukunftskommission Landwirtschaft berufen, die genau so eine Verschiebung von Mitteln empfohlen hatte - weg von der sturen Basisprämie je Hektar, hin zu mehr Geld für ökologische Gegenleistungen.

Ohne Einvernehmen in der Koalition allerdings kann er das nicht nach Brüssel melden. Theoretisch hätte Özdemir damit ein gigantisches Machtmittel, denn wenn er an diesem Donnerstag gar nichts macht, bleibt es bei den derzeitigen Regeln. Dann gibt es auch weiterhin die Pflicht, vier Prozent der Flächen nicht zu bewirtschaften. Allerdings hätte er dann nicht mehr nur ein paar Traktoren vor dem Haus, sondern viele. Und Özdemir ist in Berlin nicht dafür bekannt, gegenüber Landwirten besonders hartnäckig zu sein, ganz im Gegenteil. Schon einmal, im Sommer 2022, hatte er eine Ausnahme für die Brachland-Pflicht zugelassen - damals sollte sie Getreideengpässen wegen des Krieges in der Ukraine vorbeugen. "Unsere Ausnahme gilt nur für 2023", hatte er damals beschworen. "Da nehme ich alle beim Wort und in die Pflicht."

Umweltschützer machen sich schon auf das Schlimmste gefasst. Sollte die Regel bedingungslos ausgesetzt werden, sagt Greenpeace-Agrarexperte Martin Hofstetter, dann beschleunige das nicht nur das Artensterben auf den Äckern. "Es wäre auch ein fatales Zeichen an die Landwirtschaft: Radikaler Protest wird belohnt."

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