Niedersachsen:Zur Wahl steht die Bundespolitik

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Landespolitik spielte im Wahlkampf in Niedersachsen nur eine Nebenrolle. (Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Mit der Landtagswahl in Niedersachsen geht ein Wahlkampf zu Ende, der fast ausschließlich von der Energiekrise und ihren Folgen geprägt war. Die Umfragen weisen in Richtung Rot-Grün.

Von Peter Fahrenholz, München

Es wäre ein Wunder gewesen, wenn die jüngste Kontroverse auf der Berliner Bühne nicht umgehend auf der kleineren Landesbühne in Hannover nachgespielt worden wäre. Also meldete sich, kaum hatte CDU-Chef Friedrich Merz die Schuld an der ergebnislosen Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) Kanzler Olaf Scholz und dem niedersächsischen Regierungschef Stephan Weil zugeschoben, auch CDU-Spitzenkandidat Bernd Althusmann zu Wort. Es wäre Weils Aufgabe als Vorsitzender des Bund-Länder-Treffens gewesen, bei der Sitzung die unterschiedlichen Positionen gemeinsam mit dem Bundeskanzler zusammenzuführen, monierte Althusmann.

In normalen Zeiten hätte der CDU-Mann, der als Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident seit fünf Jahren in einer großen Koalition zusammen mit Weil das Land regiert, seinen Regierungschef kaum so angegangen. Doch in Niedersachsen wird am Sonntag gewählt und auf den letzten Metern des Wahlkampfes müssen eben oft auch durchsichtige Manöver herhalten, in der Hoffnung, damit noch Stimmen zu gewinnen.

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In der Sache ist die Attacke natürlich Unfug, was Merz und Althusmann vermutlich ganz genau wissen. Denn außer der Tatsache, dass der MPK-Vorsitz am 1. Oktober turnusgemäß vom NRW-Regierungschef Hendrik Wüst (CDU) auf seinen niedersächsischen SPD-Kollegen Weil übergegangen ist, hat sich an der politischen Gemengelage in der Debatte um eine Energiepreisbremse nichts geändert: Die Länder wollen mehr Geld vom Bund, der Bund weigert sich. Solange nicht feststeht, wie die Bremse genau konstruiert wird und wen sie in welcher Größenordnung entlastet, wird keine Bewegung in die Debatte kommen, wie die Finanzströme der gesamten Entlastungspakete zwischen Bund und Ländern verteilt werden. Insofern war von vornherein klar, dass die MPK keine Einigung bringen wird, ganz egal, wer dort gerade den Vorsitz hat.

In keinem anderen Bundesland waren sich SPD und CDU über Jahrzehnte so spinnefeind wie in Niedersachsen

Im Weil-Lager hält man denn auch den unterschwellig aus der Union lancierten Verdacht, Weil könne aus Rücksicht auf den Kanzler nicht hart genug aufgetreten sein, für üble Nachrede. Ganz abgesehen davon, dass Weil in der SPD nicht gerade als der größte Scholz-Freund gilt, spricht auch die politische Logik dagegen. Warum sollte ein Vorsitzender im Beisein seiner sämtlichen Kolleginnen und Kollegen in der Sitzung eine andere Linie vertreten als die, die zuvor über alle Parteigrenzen hinweg von den Ländern einstimmig festgelegt worden ist?

Der Streit wenige Tage vor der Wahl zeigt einmal mehr, dass kaum eine Landtagswahl so sehr von der Bundespolitik dominiert worden ist wie die Wahl in Niedersachsen. Auch bei den vorangegangenen Wahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen hat der Krieg in der Ukraine schon getobt, aber im Frühjahr haben noch andere Themen im Mittelpunkt der politischen Debatte gestanden: Das Sondervermögen für die Bundeswehr, der Umfang der militärischen Unterstützung für die Ukraine und die Berichte über die Kriegsgräuel haben die Menschen zwar bewegt, aber das alles war im buchstäblichen Sinne eben auch weit weg. Mit den explodierenden Energiepreisen und der enormen Inflation als eine der Folgen des von Putin entfesselten Krieges ist aber plötzlich jeder Haushalt und jeder Betrieb unmittelbar betroffen.

Landespolitische Themen, die es natürlich wie in jedem Bundesland gibt, haben nur am Rande eine Rolle gespielt. Der Wahlkampf folgte dem Auf und Ab der Berliner Entscheidungen und der vielen handwerklichen Fehler, die die Ampel dabei gemacht hat. Und die Rollenverteilung war dabei klar: Der SPD-Ministerpräsident musste versuchen, aus den Berliner Entlastungspaketen, so gut es eben ging, das Beste zu machen, um stets darauf hinzuweisen, was noch alles nachgeliefert werden müsse. Sein CDU-Koalitionspartner hingegen musste auf eine ganz andere Karte setzen: die Landtagswahl gewissermaßen zu einer Stellvertreterwahl zu machen, zu einem Denkzettel für die Berliner Ampel.

Damit aber wurden die Fliehkräfte in der großen Koalition in Hannover noch weiter verstärkt. Anders als in vielen anderen Bundesländern will in Niedersachsen eine Koalition von den Wählern nicht bestätigt werden, sondern die Partner treten mit dem festen Willen an, sich nach der Wahl zu trennen. In keinem anderen Bundesland waren sich SPD und CDU über Jahrzehnte so spinnefeind wie in Niedersachsen, die letzte große Koalition in dem Bundesland war 1970 zerbrochen. Dass es im Jahr 2017 überhaupt zu Rot-Schwarz kam, war allein der politischen Not geschuldet. Weil eine Grünen-Abgeordnete zur CDU übergelaufen war und damit die Einstimmenmehrheit von Rot-Grün weg war, gab es ein Jahr vor dem regulären Wahltermin Neuwahlen, bei denen es aber nicht mehr für Rot-Grün reichte.

Weil sich die Grünen einer Jamaika-Koalition und die FDP einem Ampel-Bündnis verweigerten, mussten SPD und CDU sich nolens volens zusammenraufen und eine Regierung bilden, die von Anfang an nicht mehr als ein Zweckbündnis war. "Watt mutt, dat mutt", hieß es damals bei der SPD. Weil und Althusmann erinnern sich beide noch gut daran, wie sie in sehr schonungslosen Gesprächen erst einmal den Schutt der Vergangenheit wegräumen mussten. Eine "Zausestunde" sei das gewesen, sagt Weil.

Schwarz-Grün geht fast überall. Doch hier sind die gegenseitigen Aversionen noch groß

An den politischen Grundmustern hat diese Zweckgemeinschaft nur wenig verändert. Weit stärker als in anderen Bundesländern ist Niedersachsen noch immer stark vom alten Lagerdenken geprägt. Hier die CDU und die Liberalen, dort die SPD und die Grünen. Amtsinhaber Stephan Weil hat deshalb von Anfang an ganz klar gemacht, dass er eine Neuauflage von Rot-Grün anstrebt. Sein Kontrahent Althusmann hat es da weit schwerer. Wenn die CDU vorn liegt, wäre er zwar offen für eine Fortsetzung der großen Koalition, mit ihm selbst als Ministerpräsidenten. Ansonsten sendet er Signale an die Grünen.

Doch während schwarz-grüne Bündnisse in anderen Bundesländern längst ohne Scheu eingegangen werden, sind die gegenseitigen Aversionen in Niedersachsen nach wie vor groß. Das liegt nicht nur daran, dass die Grünen in Niedersachsen ein stark linksgewirkter Landesverband sind und die dortige CDU innerhalb des gesamten Unionsspektrums nicht gerade an der Spitze des gesellschaftlichen Fortschritts marschiert. Sondern auch am Wahlkampf der vergangenen Wochen, der beide Parteien im Streit um eine Laufzeitverlängerung für die letzten drei Atomkraftwerke weiter voneinander entfernt hat. Nach der jüngsten Attacke von Althusmann in Sachen MPK ließ Grünen-Spitzenkandidatin Julia Willie Hamburg umgehend wissen, sie hoffe doch sehr, dass die CDU nach der Wahl wieder seriös und ernsthaft an Lösungen mitarbeiten werde.

Die aktuellen Umfragen zeigen zwischen SPD und CDU das gleiche Bild wie seit Monaten: Die SPD liegt zwischen zwei und fünf Prozentpunkten vor der CDU, für eine rot-grüne Mehrheit würde es nach derzeitigem Stand reichen, aber es könnte knapp werden. Das liegt am Schwächeln der Grünen, die im Sommer noch stabil bei über 20 Prozent lagen, inzwischen aber von allen Instituten nur noch zwischen 16 und 19 Prozent gehandelt werden. Die schwierige Debatte um die Atomkraft und der rapide Ansehensverlustes ihres bisherigen Superstars Robert Habeck haben den Grünen offensichtlich zugesetzt.

(Foto: SZ-Grafik; Quelle: Repräsentative Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen, 1023 Befragte, Stand 30. September)

Während die AfD in den Umfragen zuletzt nach oben geschossen ist und mit einem zweitstelligen Ergebnis rechnen kann, muss die FDP zittern, sie liegt in allen Umfragen bei fünf Prozent. Die Liberalen müssen nicht nur darauf hoffen, dass sie es überhaupt wieder in den Landtag schaffen, sondern auch, dass es am Ende nicht für ein Zweierbündnis reicht. Einer Ampel würde sich die FDP nicht noch einmal verweigern, so viel ist klar. Vor wenigen Tagen gaben die Liberalen eine Pressemitteilung heraus, deren Botschaft in der Überschrift steckte: "Die FDP Niedersachsen will mitregieren."

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