Künasts Wahlprogramm:Dynamisch, biologisch, klimaneutral

Lesezeit: 2 min

Renate Künast entwirft vor dem Wahlkampf in Berlin eine schöne Vision von einem modernen und sauberen Berlin - vielleicht ein bisschen zu schön, um wahr zu sein.

Constanze von Bullion

Es wird ein Duell, wie es noch keines gab, weder in Berlin noch in einem anderen Bundesland: Grün gegen Rot. Renate Künast will gegen Klaus Wowereit antreten, die Hauptstadt kann sich auf einen spannenden Wahlkampf freuen. Und wenn die Grünen halten, was sie versprechen, dann steht auch dem Rest der Republik eine Debatte ins Haus, die über lokales Berliner Klein-Klein hinausgeht. Um die Zukunftsfragen der Gesellschaft soll da gestritten werden, um Bildung, Energie, Mobilität. Die Hauptstadt der Bedürftigen soll zum Labor der Innovation werden - bevor das, was da erfunden wird, ins ganze Land, oder noch besser, in alle Welt exportiert wird.

Berlin-Wahl 2011: Künast fordert Wowereit heraus
:Allzweckwaffe gegen Salonlinken

Renate Künast will Regierende Bürgermeisterin in Berlin werden - und Klaus Wowereit aus dem Amt jagen. Wer wäre der bessere Regierende Bürgermeister? sueddeutsche.de macht den Kandidatencheck. Stimmen Sie ab!

Michael König und Lena Jakat

Die ehrgeizige Vision, die Renate Künast und ihre Leute für Berlin entwerfen, muss man sich vorstellen wie ein grünes Metropolis. Der hoch mobile und rundum vernetzte Mensch bewegt sich da emissionsfrei durch die Stadt. Gleich morgens, nach dem ethisch unbedenklichen Verzehr eines Vollkornbrotes, kann er sich im Netz bei einer Carsharing-Agentur ein Elektroauto leihen. Damit summt er zu Arbeit, vorbei an umweltgerecht renovierten Häusern, deren Bewohner aufgeklärt genug sind, nicht zu klagen, dass die Miete sich sanierungsbedingt vervielfacht hat, leider.

Im Büro wühlt der neue Metropolen-Bewohner sich wieselflink durch die Wissensgesellschaft, und wenn er unbedingt mit den Händen arbeiten will, kann er ja einen Akku zusammenschrauben für ein batteriebetriebenes Fahrrad. Mit dem saust der Geschäftsmann zum Mittagessen oder zum Termin beim Aufsichtsrat. Kein Witz, solche umweltfreundlichen Gerätschaften sollen nach Vorstellung der Grünen Berliner Exportschlager werden, ebenso Konzepte nachhaltiger Abfallentsorgung, Wasseraufbereitung, Gesundheitsversorgung. Im Verbund mit den vielen Forschungseinrichtungen der Stadt sollen ganze Produktionslandschaften für Umwelttechnologie wachsen, die innovative Jobs bringen, wenn auch keinen Champagner für alle.

Unbezahlbare Vision

Der Bewohner dieser grünen Metropolis, um das Bild noch etwas zu strapazieren, ist natürlich auch privat ein weltoffener Mensch, der nichts gegen Nachbarinnen mit Kopftüchern hat. Selbst in ärmlichen Wohngegenden kann er sich darauf verlassen, dass sein Kind in der Schule genug lernt. Gibt es da Krach, weil ein Mitschüler durchdreht, kein Deutsch kann oder Eltern hat, die den Nutzen von Bildung nicht kennen, steht eine Armada von Sozialarbeitern bereit, die nachhilft, auch den Lehrern. Womit sich ein klitzekleines Problem eröffnet: Wer soll das eigentlich alles bezahlen?

Die grünen Visionen, die in Berlin jetzt hohe Erwartungen geweckt und der Partei sensationelle Umfragewerte beschert haben, mögen den rot-roten Senat von Klaus Wowereit alt aussehen lassen. Es wird auch nicht leicht für den Amtsinhaber, das Image des müden Hauptstadtbären abzuschütteln und den Verheißungen der Renate Künast ein attraktives Kontrastprogramm entgegenzusetzen. Aber die Grünen wiegen sich in falscher Sicherheit, wenn sie glauben, mit einem Konzept, das keinem weh tut, die Riesenprobleme der Millionenstadt Berlin lösen zu können.

Sie müssen erklären, wo die Milliarden herkommen sollen, die für die energetische Sanierung von öffentlichen Gebäuden und Wohnungen nötig sind. Von den Mietern? Das schaffen nur die Leistungsfähigen. Vom Land? Dort lassen Schulden und explodierende Sozialkosten keinen finanziellen Spielraum. Man wüsste auch gern, was eingespart wird, damit - was dringend nötig wäre - in pädagogische Köpfe und Brennpunktschulen investiert wird. Ein paar Fahrradwerkstätten reichen nicht, um der Stadt, die mit enormer Arbeitslosigkeit kämpft, den Weg in eine selbständige Zukunft zu eröffnen. Die Grünen müssen ehrlich sein, sonst könnte ihrer Wahlkampfmaschine schon bald der Sprit ausgehen. Was schade wäre. Sie sorgt für gute Unterhaltung.

© SZ vom 06.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: