Das Jahr 1898 gilt in Kuba als das Jahr, in dem "sie uns beraubt haben". "Sie", das sind in dem Fall die USA, und das, was sie geraubt haben sollen, ist die Unabhängigkeit der Nation. Es ist dieser gefühlte Raub, der das Verhältnis seit damals belastet. Jeder Kubaner weiß davon, aus den Schulbüchern oder durch Bemalungen auf kubanischen Häusern.
Der "Raubzug" beginnt aus kubanischer Sicht am 15. Februar 1898 mit einer Explosion im Hafen von Havanna. Um 21.40 Uhr abends geht das US-Kriegsschiff Maine in Flammen auf, die Wrackteile sinken auf den Meeresgrund. 259 Soldaten der US Navy sterben. Die kubanischen Unabhängigkeitskämpfer sind zu diesem Zeitpunkt fast am Ziel. Seit 30 Jahren kämpfen sie mit Unterbrechungen gegen die spanischen Kolonialherren, die die Insel seit der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts besetzt haben. Die spanische Administration ist zunehmend verhasst, die Gesellschaft geprägt von sozialen Gegensätzen und Rassismus, weiße Großgrundbesitzer halten vor allem dunkelhäutige Sklaven auf den Zuckerplantagen, der Haupteinnahmequelle der Kolonie. Aufstände im "immer treuen Kuba" haben die Spanier bisher blutig niedergeschlagen, auch den ersten Unabhängigkeitskrieg von 1868 bis 1878, den bis dahin aussichtsreichsten Versuch.
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Die "Air Force One" ist in Havanna gelandet. Nach einem knappen Jahrhundert besucht wieder ein US-Präsident Kuba - und es gefällt Barack Obama sichtlich. Die Bilder.
Der Dichter José Martí gilt allen Kubanern als Vater der Unabhängigkeit
Die USA haben dem Treiben auf der nahen Insel gelassen zugesehen. Dass das Land, 180 Kilometer vor ihrer Küste gelegen, irgendwann einmal an die USA fallen würde, hatte der spätere US-Präsident John Quincy Adams allerdings schon 1823 als "Gesetz der politischen Schwerkraft" bezeichnet: So wie ein reifer Apfel vom Baum falle, so falle Kuba irgendwann an die Vereinigten Staaten.
Einstweilen verlegte sich Washington auf den Handel mit der spanischen Kolonie. Die wirtschaftlichen Verflechtungen wurden immer enger, bis 1890 neun Zehntel der kubanischen Exporte in die USA gehen und etliche Plantagen US-Bürgern gehören.
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Dass Raúl Castro seinen Gast Barack Obama nicht am Flughafen abgeholt hat, ist kein Affront. Es ist vielmehr Ausdruck des politischen Drahtseilakts, den die kubanische Regierung derzeit vollführen muss.
Doch seit 1895 gibt es Grund zur Beunruhigung. Ein gewisser José Martí, bekannt geworden mit flammenden Versen und Reden auf die kubanische Unabhängigkeit, führte die Aufständischen in den zweiten Krieg gegen die Spanier. Madrid schickt 300 000 Soldaten auf die Insel, sie entvölkern ganze Landstriche und pferchen Bauern in Lagern zusammen. Tausende werden von Hunger und Epidemien dahingerafft. Doch die kubanischen Kämpfer - nach einem Schimpfwort der Spanier für Afrokubaner nennen sie sich "Mambises" - können sie dieses Mal nicht aufhalten.
Immer mehr Menschen schließen sich dem Aufstand an, wozu die grausamen Praktiken der spanischen Armee ebenso beitragen wie die mitreißenden Reden und Verse Martís. Er prägt das Schlagwort vom "Cuba Libre" ebenso wie das Motto des Aufstands, das gleichermaßen die sozialpolitische wie die antirassistische Komponente beinhaltet: "Con todos y para el bien de todos" - "Mit allen für das Wohl aller". Selbst Deutsche dürften einige seiner Verse kennen: Er ist der Autor der Strophen des karibischen Evergreens "Guántanamera", eine Ode an den kubanischen Bauern.
Martí stirbt schon wenige Wochen nach Kriegsbeginn in einem Scharmützel mit spanischen Truppen. Seinen Ruhm aber mehrt der frühe Tod nur, er wird zum Mythos. Heute steht vor jeder kubanischen Schule eine Büste von ihm, Martí ist Nationaldichter und Vater der Unabhängigkeit in einem, die einzige Konsensfigur aller Kubaner, also auch derer, die in Miami leben.
Kuba und die USA:"Die USA sind Imperialisten - ich ziehe trotzdem hin"
Juan hofft auf schnelles Internet und amerikanische Rockmusik, Miguel ist überzeugt: Die USA sind der Feind. Acht Kubaner über den großen Nachbarn im Norden.
Nach seinem Tod übernehmen die Generäle Máximo Gómez, Antonio Macéo und Calixto García die Führung des Aufstands. Anfang 1898 ist klar: Der Sieg ist nur noch eine Frage der Zeit. Die USA sind beunruhigt, Plantagenbesitzer und Investoren ersuchen sie um Schutz ihrer wirtschaftlichen Interessen. Mit der Entsendung des Kriegsschiffs Maine im Februar will Washington ein starkes Zeichen setzen. Als das Schiff im Hafen von Havanna explodiert, wird es zum Politikum zwischen der US-Regierung und den spanischen Kolonialherren. Eine Prüfkommission kommt zu dem Schluss, dass ein spanisches Torpedo die Maine abgeschossen habe. Wirklich geklärt wurde der Zwischenfall aber nie. Im Namen der "Menschheit, der Zivilisation und der gefährdeten amerikanischen Interessen" erklären die USA daraufhin Spanien, das ohnehin am Rande der Niederlage gegen die "Mambises" steht, den Krieg.
Ein Zusatzartikel garantiert Washington das Recht, jederzeit zu intervenieren
In weniger als vier Monaten zwingen US-Truppen die Spanier zur Kapitulation. Die Krone verliert nicht nur Kuba, sondern mit Puerto Rico und den Philippinen auch die letzten bedeutenden Kolonien in Übersee. Noch heute sagen die Spanier, wenn sie ein Desaster beschreiben, das aber schlimmer hätte ausfallen können: "Más se perdió en Cuba" - "In Kuba ging mehr verloren". Die Kubaner aber erleiden ihr zentrales nationales Trauma. Die Konditionen des Friedens machen Spanien und die USA unter sich aus, zu den Friedensverhandlungen in Paris sind die Mambises nicht eingeladen.
Bis 1902 steht Kuba unter US-Militärbesatzung, danach wird es formell unabhängig. Durch einen Zusatzartikel in der Verfassung sichert sich Washington jedoch das Recht, jederzeit auf der Insel intervenieren zu dürfen - was es in den Folgejahren dann auch ausgiebig tut. Die kubanischen Präsidenten sind Marionetten, und die auf der Monokultur Zucker basierende Volkswirtschaft ist vom Handel mit den USA abhängig.
Es ist ein Zufall der Geschichte, dass der Guerillakrieger Fidel Castro am 1. Januar 1959, exakt 60 Jahre nach dem Beginn der US-Militärbesatzung, die Macht übernimmt. Dass er in seiner ersten Rede danach sagte, er werde "das Werk der Mambises erfüllen", ist jedoch keiner. Mancher Kubaner wird diese Worte, ob im Original oder aus dem Geschichtsunterricht, auch jetzt im Ohr haben, wenn ein US-Präsident auf Kuba weilt.