Kriegsverbrechen in Syrien:Das Gift, die Lügen und die Schuld

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Ein Helfer der sogenannten Weißhelme bringt ein Kind nach dem Angriff auf die nordsyrische Stadt Khan Scheikhun in Sicherheit. (Foto: ZUMA Press/imago)
  • Am Tag nach dem mutmaßlichen Giftgas-Angriff in Syrien beginnen die Schuldzuweisungen.
  • Die USA, Frankreich, Großbritannien und die EU bezichtigen Truppen des Assad-Regimes. Dessen Verbündeter Russland hat eine andere Erklärung parat.
  • Trat das Gas aus, als syrische Kampfjets Munitionslager der Rebellen bombardierten? Auszuschließen ist das nicht - doch die Opferzahl spricht dagegen.

Analyse von Paul-Anton Krüger

Der Tag nach dem Chemiewaffen-Angriff, dem schlimmsten in Syrien seit 2013, war der Tag der Schuldzuweisungen. Die USA, Frankreich, Großbritannien, die EU - alle machen das Regime von Präsident Baschar al-Assad verantwortlich. Russland dagegen sieht die Schuld wenig überraschend bei den Rebellen und bei Gruppen, die mit dem Terrornetzwerk al-Qaida verbunden sind. Sie kontrollieren Khan Scheikhun, die Stadt in der nordsyrischen Provinz Idlib, in der sich der Angriff zugetragen hat. Die syrische Armee bestritt routinemäßig, Chemiewaffen eingesetzt zu haben. Doch dass Dutzende Menschen offenbar an einem Nervengift gestorben sind, zieht niemand ernsthaft in Zweifel.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO teilte mit, die Opfer zeigten Symptome, die "übereinstimmen mit der Reaktion auf Nervenkampfstoffe und Organophosphat-Verbindungen". Darunter fallen bekannte Chemiewaffen wie Sarin, Tabun, Soman oder VX, aber auch Gifte, die in Insektenvernichtungsmitteln verwendet werden. Typisch sind fortschreitende Lähmungserscheinungen am gesamten Körper. Es beginnt mit der Einengung der Pupillen, Krämpfe und Atemnot folgen, dann in den tödlichen Fällen der Atem- oder Herzstillstand. Die Giftstoffe blockieren die Nervenleitung; ihre Abbauprodukte sind im Blut nachweisbar. Einige der Verletzten wurden in die Türkei gebracht. So dürfte recht bald klar sein, mit welcher Substanz sie vergiftet wurden.

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Von Paul-Anton Krüger

Trotz offizieller Waffenruhe weitet das Regime seine Offensive aus

Wie das Gift freigesetzt wurde, bleibt umstritten. Bewohner von Khan Scheikhun berichten von Luftangriffen am Dienstag gegen 6.30 Uhr. Wenig später seien die ersten Menschen mit Vergiftungssymptomen in Kliniken gebracht worden. Eines dieser Spitäler sei am Nachmittag bombardiert worden. Die ersten Berichte internationaler Nachrichtenagenturen liefen schon gegen zehn Uhr syrischer Ortszeit.

Über dem umkämpften Norden Syriens fliegen Assads Luftwaffe und russische Kampfjets, vereinzelt und mit Russland koordiniert auch Flugzeuge der von den USA angeführten internationalen Militärkoalition gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Die Provinz Idlib ist das letzte große zusammenhängende Gebiet, das Regierungsgegner kontrollieren. Immer wieder werden Rebellen aus anderen Gegenden im Zuge lokaler Waffenstillstände dorthin umgesiedelt. Das Regime hat seine Offensive gegen von Rebellen gehaltene Vorstädte von Damaskus und gegen Gebiete im Süden von Idlib ausgeweitet, obwohl offiziell noch eine landesweite Waffenruhe gilt.

Rebellen und westliche Koalition beschuldigen Assad, Russland die Rebellen

Die USA, Großbritannien und Frankreich beschuldigen wie die Rebellen das syrische Regime. Es ist nicht klar, ob sie sich dabei auf spezifische Erkenntnisse ihrer Geheimdienste stützen oder auf eine Bewertung der Gesamtumstände. Einheiten der syrischen Armee hatten im August 2013 bei Angriffen auf Vorstädte von Damaskus mit Sarin mehr als 1400 Menschen getötet. Das Regime war daraufhin auf Vermittlung Russlands der Chemiewaffenkonvention beigetreten und hatte die Vernichtung seines Arsenals zugesagt, um unmittelbar bevorstehende Angriffe der USA auf syrische Militäreinrichtungen abzuwenden. Interne Dokumente der Organisation zum Verbot von Chemiewaffen (OPCW) lassen allerdings Zweifel aufkommen, ob Assad sein Arsenal und Vorstoffe zur Produktion von Chemiewaffen vollständig vernichtet hat. Auch westliche Geheimdienste glauben das nicht.

Russland wartete am Mittwoch mit einer anderen Erklärung auf: Zwischen 11.30 Uhr und 12.30 Uhr syrischer Zeit hätten Kampfjets der Regierung am Dienstag ein "Munitionslager der Terroristen und eine Anhäufung militärischer Ausrüstung" am östlichen Stadtrand von Khan Scheikhun bombardiert, sagte Generalmajor Igor Konoschenkow, Vize-Sprecher des Verteidigungsministeriums. Auf dem Gebiet hätten sich Werkstätten zur Herstellung chemischer Munition befunden, die an Terroristen im Irak geliefert werden sollten.

Völlig auszuschließen ist das nicht, doch gibt es große Unstimmigkeiten. So wurde der Stoff nach allen Berichten Stunden vor dem Angriff freigesetzt, von dem Konoschenkow sprach. Zudem sind Nervenkampfstoffe wie Sarin Flüssigkeiten, die durch die Explosion einer eigens konstruierten Zündladung oder durch Sprühmechanismen als feine Tröpfchen in der Luft verteilt werden. Bei einem konventionellen Angriff auf ein Lager würde kaum ein solches Aerosol entstehen. Die Zahl der Opfer erscheint für ein solches Szenario zu hoch.

Eine unabhängige Untersuchung könnte Klarheit bringen

Syriens Regierung hat immer wieder die mit al-Qaida verbundene Nusra-Front beschuldigt, Chemiewaffen gegen Soldaten eingesetzt zu haben, darunter Sarin. Westliche Geheimdienste haben keine Erkenntnisse darüber, dass die Nusra-Front Chemiewaffen herstellt - was nicht ausschließt, dass es ihr gelungen sein könnte, kleinere Mengen in ihren Besitz zu bringen. Der IS hat wiederholt Chemiewaffen verschossen. Dabei handelte es sich aber um Senfgas, einen Kampfstoff, der Blasen auf der Haut verursacht. Auch gibt es keinerlei Anzeichen dafür, dass mit al-Qaida verbundene Gruppen Chemiewaffen in den Irak liefern, wo der konkurrierende IS kämpft.

Aufklärung könnte eine unabhängige Untersuchung bringen, wie sie die USA, Großbritannien und Frankreich in ihrem Entwurf für eine UN-Resolution fordern. "Da kann ja eigentlich niemand etwas dagegen haben, wenn sich Moskau seiner Sache sicher ist", sagte ein westlicher Diplomat. Der Entwurf verlangt von der syrischen Regierung, alle Flug- und Operationspläne für den Dienstag zur Verfügung zu stellen, die Kommandeure aller Hubschrauber-Staffeln zu nennen und Zugang zu Stützpunkten zu gewähren, von denen der Angriff ausgegangen sein könnte. Moskau hatte mit China jüngst eine Resolution per Veto blockiert, in der Assad für Chlorgas-Angriffe verurteilt werden sollte, die von den UN seinen Truppen zugerechnet werden. Das Außenministerium in Moskau nannte die Resolution "grundsätzlich unannehmbar". Moskau will offenbar einen eigenen Entwurf im Sicherheitsrat einbringen.

© SZ vom 06.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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