Krieg in Syrien:Konfliktparteien verstoßen gegen die Waffenruhe

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  • Die Kriegsparteien in Syrien setzen die vom UN-Sicherheitsrat beschlossene Waffenruhe nicht um.
  • Die russische Regierung hat am Montag "tägliche humanitäre Feuerpausen" in Ost-Ghouta angeordnet - obwohl sie der 30-tägigen Waffenruhe zugestimmt hatte.
  • Die türkische Regierung sendet sogar mehr Truppen in die Offensive gegen Kurden in Afrin, statt sich an die Entscheidung des Sicherheitsrats zu halten.

Von Daniel Brössler, Brüssel, und Paul-Anton Krüger, Kairo

UN-Generalsekretär António Guterres und die EU haben von den Kriegsparteien in Syrien gefordert, die landesweite Feuerpause einzuhalten, die der UN-Sicherheitsrat am Samstag einstimmig beschlossen hatte. "Ost-Ghouta kann nicht warten, es ist Zeit, diese Hölle auf Erden zu beenden", sagte Guterres am Montag mit Blick auf jene Rebellen-Enklave östlich von Damaskus, die Ziel schwerer Angriffe der syrischen und der russischen Streitkräfte sowie iranischer Milizen ist. Er reagierte damit auf Berichte, dass die Angriffe am Montag andauerten; der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Seid Raad al-Hussein, bestätigte dies.

Insgesamt ging die Gewalt gegenüber den Vortagen zurück. Am Sonntag wurden aber nach Aussagen von Ärzten mindestens 29 Menschen getötet und 200 verletzt. Am Montagmorgen meldeten Mediziner aus Douma, dem größten Ort in der östlichen Ghouta, bei einem Luftangriff seien elf Menschen getötet worden. Am Abend zuvor gab es Berichte über einen Angriff mit Chlorgas auf al-Schifuniyah mit 18 Verletzten. Russlands Außenminister Sergej Lawrow nannte diese Berichte "eine Provokation", die lediglich darauf ziele, die Waffenruhe zu unterlaufen. Solche Vorwürfe seien "nichts als Lügen".

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Russlands Präsident Wladimir Putin ordnete am Montag "tägliche humanitäre Feuerpausen" in Ost-Ghouta an - obwohl auch Russland im Sicherheitsrat der dreißigtägigen Waffenruhe zugestimmt hat. Überdies sollen "humanitäre Korridore" eingerichtet werden; am Abend teilte das russische Militär mit, die syrische Regierung habe einen Korridor eingerichtet, über den Zivilisten das umkämpfte Gebiet sicher verlassen könnten. Zuvor hatte Lawrow deutlich gemacht, dass nach Moskaus Auffassung die wichtigsten Rebellengruppen in der Ghouta und in der Provinz Idlib nicht von der Waffenruhe umfasst sind: Jaisch al-Islam und Ahrar al-Scham. Lawrow warf ihnen vor, mit dem syrischen Ableger des Terrornetzwerks al-Qaida zu kooperieren. Irans Generalstabschef Mohammed Baqeri sagte, die "Säuberungsaktionen" in den "von Terroristen kontrollierten Teilen von Damaskus" würden fortgesetzt.

Jaisch al-Islam trug 2017 in Ost-Ghouta heftige Kämpfe mit Al-Qaida-Kämpfern und rivalisierenden Rebellen aus, in deren Gebiet diese operierten. Jaisch al-Islam nahm an den von Russland initiierten Gesprächen in der kasachischen Hauptstadt Astana teil und ist von der Vereinbarung für eine Deeskalationszone in Ost-Ghouta umfasst. Auch bei den UN-Friedensgesprächen in Genf war die Gruppe beteiligt. Ahrar al-Scham hat in Idlib schwere Verluste im Kampf gegen Hayat Tahrir al-Scham erlitten, die Nachfolge-Organisation der mit al-Qaida verbundenen Nusra-Front. Beide Gruppen sind salafistisch inspiriert und gehören zu den radikaleren in Syrien. Anders als al-Qaida oder die Terrormiliz Islamischer Staat hat der UN-Sicherheitsrat sie aber nicht als terroristisch eingestuft.

"Wir sind wieder im Mittelalter, im tiefen Mittelalter"

Schon in Aleppo hatte Russland humanitäre Korridore verkündet, über die Zivilisten fliehen sollten. Sie wurden aber kaum genutzt. Wie damals wirft Moskau den Rebellen vor, Zivilisten an der Flucht zu hindern. Allerdings war es bislang die Regierung, die nur ihren eigenen Mitarbeitern die Passage aus Ghouta über den einzigen Checkpoint gestattete, der inzwischen außer Betrieb ist. Lawrow sagte, die Erfahrungen von Aleppo könnten in Ost-Ghouta zur Anwendung kommen - dort wurde das Rebellengebiet nach wochenlangem Bombardement im Dezember 2016 evakuiert.

Die Türkei fühlt sich bei ihrer Offensive gegen die kurdischen YPG-Milizen in Nordsyrien durch den Sicherheitsrat ebenfalls nicht gebunden. Laut Regierungssprecher Bekir Bozdağ werden Spezialkräfte für eine neue Phase der Offensive nach Afrin verlegt. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron forderte in einem Telefonat mit seinem türkischen Kollegen Recep Tayyip Erdoğan, die Angriffe zu stoppen; die Waffenruhe gelte auch für Afrin.

Die EU sieht nun die Türkei, Russland und Iran in der Pflicht. Sie werde sich in einem Brief an die Außenminister der drei Länder wenden, sagte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini. Sie hätten bei den Verhandlungen in Astana, in denen so genannte Deeskalationszonen geschaffen wurden, als Garantiemächte fungiert. Auch Ost-Ghouta gehöre dazu. "Es ist nur natürlich, dass wir die drei Garanten auffordern, sich für eine effiziente Deeskalation einzusetzen", sagte Mogherini. Österreichs Außenministerin Karin Kneissl sagte: "Es geht darum, dass die wesentlichen Akteure in Syrien ihre Stellvertreter unter Kontrolle bekommen." Ihr luxemburgischer Kollege Jean Asselborn forderte Iran und Russland, die USA und die Türkei auf, die "Barbarei" in Syrien zu stoppen. Er beklagte, dass die UN-Resolution keine Sanktionsmöglichkeiten enthalte. Es sei eine Schande, wie in Ost-Ghouta mit den Menschen umgegangen werde. "Wir sind wieder im Mittelalter, im tiefen Mittelalter", sagte Asselborn.

© SZ vom 27.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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