Gesundheit:Wie Krankenkassen unzufriedene Kunden abwimmeln

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Vor allem Älteren, Schwerkranken und "bildungsbenachteiligten Personen" werden Leistungen oft verweigert, heißt es in einer Studie. (Foto: Przemek Klos/Imago)

Verweigert ein Versicherer eine Leistung, können Versicherte Widerspruch einlegen. Mehrere Kassen sollen das mit irreführenden Schreiben oder Anrufen verhindert haben. Patientenschützer sind empört.

Von Rainer Stadler, München

Auf der Ratgeberseite des Bundesgesundheitsministeriums klingt alles sehr einfach: "Die Entscheidungen der Krankenkasse müssen Versicherte nicht immer akzeptieren", so heißt es auf gesund.bund.de. "Wird ihr Antrag auf Leistung abgelehnt, können sie dagegen Widerspruch einlegen. Das ist in vielen Fällen erfolgreich." In vielen Fällen aber auch nicht, wie eine Untersuchung des Bundesamts für Soziale Sicherung (BAS) ergeben hat.

In ihrem Tätigkeitsbericht 2022, der kürzlich vorgestellt wurde, schreibt die Behörde, Beschäftigte der Krankenkassen würden angewiesen, Versicherte "dazu zu motivieren, ihren Widerspruch zurückzunehmen". Welche rechtlichen Folgen diese Rücknahme habe, darüber würden die Versicherten "oftmals nicht umfassend" informiert: Versicherte haben dann keine Möglichkeit mehr, gegen den Bescheid der Kasse vorzugehen. Zudem sei Versicherten "durch irreführende Schreiben vielfach der Eindruck vermittelt" worden, die Ablehnung ihres Widerspruchs sei bereits beschlossen.

Es geht um Kuren, Reha-Maßnahmen und Hörgeräte

Das BAS prüfte vor allem, welche Arbeitsanweisungen die Kassen ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die Bearbeitung von Widersprüchen geben. Dabei seien "immer wieder zahlreiche Rechtsprobleme" festgestellt worden, heißt es in dem Bericht. In einem Großteil der geprüften Arbeitsanweisungen sei vorgesehen, dass die Beschäftigten Versicherte anrufen, auch mehrfach, um sie von ihrem Widerspruch abzubringen. Elf Krankenkassen habe das BAS deshalb abgemahnt, darunter die Barmer, die Techniker Krankenkasse und mehrere Betriebskrankenkassen. Das Bundesamt beaufsichtigt etwa 60 gesetzliche Krankenkassen, die 45 Millionen Versicherte betreuen.

Der Bundesbeauftragte für Patientenrechte, Stefan Schwartze (SPD), sprach in der Bild-Zeitung von "Fehlinformationen und Täuschung". Dass bei für Patienten "lebenswichtigen Fragen rechtswidrig vorgegangen wird, kann in keiner Weise toleriert werden". Das Bundesgesundheitsministerium teilt auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung mit: "Dass Krankenkassen Versicherte nötigen, einen Widerspruch gegen Leistungsbescheide zurückzunehmen, darf nicht passieren."

Das Berliner IGES-Institut hat vor einigen Jahren untersucht, wie viele Leistungen die Kassen bewilligen und ablehnen. Die Studie ergab, dass ein Großteil der genehmigungspflichtigen Leistungen - Anträge auf Kuren, Reha-Maßnahmen oder auch Hilfsmittel wie Rollstühle oder Hörgeräte - bewilligt werden. Die Ablehnungsquote lag bei gut fünf Prozent. Patientenorganisationen wiesen darauf hin, dass vor allem älteren Menschen, Schwerbehinderten, chronisch Kranken und "bildungsbenachteiligten Personen" Leistungen verweigert würden. Jahr für Jahr hätten weit mehr als 200 000 Versicherte Widerspruch gegen einen ablehnenden Bescheid eingelegt, führte die Studie aus.

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Die Zahl wäre wohl deutlich höher, wenn die Kassen Versicherte nicht von Widersprüchen abhalten würden. Eine konkrete Zahl, wie oft das tatsächlich geschieht, kann das Bundesamt für Soziale Sicherung allerdings nicht nennen. Das Amt teilt aber mit, man habe darauf hingewirkt, dass die betroffenen Krankenkassen ihre Arbeitsanweisungen für Widerspruchsverfahren den gesetzlichen Vorgaben anpassen. Hierzu habe das BAS mit elf Krankenkassen Gespräche geführt und "stand weiteren Krankenkassen beratend zur Optimierung ihrer Arbeitsanweisungen zur Verfügung", wie es im Tätigkeitsbericht 2022 heißt.

Die Kassen bekommen nun mehr Druck. Hilft das den Versicherten?

Für die Kassen selbst kommt der Bericht nicht überraschend. Bereits im Juni 2018 wies sie das BAS in einem Schreiben darauf hin, dass die Vorschriften des Sozialgesetzbuches und des Sozialgerichtes "bei der Widerspruchsbearbeitung nur unzureichend" umgesetzt würden. In dem Schreiben war explizit von Praktiken die Rede, die auch der aktuelle Bericht anprangert. Versicherte seien etwa nicht verpflichtet, nach Aufforderung mitzuteilen, ob sie das Verfahren weiterverfolgen wollten, wenn die Krankenkasse ihnen nicht entgegenkomme. Es dürfe bei Versicherten auch nicht "das Gefühl erweckt werden", bei der Entscheidung über einen Widerspruch "in eine gewisse Richtung gedrängt zu werden". Im August 2020 erhielten die Kassen ein weiteres Schreiben der Behörde mit dem gleichen Tenor.

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Rückwirkend werden die meisten Versicherten jedoch nicht davon profitieren, dass die Kassen nun mehr Druck bekommen. Selbst wenn das BAS feststellte, "dass der Träger einen Versicherten zur Rücknahme seines Widerspruchs gedrängt hat, ist das Verwaltungsverfahren beim Träger zunächst abgeschlossen", erläutert die Behörde. Nur im Einzelfall hätten Versicherte die Möglichkeit, "einen erneuten Leistungsantrag zu stellen, über den der Träger erneut entscheiden muss".

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