Kosovo:Der verbotene Favorit

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Selbstbewusst: Albin Kurti bei der finalen Wahlkampfveranstaltung am Freitag in Pristina. (Foto: FLORION GOGA/REUTERS)

Das Bündnis des gestürzten Albin Kurti wird wohl die Wahl im Kosovo an diesem Sonntag gewinnen. Doch ob er die Regierung übernehmen darf, ist fraglich.

Von Florian Hassel, Warschau

Wenn die Einwohner des Kosovo am Sonntag - zum fünften Mal in sieben Jahren - ein neues Parlament wählen, wäre Albin Kurti eigentlich der unangefochtene Favorit: Umfragen billigen dem Anführer der linksnationalistischen Vetëvendosje ("Selbstbestimmung") zwischen 40 und 47 Prozent der Stimmen zu. Tatsächlich sind der Wahlausgang und die Entscheidung der Machtfrage in Kosovo, das im Februar 2008 seine Unabhängigkeit von Serbien erklärte, trotz Kurtis Favoritenstellung ebenso offen wie der Fortgang des Verhältnisses zu Serbien, der EU und Washington.

Vor einem Jahr war Kurti, telegen, rhetorisch brillant, für Kosovos Unabhängigkeit und gegen Kompromisse mit Belgrad kämpfend, schon einmal Regierungschef - freilich nur 51 Tage. Im März 2020 wurde Kurti, mutmaßlich auch auf Druck der ihn wegen seiner Kompromisslosigkeit schneidenden Trump-Administration, durch ein Misstrauensvotum gestürzt. Sein Nachfolger, der 44 Jahre alte Wirtschaftsprofessor Avdullah Hoti, darf ebenfalls nicht im Amt bleiben: Das Verfassungsgericht entschied, dass Hotis Regierung nur durch die Stimme eines wegen Korruption zu einer Gefängnisstrafe verurteilten Parlamentariers ins Amt kam, deshalb illegitim sei und neu gewählt werden müsse.

Hashim Thaçi musste als Präsident abtreten, weil er in Den Haag angeklagt wurde

Das Urteil der Verfassungsrichter war nicht die einzige Erschütterung im 1,8 Millionen Einwohner kleinen Kosovo. Hashim Thaçi, ehemaliger Rebellenführer im Kampf gegen Serbien und zuletzt Präsident, musste am 5. November 2020 sein Amt niederlegen, weil er in Den Haag von einem internationalen Sondergericht wegen Kriegsverbrechen angeklagt wurde. Über seine Nachfolge wird frühestens im Frühjahr entschieden.

Der geschäftsführende Regierungschef Hoti würde gern auch die nächste Regierung führen, doch seine LDK liegt in Umfragen nur bei 19 Prozent. Ähnliches gilt für die von Enver Hoxhaj geführte Demokratische Partei Kosovos, die mit 22 Prozent ebenfalls weit hinter dem eigentlichen Wahlfavoriten Kurti liegt. Doch Kurti wurde von seinem Hang zu drastischem politischen Theater eingeholt.

Im Herbst 2015 hatte er aus Protest gegen einen Grenzdeal mit Montenegro und geplante Autonomie für im Kosovo lebende Serben im Parlament Tränengas geworfen. Im Januar 2018 verurteilte ihn ein Gericht dafür zu einer Haftstrafe auf Bewährung, im Herbst 2018 wurde das Urteil rechtskräftig. Und Kosovos Wahlgesetz verbietet jedem, der in den letzten drei Jahren von der Justiz verurteilt wurde, eine Kandidatur als Parlamentarier: So wurde Kurti vor wenigen Tagen von der Wahlliste gestrichen.

Die Entscheidung, wer Regierungschef wird, könnte vor dem Verfassungsgericht landen

Gewinnt die "Selbstbestimmung" trotzdem, will Kurti gleichwohl wieder Ministerpräsident werden - eine Entscheidung, die wiederum vor dem Verfassungsgericht landen könnte. Kurtis Konkurrent, Noch-Premier Hoti, erklärte wenig überraschend, seiner Meinung nach dürfe "denjenigen, die Probleme mit dem Gesetz haben, nicht erlaubt sein, irgendwelche öffentlichen Ämter innezuhaben". Kurtis Konkurrenten könnten durch einen Boykott im Parlament auch die Wahl eines neuen Präsidenten verhindern, ohne den kein neuer Ministerpräsident ernannt werden kann.

So intensiv die Intrigen, so inhaltsarm der Wahlkampf. Kurti trat mit dem Versprechen an, Schluss mit der Korruption zu machen. Noch-Regierungschef Hoti versprach "Herrschaft des Gesetzes, europäische Integration und das Wohlergehen der Bürger" - Botschaften, die im armen, von der Corona-Krise erschütterten Kosovo ebenfalls keine Begeisterungsstürme auslösen dürften.

Den Wählern wurden schon oft neue Jobs und Visafreiheit versprochen

Schon oft hätten Kosovos Wähler Versprechen wie 200 000 neue Jobs, Visafreiheit mit der EU oder 10 000 Euro Geburtsprämie gehört, argumentiert Mexhide Demolli-Nimani von der Denkfabrik Fol im Fachdienst Balkan Insight: "Aber keine Partei konnte je erklären, wie diese Versprechen umgesetzt werden sollten." Mit einem anderen realitätsfernen Versprechen geht der in Umfragen abgeschlagene ehemalige Rebellenkommandeur und Ex-Ministerpräsident Ramush Haradinaj in die Wahl: Er schlug für den - so gut wie sicheren - Fall, dass das von Albanern dominierte Kosovo weiterhin weder in die Vereinten Nationen noch in die Nato aufgenommen werde, eine Volksabstimmung über eine Vereinigung mit Albanien vor. Aussicht auf Realisierung hat dieser Vorschlag angesichts des Widerstandes Washingtons, Brüssels und Berlins nicht.

Kosovos Partner interessiert eher, wie es im Verhältnis zwischen Serbien und Kosovo weitergeht. Ein im Weißen Haus im September 2020 unterzeichnetes Abkommen hatte nur symbolische Bedeutung. Präsident Joe Biden forderte Serbiens Präsident Aleksandar Vučić in einem Brief vom 7. Februar auf, Kosovo endlich anzuerkennen. Dies hat angesichts der nationalistischen Politik unter Vučić ebenso wenig Aussicht auf Umsetzung wie Zugeständnisse Kosovos an Belgrad - etwa Autonomie für in Kosovo lebende Serben. Bisher haben 117 Länder Kosovo anerkannt. Den letzten diplomatischen Erfolg erzielte Pristina vor wenigen Tagen: Da erkannte Israel Kosovo diplomatisch an. Im Gegenzug verpflichtete sich Kosovo, seine kommende Botschaft nicht in Tel Aviv, sondern im international nicht als Hauptstadt anerkannten Jerusalem zu eröffnen.

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