SPD:Martin Schulz hat die Strukturkrise der SPD nur kurz überdeckt

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Vor dem Kanzleramt in Berlin: Passantinnen posieren mit einem Martin Schulz als Pappkamerad. (Foto: dpa)

Es ist unglaubwürdig, wenn die Sozialdemokraten Zustände anprangern, die sie selbst mitgestaltet haben. Die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns im September ist mittlerweile ziemlich groß.

Kommentar von Kurt Kister

In Nordrhein-Westfalen wird es eine CDU-geführte Regierung unter Armin Laschet geben. Ob die Schwarzen mit der FDP oder der SPD koalieren werden, weiß man nicht. Die SPD hat abgesagt, die Liberalen zieren sich. Die FDP ist am Rhein ungefähr in der Lage, in der die FDP im Bund 2009 war: Sie hat ein sehr gutes Ergebnis unter einem egozentrischen Parteivorsitzenden erzielt. Lindners FDP schwebt heute in derselben Gefahr wie Westerwelles FDP damals. Im Wahlkampf waren beide stark, auch weil sie sich gegen eine verbraucht erscheinende SPD profilieren konnten. Im Alltag des Regierens war Westerwelles FDP allerdings so schwach, dass sie anschließend aus dem Bundestag flog.

Die Grünen im Bund sind dies und das, vor allem aber ängstlich

Die FDP also müsste sich beweisen, wohingegen die SPD nichts mehr beweisen muss. Sie ist in diesem Jahr bei allen drei Landtagswahlen gescheitert; die Wahrscheinlichkeit, dass sie auch im September bei der Bundestagswahl scheitert, ist mittlerweile ziemlich groß. Die Ursachen für die Niederlagen der Sozialdemokraten im Saarland, an der Küste und nun in NRW sind unterschiedlich; dennoch gibt es Gemeinsamkeiten. Zum einen empfand die Mehrheit der Wähler in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen die jeweiligen SPD-Spitzenkandidaten offenbar als so fern vom eigenen Alltag, dass eher blasse, solide CDU-Männer mit Leichtigkeit gewannen. Zum anderen hat sich in der allgemeinen Wahrnehmung die Bundes-CDU wegen Angela Merkel wieder stabilisiert; das half den CDU-Leuten in den Ländern. Zum Dritten hat Martin Schulz nur kurzzeitig überdecken können, dass sich die SPD in einer Strukturkrise befindet.

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Zwar gibt es in Deutschland jene Auflösung des Parteiensystems nicht, die in Italien oder Frankreich stattfindet. Die CDU ist über die Jahre grosso modo stabil geblieben; Grüne und FDP haben es überlebt, dass sie nicht immer im Bundestag waren. Die Linkspartei ist im Westen ein nicht übermäßig bedeutender Protestverein; im Osten wird sie mutmaßlich eine stärkere Regionalpartei bleiben. Die AfD, seit Jahrzehnten die einzige relevante Partei-Neugründung, hat es in der Folge der Flüchtlingspolitik in viele Landtage geschafft; jetzt nimmt sie ab, weil das Thema nicht mehr im Vordergrund steht. In den Bundestag wird sie wohl kommen. Für die Folgejahre ist es wahrscheinlich, dass sie wieder schwinden, auch wenn sie, wieder eher im Osten, vielleicht nicht ganz verschwinden wird. Jedenfalls kann die AfD der CDU auch nicht entfernt so gefährlich werden, wie der FN den französischen Konservativen gefährlich wurde.

Die SPD aber bleibt im Bund eine 20-Prozent-plus-Partei. Sie hat seit der Wahl 2005 kontinuierlich an Zustimmung verloren; sie ist wegen ihrer strukturellen Schwäche in einer Zweier-Koalition im Bund nur noch als Juniorpartner der CDU regierungsfähig. Nahezu tragisch ist für sie, dass jene Konstellation, die Nostalgiker als das "linke Lager" beschreiben, ebenfalls stark erodiert.

Die Grünen sind keine "linke" Partei mehr; sie können mit allen (was nicht verwerflich, aber sehr flexibel ist); sie genießen bei altruistischen Hedonisten Sympathien, die sich aber nicht unbedingt in Stimmen umsetzen. Wo sie populäre Spitzenleute (Kretschmann, Habeck) haben, sind sie stark; diese Spitzenleute sind keine Linken. In Baden-Württemberg regiert eine grüne Partei, die a kloins bissle links, ziemlich schwäbisch und, jedenfalls in der Person ihres Ministerpräsidenten, sehr gelassen ist. Die Bundespartei ist anders, sie ist ängstlich, was auch die Urwahl der Spitzenkandidaten zeigte. Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt symbolisieren nicht die Zukunft, zum Teil nicht einmal die Gegenwart. Wenn es schlecht geht, müssen die Grünen die Fünf-Prozent-Hürde fürchten.

Die Landtagswahlen lassen viele Spekulationen zu, zum Beispiel diese: Unter den gegebenen Umständen kann es sein, dass im September SPD, Grüne und Linke zusammen kaum stärker werden als die Union alleine. Das hat damit zu tun, dass sowohl der einst klassisch sozialdemokratische als auch der grüne Wertekanon heute allüberall hin diffundiert sind - gerade in die Merkel-Union. Und es wird sich nicht dadurch bessern, dass die SPD mit der "sozialen Ungerechtigkeit" ein Wahl-Thema propagiert, das eine Mehrheit der Wähler anders sieht als die SPD.

Außerdem ist es unglaubwürdig, wenn die SPD Zustände anprangert, die sie selbst seit 1998 als Regierungs- oder Mitregierungspartei (mit der Ausnahme der vier schwarz-gelben Jahre von 2009 bis 2013) gestaltet und verantwortet hat. Es ist, als gebe es zwei SPDs: die eine, die immer dabei war, und die andere, die immer schimpft. Mit dieser autoaggressiven Strategie sind schon Steinbrück und Steinmeier gescheitert. Martin Schulz könnte der Dritte im Bunde werden.

© SZ vom 16.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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