Klimakrise:Expertenrat stellt Bundesregierung beim Klimaschutz schlechtes Zeugnis aus

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Das Braunkohlekraftwerk Neurath in Nordrhein-Westfalen. (Foto: imago images/imagebroker)

Der Rückgang beim Ausstoß von Treibhausgasen sei vor allem durch die diversen Krisen bedingt und erfolge viel zu langsam, sagen die Experten. Wenn es so weitergehe, würden die Ziele für das Jahr 2030 um 40 Prozent verfehlt.

Von Oliver Klasen

Reicht es oder reicht es nicht? Tut die Bundesregierung genug, um die selbstgesteckten Klimaziele einzuhalten, die bis zum Jahr 2030 immerhin eine Reduzierung der Treibhausgasemissionen um 65 Prozent vorsehen?

Der Expertenrat für Klimafragen, der an diesem Montag seinen Prüfbericht vorgestellt hat, stellt der Ampelkoalition dafür ein schlechtes Zeugnis aus. Zwar sei es gelungen, die Gesamtemissionen in Deutschland von 760 Megatonnen im Jahr 2021 auf 746 Megatonnen im Jahr 2022 zu senken.

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Im Vergleich zum Vorkrisenjahr 2019, dem Jahr vor der Corona-Krise, sei sogar eine Verringerung um 49 Megatonnen geschafft worden. Allerdings sei das völlig unzureichend, um die Klimaziele bis 2030 zu erreichen. Wenn man die bisherige Entwicklung bis zu jenem Jahr fortschreibe, dann würden die Ziele für den Ausstoß der Treibhausgas-Emissionen um 190 Millionen Tonnen oder um mehr als 40 Prozent verfehlt, so Hans-Martin Henning, der Vorsitzende des Expertenrates.

Das Gremium wurde 2019 unter der damaligen großen Koalition eingesetzt und soll sicherstellen, dass die Klimaziele der Bundesregierung nicht nur auf dem Papier stehen. Erfolge und Misserfolge in einzelnen Sektoren sollen nachprüfbar sein und Sofortprogramme nach sich ziehen.

Aufgabe des Expertenrates ist es etwa, die Daten zu evaluieren, die das Umweltbundesamt regelmäßig vorlegt, zuletzt im März. Oberflächlich betrachtet sahen diese Daten ganz gut aus. Deutschland hat für 2022 sein Klimaziel erreicht - allerdings nur, weil die Industrie infolge des Krieges in der Ukraine, der Energiekrise, von Corona-Nachwehen und Lieferkettenproblemen ihre Produktion gedrosselt hat. In anderen Sektoren sah es deutlich schlechter aus.

Die FDP will Defizite im Verkehrssektor durch andere Klimaschutzmaßnahmen kompensieren

"Es könnte der Eindruck entstehen, dass Deutschland auf einem sicheren Weg ist bei der Einhaltung der Klimaziele. Dieser Eindruck relativiert sich aber bei einer genaueren Betrachtung", sagt Henning.

In der Energiewirtschaft stiegen die Emissionen erwartungsgemäß an, weil das fehlende Gas aus Russland zum Teil durch den Rückgriff auf schmutzige Kohlekraftwerke kompensiert wurde. Bei der Beheizung von Gebäuden sank der Ausstoß zwar leicht, lag aber wie im Vorjahr leicht über Plan. Größtes Problem ist der Verkehr, jener Sektor, der von Minister Volker Wissing (FDP) verantwortet wird. Hier stiegen die Emissionen sogar an, der Bereich lag mit fast zehn Millionen Tonnen sogenannter Kohlendioxid-Äquivalente (CO₂e) über der Zielmarke.

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"Was wir letztes Jahr an Emissionsminderung gesehen haben, ist vor allem krisenbedingt. Die Reduzierung geht zu langsam, um die Ziele zu erreichen", sagt Brigitte Knopf, die stellvertretende Vorsitzende des Klima-Expertenrates. Allerdings sei "der Peak" der Emissionen inzwischen erreicht. Deutschland sei auf dem Weg, die Treibhausgase zu reduzieren, jedoch langsam.

Der Expertenrat äußerte sich auch zu den Beschlüssen des Koalitionsausschusses. Dieser hatte Ende März unter dem Druck der FDP eine Aufweichung der Sektorziele vereinbart. Das Klimaschutzgesetz soll dahingehend geändert werden, dass Mehr-Emissionen in einem Sektor durch andere ausgeglichen werden können. So ließen sich Misserfolge im Verkehrsbereich durch mehr Klimaschutz etwa in der Bauwirtschaft kompensieren. Das sieht der Expertenrat kritisch. Außerdem dringt er, wie ursprünglich geplant, auf eine jährliche Bewertung der Ziele. Zwar plane die Ampelregierung, das jährliche Monitoring in den einzelnen Sektoren aufrechtzuerhalten, allerdings würden Handlungsanweisungen nur noch dann erfolgen, wenn ein Sektor seine Ziele zwei Jahre hintereinander nicht erfülle. Das gefährde jedoch die Erreichung der Ziele für 2030.

Eigentlich müsste Verkehrsminister Wissing spätestens drei Monaten nach dem Erscheinen des jetzigen Berichts ein Sofortprogramm vorlegen, wie er die Ziele seines Sektors einzuhalten gedenkt. Dazu dazu wird es wohl nicht kommen, denn das Kanzleramt hat Wissing von dieser Pflicht befreit. "Wir haben eine andere Beschlusslage", sagte ein Vize-Regierungssprecher mit Blick auf Ergebnisse des Koalitionsausschusses der Ampel-Parteien.

Während das Bauministerium erklärte, dass man das Sofortprogramm aus dem vergangenen Jahr fortentwickeln werde, kündigte ein Sprecher des Verkehrssressorts an, kein Programm aufzulegen. Bereits das von 2022 war vom Expertenrat als ungenügend abgelehnt worden. Der Sprecher verwies wie das Kanzleramt darauf, dass der Koalitionsausschuss eine Änderung des Klimaschutzgesetzes beschlossen habe. Er gehe davon aus, dass bis zum Erreichen der Frist in drei Monaten das Gesetz geändert sein werde. Das Gesetz muss von Klimaminister Robert Habeck (Grüne) vorgelegt werden. Eine Sprecherin sagte, man sei hier noch am Anfang der Arbeiten, einen Zeitplan zur Vorlage gebe es nicht.

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