Kirche in Österreich:Pornofilme, Alkohol und Drogen für die Zöglinge

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Die katholische Kirche in Österreich glaubte sich gegen den Skandal gefeit - doch nun werden immer neue Fälle von sexuellem Missbrauch bekannt.

Michael Frank, Wien

In Österreichs Kirche herrscht blankes Entsetzen über zahlreiche Enthüllungen von Kindesmissbrauch durch Kleriker. Relativ zur Größe des Landes ist Österreich mit mehr kirchlichen Missbrauchsfällen konfrontiert als Deutschland.

Entsprechend enttäuscht ist die katholische Gemeinde, dass der Papst in seinem Hirtenbrief "nicht einmal einen kurzen Gedanken" auf Österreich und Deutschland gerichtet hat, kritisiert der Generalvikar der Diözese Innsbruck. Laienorganisationen vermissen ein Schuldbekenntnis und klare Worte zu strukturellen Ursachen in der Kirche selbst.

Skandalreiche Jahrzehnte

Der Verein "Opfer kirchlicher Gewalt" hat sich gebildet, um mit einer Sammelklage Entschädigungen zu erzwingen. Mit weniger als 80.000 Euro pro Fall will man sich nicht begnügen.

Dies passiert in einem Land, das sich in seinem Grundbefinden so katholisch fühlt wie kaum ein anderes rundherum. Doch Österreichs Kirche hat skandalreiche Jahrzehnte hinter sich, die dazu beigetragen haben, dass das Land, das noch vor 25 Jahren nominell zu 85 Prozent katholisch war, weithin vom Glauben abfällt.

Österreich entsetzt sich besonders, dass sexuelle Übergriffe und Quälereien noch bis in jüngste Zeit angedauert haben. Aus Vorarlberg wird gar gemeldet, in einer Klosterheimschule seien Zöglinge mit Pornofilmen, Alkohol und anderen Drogen traktiert worden, gefolgt von sexuellen Übergriffen bis zur Vergewaltigung.

Und da ist noch eine besonders prekäre Sache: Rom selbst hat vor nicht langer Zeit das erste Kirchengerichtsverfahren überhaupt, das in Österreich gegen einen geistlichen Kinderschänder geführt wurde, kassiert.

Es ging um einen steirischen Pfarrer und dessen Übergriffe an Kindern in den Jahren 1982 bis 1987. Eltern blieben trotz tauber Ohren und Demütigungen durch die kirchliche Hierarchie hartnäckig. Der Pfarrer wurde nach Jahren "beurlaubt", bald aber wieder mit neuen Gemeinden betraut, mit verhängnisvollen Folgen.

Erst nach einem Bischofswechsel 2001, so zeichnet die Wiener Wochenzeitung Falter den Fall nach, kam es zum kirchlichen Prozess vor dem erzbischöflichen Metropolitan- und Diözesangericht in Salzburg. Der Priester wurde für schuldig befunden.

Die Glaubenskongregation in Rom aber hob 2006 zu aller Überraschung den Schuldspruch auf: Die Sache sei verjährt.

Der Prälat, der damals die Verhandlung führte, erklärt heute ernüchtert, das sei völlig überraschend gekommen, denn man hatte sich vorher abgesichert. "Wir haben die Sache ja von Rom zugewiesen bekommen. Sie können sich denken, wie wir empfinden, wenn unser Urteil plötzlich aufgehoben wird."

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie der Erzbischof von Wien den Papstbrief lobt - bis vor kurzem aber noch ganz anders zu Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche stand.

Der Chef der Glaubenskongregation Josef Ratzinger war damals gerade Papst geworden, auch Wiens Erzbischof Christoph Kardinal Schönborn gehörte dem Gremium an.

Schönborn ist es, der jetzt der Öffentlichkeit namens der Bischofskonferenz schwört, die Zeit der Vertuschung sei endgültig vorbei, das Interesse der Opfer stehe nunmehr ohne Wenn und Aber über allem. Der Kardinal lobt den Papstbrief an die Iren als "klare Worte".

Noch ganz anders hatte Schönborn reagiert, als im Jahr 1995 sein Vorgänger in Wien, Kardinal Hans Hermann Groer, schwerer sexueller Übergriffe bezichtigt wurde. Schönborn nannte die intensiven Recherchen der Medien Verfolgungsmethoden wie unter den Nazis. Später legte er mit Bischofskollegen ein Schuldbekenntnis an Groers Statt ab, der seine Gemeinde niemals mit einem klärenden Wort von ihren bohrenden Zweifeln befreite und bis zu seinem Tod schwieg.

Bohrende Zweifel - bis zum Tod Groers

In der damaligen Krise der Kirche stieg die Zahl der Kirchenaustritte stark an - wie auch jetzt wieder. Als jüngst die ersten schaurigen Meldungen aus Deutschland kamen, glaubte man sich in Österreich gefeit, da man nach der Groer-Affäre Ombudsstellen eingerichtet hatte.

Doch die Vorstellung, die Sache Groer vor 15 Jahren habe Österreich geläutert und das Thema erledigt, war irrig, zumal man sich um die Opfer nicht recht kümmerte.

Nun geraten auch staatliche und zivile Heime sowie Heimschulen unter Verdacht. Dort - wie auch in manch frommem Internat - hat besonders die einstige Brutalität der Erziehungsmethoden, die manchmal an Folter gemahnt, zu später Anklage geführt.

Auch die Wiener Sängerknaben blieben nicht unbehelligt. Der Knabenchor musste soeben eine Anlaufstelle für Sexual- und Gewaltopfer aus dem eigenen Hause einrichten.

In Wien bildet sich indessen eine Initiative früherer Heiminsassinnen. Die Initiatorinnen beklagen, es werde fast nur über das Schicksal von Buben geredet. Das der Mädchen in den Heimen sei oft mindestens so grausam und traumatisierend gewesen, werde aber öffentlich nicht behandelt. Erste konkrete Fälle lassen frühere Insassinnen von Klosterschulen dazu aufrufen, sich endlich mit den eigenen Leiden hervorzuwagen.

© SZ vom 22.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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