Katholische Kirche:Geld aus der schwarzen Box

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Die Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz tagt von Montag an. Dabei wird es auch wieder um den Umgang mit den Missbrauchsopfern der katholischen Kirche gehen. (Foto: ULMER via www.imago-images.de/imago images/ULMER Pressebildage)

Das System der Anerkennungsleistungen für Missbrauchsopfer steht seit Jahren in der Kritik. Erste Schmerzensgeldurteile setzen die Kirche finanziell unter Zugzwang. Und Betroffene machen Druck.

Von Bernd Kastner und Annette Zoch

Eva Behring hat zweimal Geld bekommen von der katholischen Kirche, und zweimal war es für sie ein schmerzender Schlag. Einmal bekam sie 3000 Euro, später 2000 Euro. Zusammen 5000 Euro für das, was ein katholischer Pfarrer ihr als Kind angetan hat und worunter sie seither leidet. Sie ist keine Ausnahme. Viele Betroffene von Missbrauch fühlen sich durch die "Anerkennung des Leids" ein weiteres Mal verletzt und gedemütigt - durch die geringen Summen und das Verfahren selbst.

Von diesem Montag an treffen sich die deutschen katholischen Bischöfe wieder zu ihrer traditionellen Herbstvollversammlung, diesmal in Wiesbaden. Viele Themen stehen auf der Agenda: Der Umgang mit geistlichem Missbrauch, der Zoff um innerkirchliche Reformen, die anstehende Weltsynode in Rom. Ein aus Sicht vieler Betroffener nach wie vor unbefriedigend gelöstes Thema ist aber der Umgang mit den sogenannten Anerkennungsleistungen - also freiwilligen Entschädigungszahlungen für erlittenes Leid. Der Betroffenenbeirat der Deutschen Bischofskonferenz fordert jetzt eine Weiterentwicklung des bestehenden Systems.

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Eva Behring ist nicht der richtige Name der Frau, sie bittet, anonym zu bleiben. Heute lebt sie in der Nähe von München. Vor etwa 50 Jahren hat der Pfarrer ihrer Heimatgemeinde sie missbraucht, sie war etwa fünf Jahre alt. Der Mann ist ein Serientäter.

Im Jahr 2016 stellt Eva Behring den ersten Antrag auf "Anerkennung des Leids", wie es offiziell heißt. Sie füllt einen Fragebogen aus, in akkurater Handschrift schildert sie die Taten und was sie mit dem Kind und später der erwachsenen Frau gemacht haben. Sie leidet seither, wird psychisch krank, kann über Monate nicht arbeiten.

3000 Euro für lebenslanges Leid - die Zahlung der Kirche trifft sie wie ein Schlag

Die zuständige Stelle bei der Deutschen Bischofskonferenz empfiehlt die Zahlung von 3000 Euro, das Bistum überweist ihr die Summe, vom Generalvikar ihres Bistums erhält sie 2017 ein kühles, formales Schreiben. Es ist das erste Mal, dass eine Zahlung der Kirche sie trifft wie ein Schlag. 3000 Euro für lebenslanges Leid? Damals gilt noch ein anderes Verfahren: Die Stelle bei der Bischofskonferenz gibt nur Empfehlungen ab, die Auszahlung liegt immer im Ermessen der jeweiligen Bistümer, ein einheitliches Vorgehen gibt es nicht.

Das ändert sich im Januar 2021, als ein neues Gremium startet, auf das sich alle Bischöfe geeinigt haben: die mit unabhängigen Fachleuten aus Justiz, Medizin und Psychologie besetzte sogenannte Unabhängige Kommission zur Anerkennung des Leids (UKA) entscheidet künftig zentral über Auszahlungen. Diese sollen sich dabei an vergleichbaren Schmerzensgeldurteilen staatlicher Gerichte orientieren, als Obergrenze wird dabei immer wieder die Summe von 50 000 Euro genannt. Juristen allerdings vertreten die Meinung: Es gab bislang überhaupt keine vergleichbaren Urteile, die den systematischen sexuellen Missbrauch von Kindern durch Kleriker auch nur annähernd abbilden konnten.

Das hat sich allerdings in diesem Juni geändert: Da verurteilte das Landgericht Köln das Erzbistum Köln zur Zahlung von 300 000 Euro an den ehemaligen Ministranten Georg Menne. Das Urteil in dem Zivilverfahren war möglich, weil das Erzbistum für den strafrechtlich eigentlich verjährten Fall erstens auf die Einrede der Verjährung verzichtet hat und zweitens das Gericht die sogenannte Amtshaftung bejaht hat. Das heißt: Diözesen haften zivilrechtlich gegenüber Dritten für das Tun ihrer Beschäftigten. Derzeit laufen bereits weitere Zivilklagen vor deutschen Gerichten, unter anderem eine gegen das Erzbistum München und Freising, eine weitere gegen das Erzbistum Köln .

Eine Zivilklage ist anstrengend und kostet viel Geld, Betroffene müssen sich offenbaren

Allein: Eine Zivilklage ist anstrengend und kostet viel Geld, Betroffene müssen sich offenbaren, vor Gericht aussagen und sich unter Umständen langwierigen Begutachtungen unterziehen, wie jener Mann, der derzeit vor dem Landgericht Traunstein das Erzbistum München verklagt. Ein Verfahren zur Anerkennung des Leids hingegen, so argumentiert die UKA, sei niedrigschwellig, die Betroffenen müssten sich nicht öffentlich offenbaren und bekämen relativ zügig Geld ausgezahlt.

Eva Behring stellt ihren neuen Antrag noch vor dem Kölner Urteil, Anfang 2021 schreibt sie an die UKA und hofft auf eine aus ihrer Sicht angemessene finanzielle Anerkennung. Gut ein halbes Jahr später bekommt sie eine "Leistungsbenachrichtigung", wie es im Betreff heißt. Sie empfindet den Bescheid als "eiskalt formuliert". Die UKA, heißt es, habe "alle geschilderten Tatumstände wie auch die Auswirkungen der sexualisierten Gewalt auf Ihren Werdegang und Ihr Leben (...) berücksichtigt". Das Ergebnis ist eine "Leistungssumme" von 5000 Euro. Die vier Jahre zuvor erhaltenen 3000 Euro werden angerechnet, macht 2000 Euro zusätzlich. Die "Leistungsbenachrichtigung" endet mit dem Satz: "Die UKA nimmt Anteil an Ihrem Leid."

In dem Brief ist auch davon die Rede, dass "ein mögliches institutionelles Versagen" der Kirche berücksichtigt worden sei. Eva Behring sieht dieses Versagen ganz aktuell: "Ich war und bin völlig paralysiert durch den Bescheid", schreibt sie an die Missbrauchsbeauftragte des Bistums. "Nun habe ich es nochmals in Briefform, dass meine Empfindungen, meine seelischen Verletzungen und die körperlichen Folgen nicht zählen, dass ich nichts wert bin."

Zwar hat die UKA nach dem Kölner Urteil vom Juni 2023 angekündigt, die zugesprochenen 300 000 Euro künftig in ihren Entscheidungsrahmen mit einzubeziehen, es handele sich aber nach wie vor um Einzelfallentscheidungen. In einzelnen Fällen habe die UKA aber auch jetzt schon sechsstellige Summen ausgezahlt.

Seit März ist es möglich, Widerspruch gegen Entscheidungen der UKA einzulegen

Allerdings begründet die UKA gegenüber den Betroffenen nicht, warum sie im jeweiligen Fall wie entschieden hat. "Völlig intransparent" findet das Eva Behring, und das wird jetzt zum Problem. Denn seit März dieses Jahres ist es möglich, Widerspruch gegen die UKA-Entscheidung einzulegen. Eva Behring will das tun. Aber wie soll sie argumentieren, fragt sie, sie wisse ja gar nicht, wie die Kommission zu ihrer Entscheidung gekommen sei. Welche Details, Umstände und Folgen des Missbrauchs die Kommission wie gewichtet haben. Wie eine "Blackbox" komme ihr das Verfahren vor, auch jetzt, nachdem man ihr die in ihrer UKA-Akte befindlichen Unterlagen geschickt habe. Darin nichts über die Entscheidungsgründe.

Das kritisiert auch der Betroffenenbeirat der Deutschen Bischofskonferenz - und fordert eine Reform des Verfahrens. Die Bischöfe müssten Rahmenbedingungen schaffen, die Zivilklagen von Betroffenen unnötig machen. Unter anderem solle eine neue, "tatbasierte Grundpauschale" eingeführt werden, die schnell, transparent und unbürokratisch ausgezahlt werden könne. Sollte sich der Betroffene nach wie vor nicht adäquat gewürdigt sehen, könne er eine individuelle Prüfung verlangen. Bei dieser müssten alle Verfahrensstufen schriftlich durch die UKA begründet werden.

"Wir empfehlen Betroffenen derzeit, keinen Widerspruch einzulegen", sagt Johannes Norpoth, der Sprecher des Betroffenenbeirats, der SZ. "Sondern: Betroffene können eine ganz neue Überprüfung ihres Falles verlangen. Dies ist möglich, wenn neue Informationen vorliegen - und diese sind durch das Kölner Urteil gegeben." Das sieht auch die UKA so.

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