Kanzlerkandidat:Schulz und die SPD: Wir schaffen das

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Applaus im Bundestag: Martin Schulz inmitten seiner Parteigenossen. (Foto: Getty Images)

Martin Schulz präsentiert sich unter viel Applaus der SPD-Fraktion im Bundestag. Und plötzlich zeigen die Sozialdemokraten wieder, was man bei ihnen lange Zeit nicht gesehen hat: Optimismus.

Von Christoph Hickmann

Jetzt klatschen sie schon, bevor er überhaupt ein Wort gesagt hat. Die Abgeordneten stehen, sie applaudieren rhythmisch, während der künftige Kanzlerkandidat und Parteivorsitzende sich den Weg zu seinem Platz am Kopf des Saals bahnt, mal hier einen stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden umarmt, mal dort ein paar Worte sagt, um schließlich neben Sigmar Gabriel zum Stehen zu kommen. Martin Schulz lächelt noch ein bisschen in die Kameras vor ihm, hebt grüßend eine Augenbraue, wenn er irgendwo ein bekanntes Gesicht entdeckt, dann hebt er die Hand: Schluss jetzt, die Sitzung soll beginnen. Und die Abgeordneten gehorchen, sie setzen sich, während Journalisten und Fotografen den Saal verlassen und die Türen geschlossen werden. Es kann beginnen.

Mittwochmittag, im Reichstagsgebäude ist die SPD-Bundestagsfraktion zur Sondersitzung zusammengekommen. Einziger Tagesordnungspunkt: Auftritt Schulz. Es ist der Tag, nachdem Sigmar Gabriel seinen Verzicht auf Kanzlerkandidatur sowie Parteivorsitz erklärt und jenen Mann nach vorn geschoben hat, den er seinen Freund nennt. Es ist der Tag nach dem Tag, der alles verändert hat in der Sozialdemokratie. Und es ist an diesem Mittwoch bereits der zweite wichtige Auftritt des designierten Kandidaten Schulz.

Viele Abgeordnete sind erleichtert - auch aus sehr persönlichen Gründen

Den ersten hat er schon morgens absolviert, gegen zehn Uhr hat er sich den Mitarbeitern des Willy-Brandt-Hauses vorgestellt, also jenen Leuten, die in den nächsten acht Monaten für ihn arbeiten, den Wahlkampf planen, koordinieren und machen sollen. Auch hier hat er bereits Ovationen bekommen, Zwischenapplaus. Ich bin einer von euch, so wird eine seiner Hauptbotschaften hinterher von Teilnehmern wiedergegeben, ein Chef unter Gleichen, einfach im Umgang, lasst uns zusammenarbeiten, wir schaffen das gemeinsam. Schulz habe genau die Seele getroffen, sagt hinterher einer, der dabei war. Das ist einerseits ein Kompliment an den Redner Schulz, zugleich aber auch eine Aussage über den Mann, den Schulz hier als Parteichef ablöst: über Sigmar Gabriel.

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Und damit zurück in die Bundestagsfraktion, wo der Anteil der Gabriel-Skeptiker zuletzt womöglich sogar noch ein bisschen höher lag als im Willy-Brandt-Haus. Denn für die Abgeordneten kam ja eine regelrecht existenzielle Sorge dazu: dass sie ihr Mandat verlieren würden, wenn Gabriel anträte und mit seiner Unbeliebtheit die Partei noch weiter nach unten zöge. Deshalb ist das rhythmische Klatschen noch vor Schulz' Auftritt nur zum Teil eines dieser Rituale, aus denen Politik eben auch besteht. Es steckt bei vielen Abgeordneten echte Erleichterung dahinter. Und bei manchen wohl sogar wieder so etwas wie Optimismus. Erstmals seit langer Zeit.

Die Partei kann sich im Unglück wälzen - und im nächsten Moment an sich selbst berauschen

Eröffnet wird die Sitzung von Fraktionschef Thomas Oppermann. Er möchte gern einen Seitenhieb auf Gabriel loswerden, der seinen Rücktritt im Stern erklärt und damit die allermeisten Genossen in Berlin überrascht hatte: Viele hätten sich gewünscht, von den Nominierungsfragen nicht aus den Medien zu erfahren, so wird Oppermann zitiert. Dann sagt Gabriel noch kurz etwas zu den Personalentscheidungen, die sich aus dem Führungswechsel ergeben. Und dann ist Schulz dran.

Er lobt Gabriel und dessen Verzicht. Mit dem Sigmar sei er befreundet, wozu auch "Schrei-Attacken" zählten. Gelächter. Dann zählt Schulz die Ahnenreihe der SPD-Vorsitzenden auf, die ihn demütig mache. Es folgen ein paar Schlaglichter, eine Art erste Orientierung, wie der Wahlkampf aussehen könnte. Die Menschen, sagt Schulz, müssten merken, dass die SPD an ihre Nöte denke. Eine starke EU sei der beste Schutz für Deutschland. Das Auseinanderdriften der Gesellschaft müsse verhindert werden, und das Bollwerk der Demokratie habe drei Buchstaben: SPD. Die SPD müsse "für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft kämpfen", sagt Schulz. Er werde "im Stehen, im Sitzen, im Liegen", zu Wasser, zu Lande und in der Luft dafür kämpfen, "dass ich euer nächster Bundeskanzler werde".

Applaus im Stehen, Begeisterung, kurz danach kommt der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Axel Schäfer nach draußen, wo die Journalisten warten. "Wahnsinn", sagt er. "Mitten ins Herz, aber auch in Kopf und Bauch." Und gemeint sind keine Schussverletzungen.

Das ist das ewig Faszinierende an der SPD: dass diese Partei, die sich so lustvoll selbst zerfleischen und im eigenen Unglück wälzen kann, dass diese Partei sich dann doch immer wieder an sich selbst berauschen und binnen Augenblicken in einen Zustand kollektiver Trunkenheit versetzen kann. Selbst Gabriel, den am Ende so viele möglichst weit weg wünschten, hatte ja am Anfang seiner Amtszeit einen ähnlichen Zustand erzeugt. Ende 2009, als er die gebeutelte Partei in seiner Rede beim Dresdner Parteitag aufforderte, wieder "raus ins Leben" zu gehen - dahin, wo es brodele, wo es rieche, gelegentlich stinke.

Nun also die Schulz-Euphorie. Aber wo kommt sie, abgesehen von der sozialdemokratischen Fähigkeit zur Selbstberauschung, eigentlich her? Das sozialdemokratische Rad neu erfunden hat er in seiner Rede vor der Fraktion jedenfalls nicht. Doch glaubt man den sozialen Medien, dann sind es unter anderem junge Leute, die sich besonders für ihn begeistern. Manche wollen darin bereits eine Parallele zu jener Begeisterung sehen, die den US-Senator Bernie Sanders beinahe zur demokratischen Präsidentschaftskandidatur getragen hätte. Der Schönheitsfehler daran: Sanders ist, jedenfalls nach US-Maßstäben, ein Linker unter den Linken, wohingegen Martin Schulz ein konservativer Sozialdemokrat ist. Auch die These, Schulz komme eben nicht aus dem politischen Establishment, lässt sich nur dann aufrechterhalten, wenn man das Brüsseler Establishment nicht in den Blick nimmt.

Zumindest ein Teil der Begeisterung erklärt sich aus der Erleichterung über Gabriels Abgang. Außerdem funktioniert Schulz, von dem innenpolitisch bislang nur wenige Positionen bekannt sind, noch gut als Projektionsfläche für die Wünsche und Hoffnungen aller Flügel. Die Frage ist, was passiert, wenn er konkreter werden muss. Und vor allem: wenn die Umfragewerte nicht nach oben gehen sollten.

Vielleicht aber passen hier auch zwei Dinge perfekt zusammen: die Suche einer Partei nach ihrer verlorenen Identität - und ein Mann, der durch seine Herkunft samt abgebrochener Schullaufbahn und überwundenem Alkoholismus, sein Auftreten, seine Sprache die klassische Sozialdemokratie geradezu verkörpert. Erst in ein paar Monaten wird man sehen, ob das reichen kann, um die SPD bei der Bundestagswahl vor dem Schlimmsten zu bewahren.

Wobei Schulz selbst ja ein ganz anderes Ziel vorgibt: die Kanzlerschaft. Er wiederholt das nach der Sitzung noch einmal, als er sich mit Fraktionschef Oppermann vor die Kameras stellt. Die SPD, sagt Schulz, habe den Anspruch, das Land zu führen. Dann stellt jemand die leicht boshafte Frage, welche Rolle eigentlich der künftige Außenminister im Wahlkampf spielen solle, also Sigmar Gabriel? Schulz versucht sich an einer etwas weitschweifigen Antwort zum Thema Europa, doch dann nimmt sich Oppermann das Wort: "Er wird im Wahlkampf eine dienende Rolle spielen", sagt er über Gabriel. Man darf gespannt sein, ob der sich an diesen Ratschlag hält. Seinem Freund Martin zuliebe.

© SZ vom 26.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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