Eine Entlassung war das nicht. Das wäre noch harmlos gewesen. Nein, Kanzlerin Merkel hat ihren Umweltminister Norbert Röttgen schlicht rausgeschmissen, vor die Tür gesetzt. Und das in hohem Bogen. Nur Merkel und Röttgen wissen im Moment, was genau in den vergangen zwei Tagen seit der desaströsen Wahlniederlage von Röttgen zwischen ihnen passiert ist, dass die Lage so eskalieren konnte.
Röttgen galt als "Muttis Liebling", als "Muttis Klügster". Als treuer Diener seiner Herrin. Er hat immer deutlich gemacht: Er wäre gerne Kanzler geworden. Nicht gegen Merkel. Mit ihr. Er hätte keinen Putsch gegen Merkel geführt. Er nicht. Merkel wusste das.
Und doch muss er sie maßlos enttäuscht haben. Anders ist die Art und Weise dieses Rauschmisses nicht zu erklären. Merkel steht im Kanzleramt allein vor der Presse. Kurz danach meldet sich aus dem Bundestag der Nachfolger Peter Altmaier zu Wort. Von Norbert Röttgen ist nichts zu hören. Er darf oder will nichts sagen.
Vielleicht war es Röttgens Versuch, die Abstimmung in NRW zu einer Abstimmung über Merkels Politik zu machen, der Merkel erzürnt hat. Vielleicht war er ihr nach dem Wahldebakel nicht demütig genug. Wie selbstverständlich hat er noch am Montag klargemacht, er sehe sich bis wenigstens zur Bundestagswahl 2013 im Amt. Merkel hat da nicht widersprochen.
Vielleicht aber hat sich Röttgen auch einfach zu viele Feinde in Berlin und Düsseldorf gemacht auf seinem Weg nach oben, als dass Merkel jetzt noch an ihm hätte festhalten können. Einer heißt Volker Kauder, der Fraktionschef im Bundestag. Röttgen wäre nach der Bundestagswahl 2009 gerne Fraktionschef geworden. Er hatt schon seine Truppen um sich geschart, um Kauder auszubooten. Kauder hat Wind von der Sache bekommen. Seitdem ist das Verhältnis zerrüttet.
Röttgen hat auch seinen NRW-Landsmann, Kanzleramtsminister Ronald Pofalla, gegen sich, der den Medienliebling schon immer argwöhnisch beobachtete. Und er hat die Union in der Atomdebatte auf eine Weise vor sich hergetrieben, die ihm vor allem der mächtige Wirtschaftsflügel übel genommen hat. Manche sehen unter anderem darin den Grund, dass Röttgen mit der Energiewende nicht vorankommt.
Zu was Röttgen in der Lage ist, konnte Merkel im Machtkampf um die Vorherrschaft in der NRW-CDU beobachten. In einem erbitterten Wettkampf hat er seinem alten WG-Genossen Andreas Krautscheid den Vorsitz des CDU-Bezirks Mittelrhein abgeluchst. Röttgen hat dafür eine alte Vertraute Krautscheids überraschend auf seine Seite gezogen. Wenig später bekam ihr Mann einen guten Posten als Staatsekretär im Umweltministerium. Ziemlich hemmungslos lotste er die Partei in eine Kampfabstimmung um den Landesvorsitz zwischen ihm und dem beliebten Armin Laschet. Der prominentere Röttgen gewann. Auch mit dem Versprechen, sich voll und ganz für NRW einsetzen zu wollen. Krautscheid, bis dahin Generalsekretär der NRW-CDU, ersetzte Röttgen umgehend durch Oliver Wittke.
Wie viel das Versprechen Röttgens wert war, konnten seine Anhänger jetzt im NRW-Wahlkampf beobachten. Röttgen wollte sich partout nicht festlegen, ob er auch nach einer verlorenen Wahl in Düsseldorf bleiben würde.
Röttgen hat hoch gepokert mit dieser Strategie. Jetzt hat er alles verloren. Auch das ist Röttgen: rücksichtslos und machtbewusst. Jetzt hat er sich klar verrechnet. Die Niederlage in NRW war wohl zu heftig, um sich noch im Amt zu halten.
Nun wird Merkels enger Vertrauter Peter Altmaier Umweltminister. Eine machtpolitische Entscheidung, keine fachpolitische. Sie soll signalisieren: Die Energiewende hat höchste Priorität für die Kanzlerin. Wer Altmaier angreift, muss sich bewusst sein, dass er damit Merkel angreift.
Anderseits birgt die Personalie auch eine Gefahr: Fraktionschef Volker Kauder hat sich in den vergangenen Monaten spürbar aus dem operativen Geschäft herausgehalten. Immer mehr hat er es seinem parlamentarischen Geschäftsführer Altmaier überlassen, in brenzligen Situationen die Mehrheiten zu organisieren oder die Regierungspolitik öffentlich zu erklären.
Als Altmaier wieder einmal die Kanzlermehrheit in einer kritischen Euro-Abstimmung zusammenbekommen hatte, da schickt er als erstes Merkel und nicht seinem Fraktionschef Kauder die erlösende SMS.
Altmaier gilt als rechte Hand Merkels. Fällt er aus, wird es schwer, das fragile Machtgefüge in der Fraktion ins Gleichgewicht zu bringen.