So gesehen kann man verstehen, dass Michael Kellner bei der Verkündung des Ergebnisses alles unternimmt, um diesen Eindruck vom Tisch zu fegen. Ein "wunderbarer Morgen" sei das, nach einer "spannenden Nacht" mit einem "furiosen Ende", das beweise, wie spannend die Grünen seien. Kellner ist der Bundesgeschäftsführer der Partei; er hat vielleicht am meisten unter den Schwächen seiner Partei gelitten. Immer war er dabei; wenig durfte er selbst prägen. Deshalb war die Urwahl seine Hoffnung, sie wieder interessant zu machen. Würde es den Grünen helfen - Kellner würde durch einen brennenden Reifen springen, um das Bild aufzupeppen. Kein Wunder, dass er an diesem Morgen so sprudelt.
Zumal ihm die Mitglieder wenigstens ein bisschen in die Hände gespielt haben. Sie haben das Rennen spannender gemacht, als die meisten es erwartet hatten. Und sie haben aus seiner Sicht dafür gesorgt, dass anders als vor vier Jahren niemand mit einem katastrophalen Ergebnis heimgeht. "Alle sind heile rausgekommen", ist Kellners Satz des Tages.
Der erste Verlierer Robert Habeck könnte das freilich anders sehen. Er hat wirklich nur hauchdünn verloren. 12 204 gegen 12 129 Stimmen - Sprinter hätten nach dem Zielfoto gerufen. Doch wenn stimmt, was an diesem Tag von ihm zu vernehmen ist, dann ist er nicht erschüttert und nicht beleidigt, sondern bei allem Frust ziemlich stolz auf sein Ergebnis. Natürlich hätte er gerne gewonnen. Auf keinen Fall aber will er dazu beitragen, dass die Partei jetzt "nicht aus dem Quark kommt", wie der Norddeutsche Habeck es gerne ausdrückt.
Hätte Hofreiter mehr Stimmen bekommen - alles könnte anders sein
Was auch damit zu tun hat, dass Özdemir und er so weit nicht auseinander liegen, nicht in inhaltlichen Fragen und nicht persönlich. Deshalb gilt es als wahrscheinlich, dass der Kieler sich nicht aus der Politik verabschiedet, sondern gut überlegen wird, wo für ihn künftig der beste Platz sein könnte. Anders, vielleicht ganz anders wäre die Lage, wenn statt Habeck Anton Hofreiter derart knapp unterlegen wäre. Dann wäre die Gefahr groß gewesen, dass Realos und Linke das Ergebnis als Kopf-an-Kopf-Rennen und als Patt zwischen den Flügeln interpretiert hätten. Hofreiter jedoch hat deutlich weniger Stimmen erhalten. Mit gut 26 Prozent ist er freilich auch nicht abgestraft worden.
Dass mit 70 Prozent für Göring-Eckardt und knapp 36 für Özdemir nicht alle Gefahren gebannt sind, wissen die beiden. Beide betonen mehrmals, dass sie schon "bescheuert" und "dumm" sein müssten, wenn sie im Wahlkampf auf die Hilfe Habecks und Hofreiters verzichten würden. "Wir wollen deutlich zweistellig werden - da brauchen wir jeden." Nur der Name Trittin, der fällt nicht ein einziges Mal.