Flüchtlingspolitik:Kanaren drohen neuer Hotspot für Geflüchtete zu werden

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Migranten auf Gran Canaria (Archiv Ende Oktober 2020): Vor allem Marokkaner stranden derzeit mit Holzbooten an den Küsten der Kanaren (Foto: dpa)

Mehr als 18 000 Menschen haben dieses Jahr Gran Canaria, Teneriffa und Fuerteventura in Booten aus Afrika erreicht. Jetzt reagiert die spanische Regierung und richtet Not-Aufnahmezentren ein.

Zur Eindämmung der Migrationskrise auf den Kanaren will Spanien auf den Atlantik-Inseln provisorische Aufnahmezentren für insgesamt 7 000 Menschen errichten. Diese Lager würden "schon in wenigen Wochen" zur Verfügung stehen, sagte Migrationsminister José Luis Escrivá am Freitag bei einem Besuch in Las Palmas de Gran Canaria.

Sie sollen auf den Inseln Gran Canaria, Teneriffa und Fuerteventura den Angaben nach auf Grundstücken oder in Gebäuden des Verteidigungsministeriums errichtet werden. Die Maßnahmen solle dazu dienen, dass die Kanaren nicht zu Europas nächstem "Hotspot" in der Migrationspolitik werden.

Daneben werde man auch an dem Bau "stabilerer Zentren" ebenfalls für 7 000 Migranten arbeiten, erklärte Escrivá. Verkehrsminister José Luis Ábalos, der am Freitag ebenfalls Gran Canaria besuchte, versprach unterdessen mehr Mittel für den Seenotrettungsdienst.

In diesem Jahr sind mehr als 18 000 Menschen auf die Kanarischen Inseln geflüchtet, etwa die Hälfte davon kam in den vergangenen 30 Tagen an. Der Anstieg der Zahl der Neuankömmlinge um 1 000 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum überfordert Rettungsdienste und Polizei. Etwa 5 500 Migranten sind übergangsweise in Hotels und Ferienwohnungen untergebracht worden, da die Inseln wegen der Coronavirus-Pandemie nicht so ausgebucht sind wie sonst zu dieser Jahreszeit.

Spanien will fast alle Menschen zurückschicken

Regionalpolitiker werfen der Zentralregierung vor, die Kanaren in der Krise im Stich zu lassen. Rettungsdienste und Polizei seien völlig überfordert. Madrid weigert sich derweil, die Migranten auf das Festland zu bringen. Man wolle nicht die Botschaft vermitteln, dass die Kanaren als Sprungbrett nach Europa dienten, hieß es. Bis auf wenige Ausnahmen strebe Madrid die Rückführung aller Migranten an, die auf den Kanaren ankommen, berichtete die Zeitung El Mundo diese Woche unter Berufung auf das Außenministerium.

Bei einem Besuch in Marokko betonte Innenminister Fernando Grande-Marlaska: "Die Migrationspolitik wird von der EU bestimmt, nicht von Spanien allein." Es gehe darum, die illegale Migration zu bekämpfen. Das Hauptaugenmerk der spanischen Regierung liege auf schnellen Abschiebungen von Personen, die in Europa nicht asyl- oder aufenthaltsberechtigt sind, sagte der Minister. "Wir müssen gegen irreguläre Migration kämpfen und die Entstehung irregulärer Einreiserouten nach Europa verhindern", sagte Grande-Marlaska in Rabat nach einem Treffen mit seinem marokkanischen Kollegen Abdelouafi Laftit. Mit ihm wollte er über schnellere Abschiebungen verhandeln. Die jüngsten Neuankömmlinge auf den rund 110 Kilometer entfernten Kanaren waren in der Mehrzahl Marokkaner.

Zugleich sollte Spaniens Außenministerin Arancha González-Laya in Genf bei den Vereinten Nationen Gespräche führen und am Wochenende in den Senegal reisen. Das westafrikanische Land hat sich zu einem der wichtigsten Ausreiseländer für Flüchtlinge und Migranten entwickelt, obwohl es annähernd 1 500 Kilometer entfernt liegt.

Spanien hat mit einem halben Dutzend afrikanischer Staaten bilaterale Abkommen zur Rückführung von Migranten geschlossen. Wegen Grenzschließungen während der Corona-Pandemie ist die Zahl der Abgeschobenen in diesem Jahr aber drastisch gesunken. Überstellungen aufs spanische Festland lehnt die Regierung ab, um der Botschaft entgegenzuwirken, die Kanaren dienten als Sprungbrett nach Europa.

Kirche wirbt für "großen Schatz"

Kürzlich hatten sich auch die katholischen Bischöfe der Kanarischen Inseln mit einem Appell an die Öffentlichkeit gewandt. "Das ist keine Invasion", hieß es in einem Dokument der Bischöfe Jose Mazuelos Perez und Bernardo Alvarez Afonso. Stattdessen brächten die Menschen aus dem Ausland "einen großen Schatz". Das "alte Europa" werde dank der Einwanderer verjüngt und für die "Herausforderungen der Vielfalt" geöffnet.

In dem Appell ist von "zarten Händen" die Rede, die sich um Kinder, Alte und Kranke kümmern könnten. Es handele sich um "junge Arbeiter, die die Früchte unserer Felder ernten". Die beiden Bischöfe plädierten dafür, in Sachen Migration endlich "eine wahrheitsgetreue und positive Bilanz" zu ziehen. Stimmen, die "Verwirrung säen" und Angst unter den Bürgern stiften wollten, müssten dagegen zurückgewiesen werden.

Auf den Kanarischen Inseln kommen derzeit immer mehr Migranten auf illegalen Wegen an. In den vergangenen Tagen kamen Tausende Personen in offenen Holzbooten über das Meer. Derart viele Ankünfte aus afrikanischen Ländern wurden auf der Inselgruppe zuletzt 2006 registriert.

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