Sicherheitskonferenz:Bidens Stellvertreterin im Rampenlicht

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Die amerikanische Vize-Präsidentin Kamala Harris auf der Sicherheitskonferenz in München. (Foto: Michael Probst/AP)

US-Vizepräsidentin Harris wirft Moskau vor, Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu begehen. Überraschend deutlich betonen auch die Republikaner, die Ukraine "so lange wie nötig" unterstützen zu wollen.

Von Matthias Kolb

Diesen Hinweis kann sich Kamala Harris nicht verkneifen. "Im vergangenen Jahr stand ich auf dieser Bühne und habe davor gewarnt, dass die Invasion der Ukraine durch Russland unmittelbar bevorstehe", sagt die US-Vizepräsidentin, die ihre Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz mit einer Viertelstunde Verspätung beginnt. Harris ist höflich genug, nicht explizit daran zu erinnern, wie viele im Publikum, von Ministern über Staats- und Regierungschefs bis zu Expertinnen und Journalisten, den Informationen aus Washington und London nicht glauben wollten.

Die Stellvertreterin von US-Präsident Joe Biden betont vielmehr, dass sich die Sorgen vor einer schnellen Niederlage der Ukraine und einem Auseinanderbrechen der Nato als unbegründet erwiesen hätten. Kiew sei weiter ukrainisch, "Russland ist geschwächt und das transatlantische Bündnis stärker als je zuvor", sagt Harris. Es sei unter anderem eine moralische Pflicht, der Ukraine weiter möglichst umfangreiche Unterstützung zu geben. Dann wirft sie Russland vor, Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben. Dies sind schwere Verstöße gegen das internationale Völkerrecht.

"Wir haben die Beweise geprüft, wir kennen die gesetzlichen Normen, und es besteht kein Zweifel: Das sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit", sagt die 58-Jährige. Sie spricht von "weitreichenden und systematischen Angriffen auf die Zivilbevölkerung" und wird dann konkret. Russlands Soldaten und Söldner hätten gemordet, gefoltert und vergewaltigt. Hunderttausende Menschen seien gewaltsam aus der Ukraine nach Russland verschleppt worden, darunter Kinder.

"Ich sage allen, die diese Verbrechen begangen haben, und ihren Vorgesetzten, die an diesen Verbrechen mitschuldig sind: Sie werden zur Rechenschaft gezogen", ruft Harris und erinnert daran, dass sie vor ihrer politischen Karriere bei den Demokraten Staatsanwältin in Kalifornien war. Die meisten im Publikum dürften dies allerdings wissen. Seit der Kür von Harris zu Bidens Stellvertreterin ist ihre Biografie gut bekannt - und seit dem Wahlsieg werden ihre Auftritte genau beobachtet.

Bisher hat Harris als Vizepräsidentin nicht überzeugt

Denn für sie gilt natürlich auch der jahrzehntealte Spruch, als Vizepräsident sei man "nur einen Herzschlag" vom Oval Office entfernt. Angesichts des Alters von Biden, der im Falle einer Wiederwahl im November 2024 82 Jahre alt wäre, dürften viele Wählerinnen und Wähler dieses Mal stärker auf seine running mate achten. Und es ist davon auszugehen, dass die Republikaner Harris attackieren und als unfähig darstellen werden, die größte Supermacht der Welt zu regieren.

Auch Parteifreunde fragen, ob Harris mehr zu bieten hat, als eben die erste Frau, die erste Afroamerikanerin und die erste Person asiatischer Herkunft in diesem Amt zu sein. Bisher hat sich Harris nicht als natürliche und unumstrittene Nachfolgerin Bidens etabliert. Dies zeigen auch die aktuellen Umfragen: Nur 41,5 Prozent der US-Amerikaner sind mit ihr zufrieden. Die "entschiedene Führungsstärke" bei der Hilfe für die Ukraine, die Harris in ihrer Rede zurecht den USA attestiert, stützt sich aber nicht unwesentlich auf die Erfahrung und die Autorität des Transatlantikers Biden.

Natürlich kann sich Harris - die unter anderem mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem britischen Premierminister Rishi Sunak zusammenkommt - durch den Auftritt auf der Sicherheitskonferenz etwas profilieren. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sie die USA in München vertritt, weil Joe Biden andere Pläne hat. Als Senator und Obamas Vizepräsident war er Stammgast im Bayerischen Hof, doch der US-Präsident zieht es vor, seine Rede zum Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine in Warschau zu halten. Am Dienstag wird dies der Fall sein. Dass Biden bereits zum zweiten Mal nach Polen reist und nicht nach Deutschland, wurde auf beiden Seiten des Atlantiks registriert - die angekündigte Reise von Kanzler Scholz nach Washington Anfang März wird jedoch als Beleg für gute bilaterale Beziehungen präsentiert.

Klare Botschaft an China

Die Regierung in Peking warnt Harris davor, Russland mit Waffenlieferungen für den Krieg gegen die Ukraine zu unterstützen. Alle Schritte Chinas in diese Richtung würden "Aggression belohnen, das Töten fortsetzen und eine regelbasierte Ordnung weiter untergraben", sagt sie. In Washington sei man "besorgt" darüber, dass Peking seine Beziehungen zu Moskau im vergangenen Jahr vertieft habe. Über die Unterstützung der USA für die Ukraine sagt Harris, diese werde "so lange wie nötig" andauern. Bei ihren Reisen durch USA sehe sie vor vielen Häusern und in vielen Geschäften ukrainische Fahnen, berichtet sie. Ihre Botschaft: In der US-Gesellschaft ist die Hilfe für die Ukraine nicht umstritten.

Harris leitet eine hochkarätig besetzte US-Delegation mit zahlreichen Mitgliedern aus Regierung und US-Kongress. Noch nie haben mehr Abgeordnete und Senatoren an der Sicherheitskonferenz teilgenommen als 2023. Neben Harris treffen auch die Chefs der Demokraten und Republikaner im US-Senat, Chuck Schumer und Mitch McConnell, mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zusammen - ein in Washington leider selten gewordenes Zeichen der Überparteilichkeit.

Top-Republikaner sichert Ukraine Unterstützung zu

Gerade McConnell will in München eine wichtige Botschaft verbreiten. "Die Fraktionsführung der Republikaner wünscht sich eine starke transatlantische Allianz. Wir stehen dazu, der Ukraine zu helfen", sagt er am Freitagabend in einer Diskussionsrunde. So versucht der 80-Jährige die Sorge zu zerstreuen, dass die Unterstützung für Kiew mit einem Repräsentantenhaus unter konservativer Führung nachlassen werde. "Schauen Sie nicht auf Twitter, schauen Sie auf die führenden Republikaner", betont McConnell.

Noch wichtiger als diese Aussagen in München ist womöglich ein Interview, das McConnells dem Kabelsender Fox News gegeben hat. Dem Lieblingssender aller US-Konservativen hatte er vor seinem Abflug gesagt, die amerikanische Bevölkerung müsse verstehen, "dass nichts in der Welt gerade wichtiger" sei als "die Russen in der Ukraine zu besiegen". Darüber sollten Demokraten und Republikanern nicht streiten. Die überparteiliche Unterstützung für Kiew hatte auch Harris in ihrer Rede betont. Bisher haben die USA der Ukraine mit 113 Milliarden Dollar an Militär-, Wirtschafts- und Entwicklungshilfe überwiesen.

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Aber natürlich spart McConnell in München nicht mit Kritik an der Regierung - und den Verbündeten in Europa. Anders als Biden wirbt der Republikaner dafür, der Ukraine F16-Kampfflugzeugen zu geben. Und "in aller Offenheit" hält er fest, dass die Europäer nicht alle so großzügig mit ihrer Hilfe für die Ukraine seien und nicht genügend in ihre Verteidigung investieren würden. "Rhetorische Zusagen müssen zu konkreten zusätzlichen Fähigkeiten führen", fordert McConnell. Ähnlich äußern sich auch führende Demokraten auf den und abseits der Podien dieser Sicherheitskonferenz.

Dort möchte man Kamala Harris offenbar auch 2024 begrüßen. Zum Ende ihres Gesprächs fordert Christoph Heusgen, der Chef der Sicherheitskonferenz, die Vizepräsidentin auf, gleich die Hotelzimmer für das kommende Jahr zu buchen.

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