Gaza-Krieg:"Wir zielen nicht auf Journalisten"

Lesezeit: 3 min

Der Selfie-Screenshot zeigt den Reporter Issam Abdallah. (Foto: ISSAM ABDALLAH/REUTERS)

An der libanesisch-israelischen Grenze wurde am 13. Oktober ein Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Reuters erschossen. Israels Militär weist die Verantwortung für den Vorfall zurück, doch ein Untersuchungsbericht belastet die Streitkräfte schwer.

Von Tomas Avenarius, Berlin

Nach dem Tod eines Journalisten der Nachrichtenagentur Reuters im Gaza-Krieg sieht sich Israel mit dem Vorwurf konfrontiert, Medienvertreter gezielt beschossen zu haben. Dies wäre nach internationalem Recht ein Kriegsverbrechen. Die israelischen Streitkräfte (IDF) erklärten in einer ersten Stellungnahme gegenüber Reuters: "Wir zielen nicht auf Journalisten."

Der libanesische Videojournalist Issam Abdallah war gemeinsam mit anderen internationalen Medienvertretern bei einem Dreh an der libanesisch-israelischen Grenze am 13. Oktober beschossen und getötet worden. Eine Fotografin der französischen Nachrichtenagentur AFP wurde schwer verletzt. Nun hat Reuters eine Untersuchung des Vorfalles veröffentlicht. Diese belastet die israelischen Streitkräfte (IDF) schwer.

Dem Reuters-Untersuchungsbericht zufolge waren sieben Fernseh- und Foto-Journalisten der Medienunternehmen Reuters, Al Jazeera und AFP am 13. Oktober nahe dem libanesischen Dorf Alma al-Chaab von der israelischen Seite aus beschossen worden. Die Reuters-Chefredaktion schreibt: "Die uns vorliegenden Beweise, die wir hiermit veröffentlichen, zeigen, dass eine israelische Panzerbesatzung unseren Kollegen Issam Abdullah getötet hat." Der arabische TV-Sender Al Jazeera, dessen Journalisten ebenfalls beschossen wurden, erklärte, die Untersuchung zeige, dass Israel Journalisten gezielt unter Feuer nehme, "um den Überbringer von Nachrichten zum Schweigen zu bringen".

Das israelische Militär erklärt, es habe einen Beschuss aus Libanon erwidert

Die IDF erklärte auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung, dem Vorfall sei der Beschuss durch eine Anti-Panzer-Rakete von der libanesischen Seite aus vorausgegangen. Man habe das Feuer "mit Artillerie und Panzern erwidert", um ein mögliches Eindringen von feindlichen Kräften nach Israel zu verhindern. Die IDF wüssten, dass "angeblich Journalisten, die in der Nähe waren, getötet wurden. Es handelt sich um ein aktives Kriegsgebiet, in dem geschossen wird und in dem der Aufenthalt gefährlich ist." Der Vorfall werde untersucht.

Die israelisch-libanesische Grenze im Norden Israels ist seit dem Terror-Überfall der palästinensischen Hamas auf den Süden Israels am 7. Oktober ein Kriegsgebiet. Die IDF und die schiitische Hisbollah-Miliz, die mit der Hamas verbündet ist, beschießen sich gegenseitig. Hisbollah hat weit reichende Raketen auf Nordisrael abgefeuert. Die israelische Luftwaffe hat libanesisches Gebiet angegriffen und erklärt, man bekämpfe so Stellungen der Hisbollah. Internationale Medienvertreter hatten die Grenze in den ersten Kriegswochen oft besucht und über gegenseitigen Beschuss berichtet.

Reuters fordert nun die Aufklärung des Vorfalles durch die IDF. Der britischen Nachrichtenagentur und den anderen Medien zufolge waren die Journalisten mit ihren Kameras auf einem Hügel weniger als zwei Kilometer von der israelischen Grenze auf libanesischem Boden gestanden. Von dort aus hatten sie gefilmt, wie israelische Truppen auf Positionen der Hisbollah auf der libanesischen Seite der Grenze feuerten. Dem Reuters-Bericht zufolge waren alle Journalisten an ihren schusssicheren blauen Presse-Westen auch aus größerer Entfernung als Medienvertreter zu erkennen. Auch das bei dem Beschuss mit zwei Panzergranaten beschossene Auto des katarischen TV-Senders Al Jazeera war als Pressefahrzeug gekennzeichnet.

Am Ort wurden Fragmente von Granaten aus israelischer Herstellung gefunden

Der Beschuss war von den laufenden Kameras von Reuters und Al Jazeera aufgezeichnet worden. Für den Untersuchungsbericht hatte Reuters die Expertise der unabhängigen niederländischen Organisation TNO genutzt. TNO untersucht Waffen und Munition für die niederländische Armee. Grundlage des Gutachtens waren Analysen der am Ort gefundenen Granatfragmente sowie der von den Journalisten aufgezeichneten Bild- und Tonaufnahmen. Auch Satellitenaufnahmen wurden genutzt. Als wichtigster Beweis für die Verantwortung der Israelis wird ein Fragment des Leitwerks einer Panzergranate angeführt: Solche Granaten werden von israelischen Merkava-Kampfpanzern verschossen und in Israel hergestellt. Weder die libanesische Armee noch die Hisbollah verfügen demnach über diese Geschosse. Vor dem Beschuss hatten die Journalisten aus der Distanz israelische Stellungen gefilmt, von denen aus Panzer nach Libanon feuerten.

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Eine Expertin für internationales Strafrecht sagte, die IDF habe das Filmen ihrer Stellungen möglicherweise als Bedrohung eingeschätzt, da es "Grundlage für die Ziele in Libanon kämpfender Kräften" sein könnte. Der Vorfall ist kein Einzelfall. Am 21. Oktober waren zwei Journalisten des libanesischen Senders Al Mayadeen durch Beschuss ums Leben gekommen. Der Sender macht die IDF verantwortlich. Die IDF hatte auch damals erklärt, das Grenzgebiet sei "wegen der aktiven Kampfhandlungen" gefährlich. Laut Journalisten-Organisationen wie JPC und IFJ sind inzwischen mehr als sechzig Medienmitarbeiter im jüngsten Gaza-Krieg umgekommen. Die meisten waren Palästinenser im Gaza-Streifen. Es seien aber auch vier Israelis und drei Libanesen gestorben.

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