Ostasien:Länder des Lächelns

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"Historisches Ereignis"? Japanische Touristinnen posieren mit einer Wache in historischem Kostüm vor einem alten Königspalast in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul. (Foto: Pietro Scozzari/imago images)

Wie erstaunlich nahe sich Japan und Südkorea in jüngster Zeit wieder gekommen sind - und warum die Verständigung dennoch nicht von Dauer sein muss.

Von Thomas Hahn, Tokio

Am Sonntag nach dem historischen Freundschaftsgipfel mit Südkorea in den USA war Japans Premierminister Fumio Kishida schon wieder unterwegs. Diesmal im eigenen Land, in der Präfektur Fukushima an der Ostküste, wo seit März 2011 die wohl tiefste Wunde der japanischen Gegenwart schwärt. Seit damals ein Tsunami infolge des Großen Ostjapan-Erdbebens eine dreifache Kernschmelze im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi auslöste, betreut der Kraftwerksbetreiber Tepco dort den hoch radioaktiven Schrott in den Reaktorruinen. Und zwar mit so viel Kühlwasser, dass die Auffangtanks mittlerweile fast voll sind.

Tepco wird in Kürze dekontaminiertes, also weitgehend von Radioaktivität befreites Kühlwasser aus diesen Tanks ins Meer leiten, um Platz zu schaffen. Am Dienstag will Kishida mit seinem Kabinett den genauen Termin für die Aktion besprechen. Das kaputte Kernkraftwerk besuchte er, um sich auf den neuesten Stand der Vorbereitungen zu bringen. Die Atomenergie-Behörde IAEA der Vereinten Nationen hat Japans Vorgehen abgesegnet. Trotzdem ist es im In- und Ausland umstritten, auch in Korea.

Das Kühlwasser aus Fukushima könnte für neuen Streit sorgen

Da steckte Fumio Kishida also schon wieder mittendrin in einem dieser Konflikte, die irgendwann auch wieder das Verhältnis zum Nachbarn Südkorea trüben könnten. Die japanischen Zeitungen waren am Wochenende voll mit Berichten von der Einigkeit beim Dreier-Gipfel in Camp David mit US-Präsident Joe Biden, Kishida und dem südkoreanischen Präsidenten Yoon Suk-yeol. In der konservativen Yomiuri Shimbun gab es sogar ein eigenes Stück dazu, dass Yoon am Freitag wiederholte, er vertraue dem positiven IAEA-Urteil zur Fukushima-Wasser-Frage. Aber es gab auch skeptische Analysen. "Ob es sich dabei wirklich um ein historisches Ereignis handelt, wird sich wohl erst in einiger Zeit herausstellen", schrieb die Nachrichtenagentur Kyodo über den Gipfel in Camp David. Denn die Streitthemen zwischen Japan und Südkorea sind vielfältig. Dass Japan behandeltes Kühlwasser aus dem Kernkraftwerk Fukushima Daiichi im Meer entsorgt, ist nur eines davon.

Die Konflikte zwischen Japan und Südkorea gehen nur gerade etwas unter. Das hat mit der allgemeinen Sicherheitslage im Indo-Pazifik zu tun, mit Chinas Macht-Avancen und mit dem Aufrüsten Nordkoreas, das immer bedrohlicher wird. Aber fast noch mehr hat das mit dem südkoreanischen Präsidenten Yoon Suk-yeol zu tun, der bis vor zweieinhalb Jahren noch gar kein Politiker war, sondern ein Staatsanwalt, der gegen Politiker ermittelte. Im März 2022 gewann Yoon als Kandidat der konservativen Partei PPP denkbar knapp die Präsidentschaftswahl gegen den Kandidaten der Demokratischen Partei Koreas (DP). Hätte er verloren, hätte Biden seine beiden asiatischen Partner vielleicht nicht so leicht an einen Tisch gebracht.

Südkorea war zwischen 1910 und 1945 von Japan besetzt. Das hat in Südkorea zu Verwundungen geführt, über die Japans dominierende Rechte nicht mehr reden will. Gerade Vertreter der DP in Südkorea aber fordern eine bessere Aufarbeitung der Vergangenheit. Sie träumen von der Wiedervereinigung mit dem sozialistischen Norden. Sie sind nicht bereit, japanische Verfehlungen aus der Kolonialzeit zu vergessen. Das wiederum akzeptiert Tokio nicht. Bis Mai 2022 war der DP-Mann Moon Jae-in Präsident. Moons Ton gegenüber Nordkorea war sogar noch sanft, als seine Aussöhnungspolitik gescheitert war. Und in Moons Amtszeit fiel ein Urteil, das zu einem historischen Tief im Verhältnis zu Japan führte: Koreaner, die während der Besatzungszeit gegen ihren Willen für japanische Firmen gearbeitet hatten, klagten 2018 vor Südkoreas Oberstem Gerichtshof erfolgreich auf Entschädigung. Tokio war sauer. Der Streit belastete die Handelsbeziehungen und den Sicherheitsdialog.

Yoon Suk-yeol hingegen folgt konsequent seinen konservativen Instinkten. Er fährt eine harte Linie gegen Nordkorea und sieht dabei in Tokio einen Gleichgesinnten. Die Konflikte aus der Vergangenheit scheinen ihn dabei nicht zu interessieren. Bei Bedarf frühstückt er sie mit knapper Geste ab. Den Konflikt um die Entschädigungen, die japanische Firmen aufbringen sollten, löste Yoon im März, indem er vorschlug, eine koreanische Stiftung solle die Zahlungen übernehmen. Plötzlich war die Stimmung gut. Kishida und Yoon besuchten sich gegenseitig. Sie prosteten sich medienwirksam zu. Handelsbeziehungen und Sicherheitsdialog lebten wieder auf.

Premier Kishida hat dem Schrein eine Opfergabe geschickt, wo Kriegsverbrecher verehrt werden

Aber wie nachhaltig ist dieses Hoch? Yoons unkritische Japan-Linie kommt in Südkorea nicht nur gut an. Sie könnte für seine PPP ein Problem bei den Parlamentswahlen im nächsten Jahr werden - zumal die DP natürlich auch die verbreitete Meinung teilt, dass Japan das Fukushima-Wasser nicht ins Meer leiten sollte. Und würde die nächste Präsidentschaftswahl 2027 ein DP-Kandidat gewinnen, wäre der alte Streit wohl endgültig wieder da. Zumal Japan auf koreanische Befindlichkeiten weiterhin wenig Rücksicht nimmt. Kürzlich schickte Kishida wieder eine rituelle Opfergabe an den Yasukuni-Schrein in Tokio, an dem mehrere japanische Klasse-A-Kriegsverbrecher in Ehren gehalten werden; in Südkorea gilt der Schrein als Symbol dafür, dass Japan seinen früheren Militarismus nicht richtig aufarbeitet. Und Anfang Mai protestierte Japan dagegen, dass ein koreanischer Parlamentarier die Liancourt-Felsen im Meer zwischen Korea und Japan besuchte. Japan nennt die kleine Inselgruppe Takeshima, Südkorea Dokdo. Beide Länder beanspruchen sie für sich.

Ein Schulterschluss mit Südkorea ist Japan nicht ganz geheuer. Yoons Kuschelkurs ändert daran so wenig wie Bidens Wunsch nach Harmonie zwischen den beiden wichtigen Partnern aus Asien. Laut Kyodo sollen die Regierungsbeamten aus Tokio darauf geachtet haben, dass die Statements zum Dreier-Gipfel nicht zu viel versprechen, keine gemeinsame Hotline zum Beispiel und auch keine bindende Gipfelroutine. Trotz Gruppenlächeln in Camp David - die Konflikte zwischen Japan und Korea sind nicht verschwunden.

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