Die Menschen in Japan haben ein gutes Verhältnis zu den Maschinen. Sie scheinen beseelt zu sein von dem Gedanken, dass jedes Gerät eine Chance verdient hat. Der Stäbchen-Ventilator zum Kühlen heißer Nudeln hat es im Inselstaat deshalb genauso zur Marktreife gebracht wie die Schreibtisch-Waschmaschine zur Armbanduhr-Reinigung. Und den Selbstbedienungsautomaten, die in Supermärkten immer häufiger die herkömmliche Kasse ersetzen, wirft auch kaum mehr jemand vor, dass sie Menschen die Arbeitsplätze wegnehmen. Man nimmt sie hin und macht das Beste draus. Trotzdem gibt es Ärger. Oder vielleicht gerade deswegen?
Japans Einzelhandel stellt jedenfalls fest, dass er ein Problem mit Ladendiebstahl hat. Und der Zusammenhang zwischen Verbrechen und Trend zum Selbstbedienungsautomaten ist deutlich. Auf der ganzen Welt kann man erleben, wie in Geschäften immer mehr Checkout-Terminals entstehen. In Japan fing es laut dem Nationalen Supermarkt-Verband 2003 an und griff aus guten Gründen um sich. Im alternden Inselstaat wird es nicht einfacher, Arbeitskräfte zu finden. Außerdem verlangt die Maschine keinen Lohn.
Aber die Maschinen versagen an einer sensiblen Stelle des Warenverkaufs: beim Bezahlen. Sie lassen sich zu leicht ausnutzen von Menschen, die nur so tun, als hätten sie ein Produkt vor den Scanner gehalten, oder die absichtlich was fallen lassen und es dann direkt einstecken. "Es gibt auch Leute, die unerlaubt Aufkleber zum halben Preis auf Artikel kleben oder sogar ihre eigenen Preisschilder mitbringen", sagt Yu Ito, Experte für Ladendiebstahl-Vorbeugung in der Wochenzeitung Bunshun, "durch die Einführung von etwas Bequemem breitet sich der Betrug aus." Die Zeitung Mainichi berichtet von einem Beispiel aus Nakagawa: In einem Discounter wollte eine Frau mit 48 ungescannten Artikeln im Wert von 21 745 Yen, knapp 150 Euro, aufbrechen. Und das Einzelhandelsunternehmen Trial Company aus Fukuoka berichtet, dass 80 Prozent der Ladendiebstähle im Mai 2023 mit Selbstbedienungssystemen zu tun hatten.
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Japan ist kein Land der Diebe. Im Gegenteil, wer hier seinen Geldbeutel verliert, bekommt ihn meistens mit vollem Inhalt zurück. Durch die aktuelle Debatte im Einzelhandel steht der Japaner deshalb vermutlich etwas krimineller da, als er wirklich ist. Aber die Branche fürchtet eben um das Geld, das sie mit den Automaten einsparen wollte. Ihre Manager stecken deshalb die Köpfe zusammen. Große Unternehmen wie Aeon Kyushu und Nishitetsu Store haben sich einem Selbsthilfe-Verband angeschlossen. So aktiv denken die Firmen darüber nach, Bilder und Informationen über verdächtige Kundschaft zu teilen, dass Anwälte vorsichtig an die Persönlichkeitsrechte der Supermarktbesucher erinnern.
Eine knifflige Situation. Die Natur des Selbstbedienungsautomaten und die Natur des Menschen ergeben eine Versuchung, der nicht jeder widersteht. Immerhin, das Problem ist erkannt. Die Firma Trial Company erklärt, sie erwische immer mehr Wiederholungstäter, weil sie deren Kleidung wiedererkenne. Und zur Not gibt es ja auch noch Japans Vertrauen in die Technik. Irgendwann gibt es vielleicht eine Selbstbedienungsautomaten-Absicherungsmaschine.