Jamaika-Sondierungen:Der Eintritt in eine Regierung ist kein Opfergang

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Die Sondierung geht in die entscheidende Nacht. Was an den wochenlangen Gesprächen unsagbar nervt, ist das Getue, dass jeder Kompromiss Abstriche an Prinzipien verlangen könnte, die schlimmer wiegen als Verrat. Dabei sind die beklagten Entbehrungen auszuhalten.

Kommentar von Nico Fried

In den Berliner Sondierungsgesprächen geht es nun in die entscheidenden Stunden. Wie zu erwarten war, ringen die vier beteiligten Parteien teils aus Überzeugung, teils aus Taktik bis zur letzten Minute um den Weg in eine Jamaika-Koalition. Daran ist auch nichts auszusetzen.

Man könnte sogar sagen, dass Politik in Deutschland schon lange nicht mehr in dieser Breite und zugleich so im Detail diskutiert worden ist. Nur eines ist CDU, CSU, FDP und Grünen hoffentlich klar: Am Ende muss die Einigung stehen. Ein Scheitern der Regierungsbildung wäre nicht nur verantwortungslos gegenüber dem Land und respektlos gegenüber den Wählern - es wäre schlicht und einfach lächerlich.

Natürlich gibt es Probleme

Es gibt etwas, das an diesen Sondierungsgesprächen wirklich unsagbar nervt: Das ist das Getue, dass jeder Kompromiss Abstriche an Prinzipien verlangen könnte, die schlimmer wiegen als der Verrat, den man am Land beginge, wenn man sie verweigerte. Es stimmt ja: Die vier Parteien befinden sich durch die politischen Umstände in einer Zwangslage. Sie müssen sich in eine Koalition fügen, die niemand wollte. Aber die Entbehrungen, die beklagt werden, sind auszuhalten. Der Eintritt in eine Regierung ist kein Opfergang.

Sondierungsgespräche am Mittwochabend: Möglicherweise sind die Schlachtengemälde der Stimmung im Verhandlungssaal der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft nicht wirklich zuträglich (Foto: dpa)

Fast jeder europäische Politiker könnte sein Glück wohl kaum fassen, wenn er die Chance bekäme, ein Land wie Deutschland zu regieren - boomende Wirtschaft, sinkende Arbeitslosenzahlen, Überschüsse in öffentlichen Kassen. Ein Land mit Menschen, die murren und mosern, aber doch die Wiedervereinigung gestemmt, die Agenda 2010 hin- und sogar eine Million Flüchtlinge aufgenommen haben, ohne dass das Staatswesen dauerhaft ins Wanken geraten wäre.

Niemand behauptet, dass hierzulande keine Probleme existieren, große Probleme. Aber niemand kann auch ernsthaft behaupten, dass es allzu vielen andere Staaten in der europäischen Nachbarschaft gibt, wo die Möglichkeiten zu ihrer Lösung so reichhaltig sind.

Verständigung und Kompromiss

Auch das Personal ist keine Entschuldigung. Wer Theresa Mays politisches Hantieren verfolgt, erkennt vielleicht, dass an Angela Merkel nicht alles schlecht ist. Wer sich vorstellt, er müsse mit dem österreichischen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache verhandeln, sieht vielleicht sogar Alexander Dobrindt mit anderen Augen. Und wer zur Kenntnis nehmen muss, dass Silvio Berlusconi noch immer in Italien mitmischt, der kann vielleicht sogar damit leben, dass es in Deutschland nur harmlose Leute wie Jürgen Trittin sind, die sich hartnäckig auf der politischen Bühne halten.

Verständigung und Kompromiss - was Jamaika ausmachen müsste, ist auch gar nichts Neues im deutschen Konsenssystem. Spätestens im Bundesrat muss der Ausgleich schon immer über viele politische Lager hinweg geschafft werden. Ein politisches Personal, das - bei allen verständlichen Unterschieden - keinen tragfähigen Kompromiss zur Koalitionsbildung findet, blamiert sich nicht nur vor den Bürgerinnen und Bürgern. Es lädt die Schuld auf sich, genau jene Krise herbeizuführen, vor der es sie angeblich bewahren will.

© SZ vom 16.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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