In neuer Rekordzeit durchmisst Giorgia Meloni, Italiens erste Premierministerin, den Reigen der republikanischen Rituale, die jedem Machtwechsel voraufgehen. Konsultationen beim Staatspräsidenten, Regierungsauftrag, Vorstellung der Ministerliste, Vereidigung des Kabinetts, Übergabe der Glocke des Ministerrats, erste Sitzung der neuen Regierung - alles in 48 Stunden. Für die kommenden Tage sind nun die Vertrauensabstimmungen im Parlament geplant. Übersteht sie auch die, ist ihr 24-köpfiges Kabinett offiziell im Amt.
Es sitzen darin viele ältere Männer und neben Meloni nur sechs Frauen. Fratelli d'Italia, Sieger der jüngsten Parlamentswahlen, nahm sich neun Posten. Die Partnerparteien Lega und Forza Italia erhielten je fünf Ministerien. Und fünf Ressorts gingen an Parteilose.
Einige Ministerien ließ Meloni vieldeutig umbenennen. Das Familienministerium ist nun auch Ministerium für "Natalität": Italien hat seit vielen Jahren eine rückläufige Demografie. Das Ministerium für die wirtschaftliche Entwicklung heißt jetzt "Ministerium der Unternehmen und des Made in Italy". Das Landwirtschaftsministerium trägt in seinem Namen nun auch die "Souveränität über Lebensmittel". Die wichtigsten Personalien spiegeln Melonis Absichten ziemlich genau.
Antonio Tajani, der Feuerlöscher
Antonio Tajani, 69, Römer, ist Italiens neuer Außenminister und gleichzeitig Vize der Premier. In jungen Jahren war Tajani Monarchist. Seinen wahren König fand er dann aber in Berlusconi. Als der Medientycoon in die Politik wechselte, war Tajani sein Sprecher, der Nachwischer und Exeget, wenn der Chef mal wieder entgleist ist. Man nennt ihn auch den "Mann mit dem Feuerlöscher neben Berlusconi". Seine Karriere verbrachte er fast ganz in Europa: fünf Legislaturperioden im Europaparlament, dem er auch einmal vorsaß, zwei Posten in der Europäischen Kommission. Er war es, der Forza Italia in der Europäischen Volkspartei vertrat - auch da oft mit dem Feuerlöscher. Zuletzt wieder, vor ein paar Tagen erst, als Berlusconi seine ungebrochene Zuneigung zu Wladimir Putin bekundete und den russischen Präsidenten schnell vom Aggressor der Ukraine zum Angegriffenen uminterpretierte. Tajani musste in Brüssel garantieren, er werde schon dafür sorgen, dass Italien auf Kurs bleibe, europäisch und atlantisch. Meloni bestand genau deshalb auf der Nominierung des immerzu moderaten Tajani: Er soll die internationalen Partner besänftigen.
Matteo Salvini, der Hafenschließer
Matteo Salvini, 49, Mailänder, wollte wieder Innenminister werden, ist nun aber Transportminister und ebenfalls Vizepremier geworden. Mit den zwei Vizes sichert sich Meloni eine gewisse Stabilität, zumindest theoretisch: So sind Lega und Forza Italia stark in die Verantwortung eingebunden. Aber ob das reicht? Bereits jetzt gibt es einen größeren Zwist über die Befugnisse Salvinis. Der hatte gehofft, er bekomme einen schönen Teil der Ressourcen aus dem Wiederaufbaufonds, der in die Modernisierung der Infrastrukturen fließt. Er wäre gerne durch Italien gereist und hätte den Bauherrn gegeben, um sich von seinem Popularitätstief zu erholen.
Doch Meloni wies die Verwaltung des Wiederaufbauplans ihrem Parteifreund Raffaele Fitto zu, dem neuen Europaminister. Schmachvoller noch für Salvini: Meloni will ihm offenbar auch die Hoheit über die Häfen und die Küstenwache entziehen, indem sie dem Ministerium für den Süden eine neue Komponente "Meer" hinzugefügt hat. Die Lega läuft Sturm. Salvini hatte sich ausgerechnet, dass er das alte Spiel mit den Seenotrettern wieder aufnehmen könne. Man erinnert sich, wie er zwischen Sommer 2018 und Sommer 2019 Italiens Häfen schließen ließ für NGOs und für Schiffe der Marine, die Migranten im Mittelmeer gerettet hatten. In einem Fall steht er dafür noch immer vor Gericht.
Giancarlo Giorgetti, der "Draghiano"
Giancarlo Giorgetti, 53, aus Varese, Nummer zwei der Lega, ist der neue Wirtschafts- und Finanzminister. Weil er ein Freund und Denkverwandter von Mario Draghi ist, nennt man ihn auch "Draghiano". Er soll Brüssel und die Finanzmärkte überzeugen, dass Italien die Bücher in Ordnung hält und keine unnötigen Schulden macht. Wahrscheinlich hätte sie ein anderer, international renommierterer Name noch stärker beruhigt, Fabio Panetta von der Europäischen Zentralbank zum Beispiel. Doch der winkte gleich mehrmals ab. Giorgetti muss nun sehr schnell und in schwindlig schwierigen Zeiten das Staatsbudget für 2023 ausarbeiten. Draghi hat etwas Vorarbeit geleistet, doch die Herausforderung bleibt riesig: die explodierten Energiepreise, eine dräuende Rezession, der alte Schuldenberg. Giorgetti, der an der Mailänder Eliteuniversität Bocconi Wirtschaft studiert hat, sitzt seit 1996 im Parlament. Für zehn Jahre war er da Präsident der Haushaltskommission. Mit dem lauten, mitteilsamen Salvini versteht sich der einsilbige Giorgetti leidlich, zuweilen ist die Nummer eins neidisch auf seine smarte Nummer zwei. Am Ende aber bleiben sie immer zusammen.
Eugenia Roccella, die Uhrenzurückstellerin
Eugenia Roccella, 68, aus Bologna, ist Italiens neue Ministerin für Familie, Natalität und Gleichstellung und von allen Nominierungen die umstrittenste. Früher war sie Feministin. Nun ist die "Theocon", wie auch in Italien die ultrakatholischen Konservativen genannt werden, und ehemalige Frontfrau der Bewegung "Family Day" der Schrecken von Feministinnen, Bürgerrechtlern und Homosexuellen. Roccella hat sich schon öffentlich engagiert gegen die eingetragenen Partnerschaften für gleichgeschlechtliche Paare, gegen künstliche Befruchtung, gegen Patientenverfügungen, gegen Euthanasie. Über Abtreibung sagt sie: "Das ist die finstere Seite der Mutterschaft." Meloni beteuerte zwar schon mehrmals, dass sie das Recht auf Abtreibung weder einschränken noch verändern wolle, doch die Vereinigungen sind skeptisch. Und die krawallige Beförderung Roccellas scheint ihre Sorgen zu bestätigen. Man riskiere Zustände wie in Polen und Ungarn, heißt es, die Uhren würden zurückgestellt.
Guido Crosetto, der "gute Riese"
Guido Crosetto, 59, aus Cuneo, ist Verteidigungsminister. Kein Bericht in den Medien verzichtet auf einen Verweis auf seine imposante Statur: Crosetto ist fast zwei Meter groß, man nennt ihn auch den "guten Riesen der Rechten". Als er zusammen mit Meloni 2012 Fratelli d'Italia gründete und sie da auf der Bühne standen, hob er sie kurzerhand vom Boden und trug sie auf seinen Armen. Die Aufnahme ist zur Ikone geworden, zumindest in Italien. Crosetto ist Christdemokrat, früher war er bei Forza Italia. Wenn die Brüder Italiens sich gegen das Label "Postfaschismus" wehren, verweisen sie immer auf Crosetto. Meloni hätte ein unverfänglicheres Ministerium finden können für ihn: Zuletzt war Crosetto Manager eines Rüstungsunternehmens, das sich auf die Ausstattung von Marineschiffen spezialisierte. Er war auch als Lobbyist unterwegs, mit einer eigenen Beraterfirma. Auf den Vorwurf, er stecke in einem Interessenkonflikt, antwortet Crosetto nun, er habe alle Ämter niedergelegt, seine Firmen werde er auflösen. "Als Minister verzichte ich auf 90 Prozent meines bisherigen Lohns."
Francesco Lollobrigida, der Schwager
Francesco Lollobrigida, 50, Römer, Großneffe von Schauspielerin Gina Lollobrigida, ist Italiens neuer Minister für Landwirtschaft und, eben, Souveränität über Lebensmittel. Vor allem aber ist er Melonis Schwager, Ehemann von ihrer älteren Schwester Arianna. Keiner steht der neuen Premier näher, im Parlament saßen sie immer nebeneinander: Er als Fraktionschef, sie als Chefin der Partei. "Lollo" ist wie Meloni in der Jugendbewegung der Postfaschisten groß geworden, selbe Schule. Er soll auch der einzige sein, der sich traut, ihr mal Nein zu sagen. Wenn Meloni jemanden ins Fernsehen schickt, dann meistens ihn: Er kommt gut rüber mit seinem hollywoodesken Lächeln, spricht gestanzte Sätze. Nun, da er neben dem Fraktionsvorsitz auch Ministerpflichten hat, und Giorgia Ministerpräsidentin ist, soll auch Arianna Meloni nachrücken - als Spitzenfrau in der Partei, als Aufpasserin. So bleibt alles in der Familie.