Italien:Meloni kommt mit starkem Ego zurück auf die Bühne

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"Ich treffe die Entscheidungen": Giorgia Meloni bei der Jahrespressekonferenz am Donnerstag in Rom, die sie krankheitshalber hatte verschieben müssen. (Foto: Andreas Solaro/AFP)

Die italienische Ministerpräsidentin hat nun auch den G-7-Vorsitz und will vor allem international punkten. Eine Zusammenarbeit mit der AfD lehnt sie ab.

Von Marc Beise, Rom

Es dauerte eine Stunde und eine halbe, ehe die Frage kam, auf die sozusagen halb Italien gewartet hatte: Was denn die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni zur Neujahrseskapade ihres Parteifreundes, des Parlamentsabgeordneten Emanuele Pozzolo, zu sagen habe? Der 38-Jährige hatte im norditalienischen Piemont an der Silvesterparty eines einflussreichen Regierungsmitglieds teilgenommen und dort, offenbar frisch im Besitz eines Waffenscheins, mit einer Pistole hantiert, aus der sich ein Schuss löste und einen Gast am Bein verletzte. Im Land ist das seit Tagen großes Thema und für die Opposition ein neues Zeichen für die "Inkompetenz" der Rechten, die seit mehr als einem Jahr die drittgrößte Volkswirtschaft der EU regieren.

Meloni hatte dazu zunächst geschwiegen, ohnehin war die Vorsitzende der größten Regierungspartei, der postfaschistischen Fratelli d'Italia, in den vergangenen Wochen kaum in Erscheinung getreten, weil sie an einer hartnäckigen Grippe und später an Schwindelproblemen laborierte, die Experten als harmloses, aber lästiges Problem der Ohren benannten. Die traditionelle Jahresendkonferenz vor der Parlamentspresse, eine extrem umfangreiche Veranstaltung mit vielen Fragen zu allen Themen, musste zweimal verschoben werden und fand dann endlich am Donnerstag statt.

Die Regierung habe einen guten Job gemacht, findet sie

Meloni, obschon offensichtlich noch nicht ganz fit, präsentierte sich mehr als drei Stunden lang gut vorbereitet, gelassen, gelegentlich schlagfertig und selbstbewusst trotzig. Sie lasse sich von niemandem herumschubsen, gab sie zu verstehen, sie lasse sich auch von niemandem Angst machen: "Das funktioniert bei mir nicht, ich bin der Ministerpräsident und ich treffe die Entscheidungen."

Die Parteimitgliedschaft des Pistolero Pozzolo hat sie suspendiert und seinen Ausschluss beantragt, zu einem Fernsehduell vor den Europawahlen mit der Oppositionsführerin Elly Schlein vom linken Partito Democratico trete sie selbstverständlich an, und die geplante große Verfassungsreform mit einer Stärkung des Amtes des Ministerpräsidenten bleibe auf der Tagesordnung (ihr werden allerdings wegen der erforderlichen Zweidrittelmehrheit wenig Chancen eingeräumt). Die Regierung habe bisher einen guten Job gemacht, sagte Meloni und wies die Kritik der Opposition eines massiven gezielten Rechtsrucks im Land, des Sozialabbaus und handwerklicher Mängel zurück. Das konnte allerdings nicht überraschen, denn Lob für die eigene Arbeit und Kritik an der Kritik hat jeder Regierungschef gleich welcher Couleur und welchem Land parat.

Die Premierministerin will den G-7-Vorsitz auf allen Feldern nutzen

Aufschlussreicher war, dass Meloni scharfe Töne gegenüber der EU und anderen Mitgliedstaaten vermied; sie setzt erkennbar auf internationale Zusammenarbeit und nicht auf Konfrontation, wie diese noch ihre Wahlkampfauftritte bis 2022 bestimmt hatte. Italien hat zum 1. Januar 2024 turnusmäßig für ein Jahr die Präsidentschaft der G 7 übernommen, des informellen Zusammenschlusses der wirtschaftlich stärksten westlichen Demokratien, und Meloni will diese Chance auf allen Feldern nutzen. Dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij versicherte sie bei Telefonat am selben Tag noch die weitere Unterstützung durch die G-7-Gruppe.

Sie nannte die Herausforderungen der sich rasch entwickelnden künstliche Intelligenz als einen Schwerpunkt ihrer G-7-Präsidentschaft. Das war auch insofern interessant, als kürzlich schon Papst Franziskus das Thema als eines benannt hatte, das ihn mit Blick auf 2024 am meisten umtreibe. Das Kirchenoberhaupt hatte dafür einige Verwunderungen geerntet, als ob Krieg und Frieden in der Welt gerade derzeit nicht viel wichtiger seien. Meloni ist über dieses Thema unter anderem mit IT-Multimilliardär und -Visionär Elon Musk im Gespräch, der sie kürzlich wieder in Rom besucht hat.

Kritik an der EU äußerte Meloni auf der fachlichen Ebene. So hält sie die mit großem Aufwand beschlossene EU-Asylreform für "besser als die vorherigen Regeln", aber nicht ausreichend. "Wir werden das Problem niemals lösen, wenn wir nur darüber nachdenken, wie wir mit Migranten umgehen, wenn sie in Europa ankommen." Erneut forderte sie mehr Abkommen mit afrikanischen Staaten, um die Massenflucht nach Europa zu verhindern.

"Unüberbrückbare Differenzen" mit der deutschen Rechtspartei

Im vergangenen Jahr haben nach offiziellen Zahlen mehr als 155 750 Migranten auf dem Seeweg Italien erreicht; im Vorjahreszeitraum waren es rund 103 850. Im Sommer war das Erstaufnahmelager auf der Insel Lampedusa zeitweise dramatisch überfüllt. Zugleich kam es immer wieder zu Unglücken, 2023 sind laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) 2750 Menschen im Mittelmeer ertrunken oder vermisst; so viele wie in den fünf Jahren zuvor zusammen nicht - und die Dunkelziffer liegt höher.

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Meloni, die bei den Europawahlen 2024 auf einen Wahlsieg des rechten Lagers hofft, äußerte sich ablehnend zur deutschen AfD. Zwischen dieser und ihren Fratelli d'Italia gebe es "unüberbrückbare Differenzen", beispielsweise bei den Beziehungen zu Russland. Weder die AfD noch der Rassemblement National von Marine Le Pen in Frankreich seien Mitglied in der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) im Europäischen Parlament, der sie sich zugehörig fühle.

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