Italien:Nur zum Schein

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Sie will auch in Brüssel die Linke in die Opposition schicken, so wie in Italien: Premierministerin Giorgia Meloni bei ihrer Rede in Pescara am Sonntag. (Foto: Roberto Monaldo/AP)

Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni erklärt sich zur Spitzenkandidatin ihrer Partei für die Europawahlen. Dabei hat sie - wie viele andere aus der ersten Politik-Liga des Landes - keineswegs vor, Abgeordnete in Brüssel zu werden.

Von Andrea Bachstein

Tritt sie an? Und wer von den Großen noch? In Italien wurde das mit Blick auf die Europawahl viel erörtert, denn es ging um die wichtigsten Politikerinnen und Politiker des Landes: Nun hat Premierministerin Giorgia Meloni am Sonntag als letzte aus dieser Liga bei einer Veranstaltung ihrer Partei in Pescara mitgeteilt: Ja, sie wird Spitzenkandidatin ihrer Fratelli d'Italia für das EU-Parlament: "Lasst uns auch in Brüssel die Linke in die Opposition schicken."

Ihr Außenminister, Vizepremier Antonio Tajani, hatte bereits erklärt, dass er als Chef der Forza Italia (FI) deren Europa-Spitzenkandidat ist. Hingegen tritt der zweite Vizepremier der Rechtsregierung in Rom, Transportminister Matteo Salvini, nicht an für seine Lega.

Das ist, als würden Kanzler Olaf Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock als Spitzenkandidaten für Europa aufgestellt, dazu Friedrich Merz für die CDU. Denn auch Elly Schlein, Chefin der größten Oppositionspartei Italiens, des Partito Democratico (PD), ist Spitzenkandidatin ihrer Sozialdemokraten. Alle müssten sie für ein Mandat in Europa ihre Ämter aufgeben. Aber natürlich beabsichtigt Meloni nicht, ihre mächtige Rolle der Regierungschefin eines großen EU-Landes zu tauschen für einen Abgeordnetensitz im EU-Parlament.

Warum also kandidiert sie? Warum Tajani, der Außenminister bleiben will?

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Den meisten Wählern in Italien ist klar, dass es sich um Scheinkandidaturen handelt. Wenn ausgezählt ist, rücken die nächsten Kandidaten auf der Liste an die Stelle der prominenten Politiker. Unwiderstehlich sind die Spitzenkandidaturen aber, weil sie den Politikern jede Menge Möglichkeiten zur Selbstdarstellung in den Medien bescheren und sie dabei leidige Themen auslassen können. Fällt das Wahlergebnis gut aus, nutzen sie den neuerlichen Segen der Wähler als Schutzschild gegen Kritik. Silvio Berlusconi jedenfalls, der Pionier des modernen Populismus, kandidierte als Premier dreimal für Europa,­­ gewiss nicht, um nach Brüssel zu ziehen.

Es gibt durchaus Kritik an dieser Praxis. Der weise alte Mann der italienischen Sozialdemokratie, der frühere Premier und EU-Kommissionspräsident Romano Prodi, formulierte sie gerade drastisch. Der 84-Jährige empfahl seinem PD bei einem Forum der Zeitung La Repubblica, ein zukunftsfähiges operatives Team für Europa. "Scheinkandidaturen", sprach Prodi, "sind Verletzungen der Demokratie, die Gräben aufreißen." Das klang wie ein Schlag gegen PD-Chefin Schlein, aber Prodi sagte, er meine alle Parteien.

Für Giorgia Meloni ist der Spitzenplatz nicht nur attraktiv, weil sie mediale Aufmerksamkeit liebt. Regionalwahlerfolge und Umfragewerten lassen sie hoffen, ihrer Partei so viele Stimmen zu bringen wie bei der Parlamentswahl 2022. Das wäre hilfreich, denn ein wenig Zustimmung verlor die Rechtskoalition bereits in einigen Umfragen, und im Herbst wird sie zwei Jahre regiert haben - Anlass zur Zwischenbilanz, die nicht nur positiv ausfallen kann. Spätestens nach dieser Zeit steigt in Italien zudem meist die Unzufriedenheit mit jedweder Regierung. Naheliegend, dass Meloni die Stimmung im Juni noch mitnehmen will, ehe es kühler wird.

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Ein Erfolg würde Melonis Dominanz in der Rechtskoalition untermauern, aber die Europawahl kann auch die Gewichtsverteilung zwischen den Vizepremiers Salvini und Tajani beeinflussen. 2022 erzielten Lega und FI fast gleich viele Stimmen: 8,9 und 8,3 Prozent.

Für Lega-Chef Salvini ist die Lage heute schwieriger. Seine Spitzenkandidatur hätte ein Risiko bedeutet. Die Lega sinkt eher in der Wählergunst, Salvini ist als Chef angezählt, viele haben seinen Kurs satt. Erst am Wochenende hat er Unmut auf sich gezogen, weil er in allen Wahlkreisen den suspendierten General Roberto Vannacci aufstellen will, der mit homophoben Thesen und Kritik an Inklusion von sich reden macht und kein Lega-Mitglied ist.

Auch der ehemalige EU-Parlamentspräsident kandidiert zum Schein: Außenminister Antonio Tajani am Sonntag zu Gast bei den Fratelli d'Italia in Pescara. (Foto: Tiziana Fabi/AFP)

Auch Meloni ist genervt von Salvinis häufigen Querschüssen gegen ihre Linie. Was er im Fernsehen zur Kandidatenfrage sagte, kam auch nicht gut an im Kabinett: "Ich arbeite als Vizepremier und Minister für Infrastruktur und Transport mit höchstmöglichem Einsatz", und er wolle das weiter tun. Darin klang die Kritik an, als Europa-Kandidatin würde Meloni sich wohl nicht mit ganzer Kraft dem Regieren widmen.

Tajani sieht da für sich kein Problem. Er erklärte vor dem FI-Vorstand in Rom, er werde Spitzenkandidat mit aller Kraft, doch "ohne je in der Rolle des Außenministers und Vizepremiers nachzulassen oder sie an zweite Stelle zu rücken". Er sagte: "Wenn ein Parteichef nicht den Mut hat, die anzuführen, die ihm vertrauen, ist er kein guter Vorsitzender."

Er kann hoffen, die einstige Berlusconi-Partei erzielte bei Regionalwahlen rund 13 Prozent, ihr langer Sinkflug scheint gestoppt. "Wir streben zehn Prozent an", verkündete Tajani. Offenkundig findet der Außenminister, der früher selbst Präsident des EU-Parlaments war, eine Scheinkandidatur nicht fragwürdig.

Auch die PD-Vorsitzende Schlein sieht ihre Kandidatur als gute Sache. Sie wolle, sagte sie dem PD-Vorstand in Rom, der Partei so einen Dienst erweisen: "Ich kandidiere, um dieser wunderbaren Mannschaft Schwung zu geben bei dem Projekt, den PD und das Land zu verändern."

Der Führer der anderen großen Oppositionspartei Fünf Sterne, Giuseppe Conte, kandidiert nicht. Die beiden versuchen, ein Bündnis gegen die Rechtsregierung zu schmieden, es gelingt mäßig. Ihre Diskrepanzen zeigen sich auch in der Kandidatenfrage: Conte hält es mit Romano Prodi. Als er beim Innenministerium in Rom Wahlunterlagen einreichte, sagte er, alle Parteien fügten der Demokratie eine Verletzung zu, die Kandidaten aufstellten, die gar nicht beabsichtigen, ins Europarlament zu gehen: "Man führt die Bürger hinters Licht, weil sie so vielleicht ein paar Stimmen mehr geben, aber dann verlieren sie das Vertrauen, wenden sich von der Politik ab und gehen nicht mehr wählen." Die Wahlbeteiligungen in Italien sinken seit Jahren.

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