Italien:Verrat am Süden?

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Lega-Chef Matteo Salvini will Norditalien unabhängiger von Rom machen. Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hilft ihm dabei. (Foto: Marco Provvisionato/Imago)

Die Regierung Meloni will den Regionen des Landes mehr Autonomie zugestehen. Das freut den reichen Norden, doch anderswo ist man in Sorge.

Von Marc Beise, Rom

Im italienischen Senat erklang spontan die Nationalhymne. Sozusagen wie im Bundestag am Tag der Maueröffnung am 9. November 1989, nur dass es da um die deutsche Einheit ging, während in Italien im Gegenteil die Unterschiede besungen wurden. Es ging hoch her in der einen der beiden Parlamentskammern, als die Rechtsregierung von Giorgia Meloni am Dienstagabend ihr umstrittenes Autonomiegesetz durchsetzen konnte.

Durchsetzen gegen den heftigen Widerstand der größten Oppositionspartei, des sozialdemokratischen Partito Democratico. Dessen Senatorinnen und Senatoren hielten demonstrativ die italienische Trikolore hoch - was wiederum Regierungsanhänger zu der spöttischen Bemerkung provozierte, es sei ja schon mal ein Fortschritt, dass keine roten Fahnen geschwenkt würden, und dann sang man gegeneinander an: Szenen aus dem politischen Alltag Italiens.

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Die italienische Ministerpräsidentin hilft ihrem Konkurrenten dabei, die Regionen zu stärken. Dafür erwartet sie eine Gegenleistung mit dramatischen Folgen.

Kommentar von Marc Beise

Ein Sieg für Matteo Salvini, ein Geschenk an die Lega-Klientel

Für die Regierung ist der 23. Januar 2024 ein Meilenstein in der Entwicklung des Landes, das seit jeher vom Gegensatz zwischen den Landesteilen und der Zentrale in Rom geprägt ist. Auch für die sozialdemokratische Opposition ist dieser Dienstag historisch, allerdings in einem anderen Sinn: Für sie wird Ministerpräsidentin Giorgia Meloni als "Spalterin Italiens" in die Geschichte eingehen, und andere Oppositionspolitiker sprachen vom "Verrat am Süden".

Zunächst einmal ist die Entscheidung im Senat ein dicker politischer Sieg für Matteo Salvini, den Vize-Premier und Verkehrsminister. Dessen rechtspopulistische Lega, die bis zur Umbenennung durch Salvini 2018 bezeichnenderweise Lega Nord hieß, hat eben dort ihren Aufstieg begonnen, im reicheren und nach verbreiteter Ansicht besser regierten und verwalteten Norden Italiens, der seit jeher mit dem Süden fremdelt.

Die Lega ist ausgerechnet im Jahr 1989, das in Deutschland den Beginn der Wiedervereinigung markiert, aus dem Zusammenschluss von sechs nach mehr Unabhängigkeit von Rom strebenden norditalienischen Regionalgruppen entstanden. Nachdem Salvini die Lega zwischenzeitlich zu einer der stärksten Parteien in Italien machen konnte, ist sie mittlerweile wieder in den einstelligen Prozentbereich geschrumpft und muss bei den innenpolitisch stark beachteten Europawahlen im Juni um ihre Bedeutung kämpfen. Die Entscheidung im Senat kam deshalb gerade rechtzeitig, um die eigene Klientel zu beeindrucken: zwar nicht mit Unabhängigkeit von Rom, aber doch mehr Freiheiten.

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Fünf Regionen haben bereits einen Sonderstatus

Salvinis Parteifreund Roberto Calderoli hat als Minister für die Regionen den Gesetzentwurf bereits vor mehr als einem Jahr vorgelegt, es folgte das übliche langwierige parlamentarische Verfahren, das noch gar nicht abgeschlossen ist. Der Text wird nun an die Abgeordnetenkammer weitergeleitet und kommt möglicherweise noch einmal mit Änderungen in den Senat zurück - aber die Richtung steht fest.

Die 20 Regionen des Landes sollen also mehr Selbstständigkeit bekommen. Was allerdings für einige heißt: noch mehr Selbstständigkeit. Denn fünf Regionen verfügen schon lange über eine Teilautonomie: Trentino-Südtirol mit der deutschsprachigen Mehrheit in der Provinz Bozen, Friaul-Julisch Venetien im Nordosten, das französisch geprägte Aosta-Tal sowie die größten Inseln Sardinien und Sizilien. Mit diesem Sonderstatus sollte regionalen Besonderheiten Rechnung getragen werden und im Falle der Nordprovinzen deren Abneigung gegen den Süden und überhaupt gegen die Einheit so unterschiedlicher Landesteile abgefedert werden.

Das angestrebte Konzept der "differenzierten Autonomie" sieht die Möglichkeit einer erweiterten Selbstverwaltung für alle Regionen vor, in jenen mit Sonderstatut wird die Autonomie noch mal erweitert. In 23 Politikfeldern von Tourismus und Verkehr über Bildung, Gesundheit, Kultur bis zu Umwelt, Energie und Außenhandel kann künftig jede Region mit der Zentralregierung in Rom über mehr eigene Kompetenzen verhandeln. Drei besonders ambitionierte Regionen haben diese Gespräche sogar schon proaktiv gestartet: die Lombardei, Venetien und die Emilia-Romagna.

Vertieft der Vorstoß den Graben zwischen Nord und Süd?

Die ärmeren Regionen Süditaliens befürchten, dass in Zukunft weniger Geld aus dem Norden und von der Zentralregierung zu ihnen gelangen wird und der Graben zwischen Nord und Süd sich vertieft. Jetzt schon ist vor allem die Bildungs- und Arbeitsmarktsituation im Süden dramatisch schlechter als im Norden. Während sich die Schulen und Universitäten im Norden kontinuierlich verbessern, brechen in den Vorstädten von Neapel 50 bis 60 Prozent der Jugendlichen die Schule vorzeitig ab. Viele von ihnen haben mit 24 weder Ausbildung noch Beruf. Diese Entwicklung könnte sich weiter verstärken, befürchten Kritiker.

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Ministerpräsidentin Meloni, die nicht aus dem Norden, sondern aus Rom stammt, sieht diesen Sieg womöglich mit gemischten Gefühlen. Das Autonomiegesetz ist nicht ihr Projekt, im Gegenteil sind die von ihr gegründeten Fratelli d'Italia, derzeit nach Wahlergebnis und in Umfragen mit Abstand die größte Partei Italiens, in Rom zu Hause und nicht nur nationalistisch, sondern auch klar zentralistisch orientiert. Aber in den üblichen politisch-taktischen Kategorien gedacht, hat Meloni jetzt etwas gut bei Salvini, ihrem wichtigsten Konkurrenten im rechten Lager. Sie darf nun erwarten, dass die Lega ihrerseits sie unterstützt bei einer von ihr mit Herzblut betriebenen Reform des politischen Systems: der Stärkung des Amtes des Regierungschefs.

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