Migration:Der Pakt zwischen Italien und Albanien liegt auf Eis

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Sehr optimistisch: Der albanische Premier Edi Rama Anfang November bei der Präsentation des Flüchtlingsabkommens mit seiner italienischen Kollegin Giorgia Meloni. (Foto: Roberto Monaldo/AP)

Das Verfassungsgericht in Tirana stoppt die Ratifizierung des Abkommens über die Auslagerung von Asylverfahren auf albanisches Gebiet.

Von Andrea Bachstein, München

Es wirkte wie ein unverhofftes Geschenk für Italiens Rechtsregierung: Albaniens Premier Edi Rama bot an, in seinem Land einen Teil der von Italiens Küstenwache und Marine aus dem Mittelmeer geretteten Migranten und Flüchtlinge in Auffangzentren aufzunehmen. Das sollte Italien entlasten, wo dieses Jahr bisher mehr als 150 000 Menschen über das Meer angekommen sind. Am 6. November unterschrieben Rama und die italienische Premierministerin Giorgia Meloni in Rom ihr neunseitiges Abkommen.

Es sieht vor, dass im Norden Albaniens Zentren entstehen, um Migranten unterzubringen und dort die Verfahren zur Überprüfung zu starten, ob sie Aussicht auf Asyl oder anderen Schutzstatus haben oder von dort zurückgewiesen werden. Bis zu 3000 Menschen sollen das im Monat sein, mit Ausnahme von Schwangeren, Minderjährigen und anderweitig besonders Verletzlichen. Giorgia Meloni präsentierte die Vereinbarung als wichtigen Erfolg, war es doch eines der großen Versprechen ihrer Regierung, die Zahl der nach Italien kommenden Migranten zu senken und das überlastete Aufnahmesystem der italienischen Kommunen zu entlasten.

Es ist auch ein Modell einer Drittstaatenlösung für die Erstaufnahme, auf das die EU-Staaten derzeit setzen, um ihre Asylsysteme zu entlasten. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen lobte gerade die albanisch-italienische Übereinkunft als eine der "wichtigen Initiativen", als Beispiel für Abmachungen mit Drittländern in Einklang mit internationalem und EU-Recht.

Das Gericht gab einer Klage der Opposition statt

Doch nun geht erst mal nichts weiter: Am Mittwochnachmittag stoppte Albaniens Verfassungsgericht die Ratifizierung des Abkommens, kurz bevor das entsprechende Gesetz am Donnerstag im Parlament in Tirana hätte verabschiedet werden sollen. Das Gericht reagierte auf die Klage der Demokratischen Partei Albaniens und rund 30 weiterer Abgeordneter der Opposition. Sie sind der Ansicht, das geplante Abkommen mit Italien verstoße gegen Albaniens Verfassung und internationale Vereinbarungen, denen das Land beigetreten ist.

Drei Monate haben die Verfassungsrichter nun Zeit, um eine Entscheidung zu fällen, bis zu ihrem Spruch liegt der Gesetzgebungsprozess auf Eis. Verfassungsgerichtspräsidentin Holta Zaçaj teilte mit, am 18. Januar werde das Gericht den Fall erstmals verhandeln, bis zum 6. März spätestens müsse es urteilen, ob das Abkommen rechtmäßig sei oder nicht.

Premier Edi Rama hatte das Projekt enthusiastisch präsentiert, er schien es fast im Alleingang erdacht zu haben. Er freue sich, sagte er, dass er sich bei Italien endlich revanchieren könne dafür, dass das Land 1990/91 Zehntausende Albaner aufgenommen hatte, die vor dem Chaos der zusammengebrochenen Diktatur auf die andere Seite der Adria geflüchtet waren. Der heruntergekommene Frachter Vlora, der im August 1991 im apulischen Bari einlief, wurde zum Sinnbild dieses Exodus: Die Decks waren ein einziges Wimmelbild, Tausende Menschen drängten sich darauf, sie hingen sogar an den Relings und Bordwänden.

Italien sollte Verwaltung und Finanzierung übernehmen

Doch offenbar hat sich der Sozialist Edi Rama hinsichtlich der Akzeptanz seines Plans verschätzt. Kaum war dieser bekannt geworden, erhob sich in Albanien Kritik daran, dass er Meloni das Angebot unterbreitet hatte, ohne zuvor darüber im albanischen Parlament diskutiert oder die Öffentlichkeit informiert zu haben.

Das Abkommen sieht vor, dass bis zu 36 000 Flüchtlinge und Migranten im Jahr in zwei noch einzurichtenden Zentren in Albanien untergebracht und überprüft werden. Italien soll Verwaltung und Finanzierung übernehmen, albanische und italienische Sicherheitskräfte sollen die Zentren bewachen. Es geht um ein Registrierungszentrum im Hafen von Shëngjin und um ein Zentrum mit Unterkünften im Landesinneren, in Gjadër. Alles ist auf zunächst fünf Jahre angelegt und soll sich automatisch um weitere fünf Jahre verlängern, falls keine Seite Einwände erhebt.

Die hat nun aber die Opposition in Tirana erhoben. Verfassungsgerichtspräsidentin Holta Zaçaj erläuterte dem Corriere della Sera, die Klage basiere im Wesentlichen auf zwei Punkten. Zum einen dem Vorwurf, dass bei dem Abkommen mit Italien nicht die nötigen Prozeduren respektiert worden seien. Nach Ansicht der Kläger müsse eine Vereinbarung dieser Art vom Staatspräsidenten autorisiert werden, weil sie die Souveränität albanischen Staatsgebiets betreffe. Es handle sich deshalb nicht um eine Vereinbarung zwischen zwei Regierungen, sondern zwischen zwei Staaten. Zaçaj führte das nicht aus, aber es liegt auf der Hand, dass es darum geht, dass italienische Beamte und Staatsangestellte bei der Verwaltung der Migrantenzentren auf albanischem Boden nach italienischem Recht handeln würden.

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Der zweite Punkt sei, so die Gerichtspräsidentin, dass das Abkommen möglicherweise zu Menschenrechtsverletzungen führen könnte. Es dürfte hierbei vor allem um internationales Flüchtlingsrecht gehen, etwa die Frage, ob Flüchtlinge in einem Land festgehalten und von dort gegebenenfalls zurückgewiesen werden dürfen, in das sie gar nicht wollten. Fraglich wäre, ob sie in diesem Drittland Zugang zu allen Rechten erhalten, die ihnen zustehen. Zweifel an der Rechtssicherheit hatte bereits der Europarat geäußert. Seine Menschenrechtsbeauftragte Dunja Mijatović sagte, in der Praxis werde der Mangel an Rechtssicherheit wahrscheinlich wichtige Menschenrechtsgarantien und die Verantwortlichkeit für Verstöße untergraben. Das könne zu unterschiedlicher Behandlung von Asylanträgen führen, je nachdem, ob sie in Albanien oder Italien geprüft werden.

Düpiert sind nun zunächst beide Regierungen. Weder die in Rom noch die in Tirana äußerten sich in den ersten 24 Stunden nach der Anordnung des albanischen Verfassungsgerichts.

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