Mit dem Strick um den Hals stehen sie auf der Strandpromenade. Gegenüber der amerikanischen Botschaft haben sie sich versammelt zum Protest, sie schwenken blau-weiße israelische Fahnen, sie sind wütend. "Obama, Israel wird keinen Selbstmord begehen", rufen sie und geben sich kämpferisch, doch die Stricke, die großzügig verteilt wurden, sollen plastisch zeigen, wie eng es geworden ist und wie gefährlich für Israel - nun, da sie sich vom einstmals besten Freund verraten fühlen.
Barack Obama ist in Israel der unpopulärste US-Präsident seit langer Zeit. Vor der amerikanischen Botschaft in Israel demonstrierten am Montag gegen die Nahost-Politik der US-Regierung.
(Foto: REUTERS)Antiamerikanische Umtriebe kennt man im Nahen Osten sonst nur aus Gaza, Beirut oder Teheran. In Israel ist das neu, weshalb die kantigen Wachleute vor der US-Botschaft in Tel Aviv auch eher ungläubig auf die Demonstrantenschar schauen.
Gewiss, ein Massenprotest ist diese lautstarke Hundertschaft nicht, und genau genommen ist das ja auch keine antiamerikanische Kundgebung, sondern ein Anti-Obama-Aufschrei. Doch der dürfte durchaus mehrheitsfähig sein im Land. "Für die Juden ist das der schlechteste Präsident, den Amerika je hatte", sagt ein älterer Herr namens Michel Abraham Ackerman. "Wenn er noch einmal gewählt wird, ist das katastrophal für uns." In der Hand hält er ein selbstgeschriebenes Schild, auf dem steht: "Nein zu der Auschwitz-Linie von 1949."
Der Streit um die Grüne Linie
So drastisch formuliert er seinen Protest gegen eine Aussage, mit der US-Präsident Barack Obama Israels Rechte in Wallung versetzt hat: Die sogenannte Grüne Linie, die von 1949 bis zum Sechstagekrieg von 1967 Israels Grenze war, solle die Basis bilden für die Grenzziehungen zwischen Israel und dem künftigen Palästinenser-Staat.
Obama versah das mit dem international konsensfähigen Zusatz, dass sich davon ausgehend beide Seiten auf einen Landtausch einigen müssten. Der Zusatz jedoch ist sogleich untergegangen in Israel - und dafür hat der Premierminister persönlich gesorgt. Vor den Kameras im Weißen Haus hat Benjamin Netanjahu Obama belehrt, dass die Grenzlinie von 1967 "nicht zu verteidigen" sei und deshalb Israel in seiner Existenz bedrohen würde.
Außenpolitisch mag das als dreist und gefährlich erscheinen, weil sich der Regierungschef eines dauerbedrohten Kleinstaats grundsätzlich besser nicht mit der schützenden Supermacht anlegen sollte. Doch Netanjahu hat den Show-Kampf mit Obama vor allem aus innenpolitischen Gründen inszeniert.
In seiner rechtsnationalen Regierungskoalition ebenso wie in der eigenen Likud-Partei wird mit Argusaugen darauf geachtet, dass der Regierungschef im Friedensprozess keine Zugeständnisse macht. Nach dem Schlagabtausch mit Obama ist ihm nun der Beifall aus dem gesamten rechten Lager sicher. Die Opposition um Tzipi Livni mag sich entrüsten über den außenpolitischen Schaden, doch Netanjahu hat sich schon einmal positioniert für die nächsten Wahlen als der Mann, der amerikanischem Druck in der Siedlungs- und Grenzfrage widerstanden hat.