Israel und die neue Palästinenserregierung:Einheit brechen

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Israelische Soldaten patrouillieren am frühen Morgen des 20. Juni auf einer Straße des Dorfes Beit Furik im Westjordanland. (Foto: AFP)

Die israelische Armee sucht mit großem Aufwand nach den entführten Talmud-Schülern: Soldaten durchsuchen Häuser, verwüsten Wohnungen und nehmen Hunderte fest. Doch das Ziel ist weitergehend.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Die Suche war noch nicht erfolgreich, doch von hier aus hat man immerhin den besten Überblick. Hoch über Tel Aviv, in einem der oberen Stockwerke des Hauptquartiers der Armee, laufen die Fäden der Militäroperation zusammen, die vor einer Woche wegen der Entführung dreier israelischer Jugendlicher im Westjordanland gestartet wurde.

Umringt von drei Telefonen sitzt ein hoher Offizier, dessen Name nicht genannt werden soll, an seinem Schreibtisch und zieht eine erste Bilanz: "Wir wissen nicht, wo die drei sind", sagt er, "aber wir glauben, die Gegend zu kennen." Dann malt er zwei Kreise auf ein leeres Blatt Papier und sagt: "Wir operieren auf zwei Ebenen." Der kleine Kreis, erklärt er, stehe für die Suche nach den Entführten. Beim großen Kreis dagegen gehe es um ein viel umfassenderes Ziel: "Das ist der Kampf gegen die Hamas."

Die Entführung der drei 16- bis 19-jährigen Talmud-Schüler nahe einer Siedlung hat den größten israelischen Militäreinsatz im Westjordanland seit dem Ende der zweiten Intifada im Jahre 2005 ausgelöst. Drei zusätzliche Brigaden wurden bereits ins besetzte Palästinenser-Gebiet verlegt, mehr als tausend Häuser und Einrichtungen durchsucht und teils verwüstet, mehr als 300 Männer festgenommen.

Konkrete Beweise für die Täterschaft der Hamas hat niemand vorgelegt

Die Entführung wird zum Anlass genommen für eine groß angelegte Aufräumaktion. "Wir sind entschlossen, die Hamas zu bekämpfen, wo immer sie zu finden ist", sagt der Offizier - und kündigt an, dass dieser Einsatz auch so schnell nicht enden wird. "Die Kampagne gegen die Hamas hat nicht erst letzten Freitag begonnen, und sie wird weitergehen, auch wenn die vermissten Jungen gefunden werden."

Konkrete Beweise für die Täterschaft der Hamas hat bislang noch niemand vorgelegt, und auch der Offizier will sich nicht festlegen, ob die Führung persönlich hinter dem Plan steht oder ob eine lokale Zelle allein operierte. "Entführungen gehören zur erklärten Politik der Hamas", sagt er, "deshalb brauchen die Entführer gar keinen direkten Befehl aus Gaza."

Im Visier der israelischen Armee ist die gesamte Infrastruktur, die von der Hamas im Westjordanland aufgebaut wurde. Zum Ziel würden deshalb auch Erziehungseinrichtungen wie an der Bir-Zeit-Universität, Plätze, an denen Geld umgeschlagen wird und sogar Fitness-Zentren, die von der Hamas betrieben würden, um Jugendliche zu rekrutieren, erläutert der Offizier. "Sie sollen den Druck an allen Fronten spüren", sagt er. "Die Hamas muss verstehen, dass sie einen hohen Preis dafür zahlt, wenn sie jemanden entführt."

Netanjahu will einen Keil in die palästinensische Einheitsregierung treiben

Befeuert wird die harte Linie von der politischen Führung in Jerusalem. Premierminister Benjamin Netanjahu verfolgt das Ziel, einen Keil in die palästinensische Einheitsregierung zu treiben, die gerade erst die moderate Fatah des Präsidenten Mahmud Abbas mit der Hamas gebildet hat. Die Bruchlinien werden bereits deutlich: Die Hamas hat Abbas scharf dafür kritisiert, dass er die Entführung verurteilt hat und die seit langem praktizierte Sicherheitskooperation mit Israel fortsetzt. Damit vertrete er nicht die Positionen des palästinensischen Volkes, heißt es aus Gaza.

Netanjahu aber reichen die Zeichen längst noch nicht aus, die Abbas aussendet. Der wirkliche Test sei, ob er das Abkommen mit der Hamas aufkündigt, heißt es aus dem Umfeld des Premiers. Der Offizier dagegen ist zufrieden ob der Zusammenarbeit mit den Sicherheitskräften von Abbas. "Wir kämpfen nicht gemeinsam", sagt er, "aber sie verstehen, dass die Hamas als Terrorgruppe nicht nur schlecht für Israel ist, sondern auch für die Palästinensische Autonomiebehörde."

Wohin die derzeitige Konfrontation führen kann, scheint völlig offen zu sein. Fraglich ist zum einen, ob sich die israelische Militäraktion auf das Westjordanland beschränken lässt, oder ob der Funken überspringt in den Gazastreifen, also in die Hochburg der Hamas. Der Raketenbeschuss aus Gaza auf israelisches Gebiet hat in den vergangenen Tagen zugenommen, ebenso die Luftangriffe, die Israel zur Vergeltung fliegt.

Überdies wächst auch im Westjordanland der Widerstand gegen den Einsatz der Armee. An verschiedenen Orten kam es zu Gefechten, bei denen am Freitag zwei junge Palästinenser getötet und mehrere verletzt wurden. Auf die Frage, ob nun womöglich eine dritte Intifada drohe, zuckt der Offizier nur mit den Schultern. "Vielleicht", sagt er. "Wir haben zwar kein Interesse daran, aber wir haben auch keine Angst davor."

© SZ vom 21.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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