Krieg in Nahost:Der riskante Kurs von Benjamin Netanjahu

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Israels Premier Benjamin Netanjahu in einer Kabinettssitzung. (Foto: Menahem Kahana/dpa)

Israels Premier kontert US-Präsident Joe Biden: Wenn man alleine Krieg führen müsse, werde man das tun. Das könnte einen Dominoeffekt auslösen - bei Israels Verbündeten und bei seinen Feinden.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Anfang nächster Woche steht in Israel der "Unabhängigkeitstag" an, erinnert wird an die Staatsgründung vor 76 Jahren. Zum Feiern gibt es wenig Grund inmitten des Gaza-Kriegs, und den ernsten Ton hat Premier Benjamin Netanjahu bereits vorgegeben mit einem Vergleich der Lage anno 1948 und heute.

Dies darf als direkte Antwort auf die Drohung des US-Präsidenten Joe Biden verstanden werden, bei einem israelischen Sturm auf Rafah die Waffenhilfe zu stoppen, und die Kurzfassung lautet: Wenn Israel allein Krieg führen muss, wird es das tun. Um die Entschlossenheit zu demonstrieren, fügte Netanjahu noch an: "Wenn es sein muss, werden wir mit unseren Fingernägeln kämpfen."

Netanjahu zeichnet den Krieg in Gaza als Kampf ums Überleben

Israel allein gegen den Rest der Welt - für viele im Land mag dies eine furchterregende Vorstellung sein. Für Netanjahu aber ist es die perfekte Formel, seine Anhängerschaft wieder um sich zu scharen. Der Mythos des Unabhängigkeitskriegs dient ihm dabei als Vorlage. "Wir waren wenige gegen viele, wir hatten keine Waffen, es gab sogar ein Waffenembargo gegen Israel", erklärte er in einer Videobotschaft - und wie es ausgegangen ist, weiß jeder: "Wir haben gewonnen."

Seit dem Terrorüberfall der Hamas am 7. Oktober hat Netanjahu den Krieg um Gaza als Kampf ums Überleben gezeichnet. Natürlich weiß er, dass der jüdische Staat 2024 trotz aller Bedrängnis ganz anders dasteht als im Jahr der Gründung. Israel ist Atommacht, und die USA halten allen aktuellen Streitigkeiten zum Trotz ihren politischen und militärischen Schutzschirm weit aufgespannt.

Mit der Beschwörung des "Allein gegen alle"-Mythos also betreibt Netanjahu nun ein durchsichtiges politisches Spiel. Zugleich jedoch schürt er dabei die Gefahr, dass Israel tatsächlich die Verbündeten verprellt und zunehmend in Isolation gerät - und das kann sich der jüdische Staat jenseits aller Rhetorik nicht leisten.

Kampfjets und Bomben kommen zum Großteil aus den USA

Dazu ein paar Zahlen: Seit 1948 hat kein Land der Welt so viel Militärhilfe aus den USA erhalten wie Israel. Bis heute summiert sich das auf rund 130 Milliarden Dollar. Festgelegt ist derzeit bis 2028 eine jährliche Überweisung von 3,8 Milliarden Dollar. Doch seit dem 7. Oktober bringen amerikanische Transportflugzeuge in beständigem Fluss Waffen und Munition ins Land. Im April hat der US-Kongress auf einen Schlag noch einmal 14 Milliarden Dollar für Israel freigegeben. Besonders abhängig von amerikanischer Hilfe ist dabei die israelische Luftwaffe. Die F-15-, F-16- und F-35-Kampfjets werden aus den USA geliefert ebenso wie ein beträchtlicher Teil der Bomben, die über Gaza abgeworfen werden.

Bidens Drohung mag nun allein als verbaler Warnschuss gedacht sein. Aber sie enthält eine Botschaft, die ihre Wirkung voraussichtlich nicht nur in Israel entfalten wird. Ein Echo könnte aus zwei komplett konträren Richtungen kommen: von Israels anderen Verbündeten, und von Israels Feinden.

Im Lager der Verbündeten könnte eine Art Dominoeffekt einsetzen. Kanada, Spanien und Italien haben bereits mit Blick auf Israels Kriegsführung in Gaza Waffenlieferungen ausgesetzt. Auch in Deutschland mit seiner besonderen Verantwortung für Israels Sicherheit könnte diese Frage nun lauter gestellt werden. Hinter den USA liegt Deutschland auf der Liste der Lieferländer auf Platz zwei. 2023 schnellten wegen des Kriegs die Waffenexporte nach Israel auf eine Höhe von 326,5 Millionen Euro, zehn Mal mehr als im Jahr zuvor.

Muss Israels Militär bald Munition sparen?

In Israel gibt sich nach Bidens Drohung jedoch nicht nur die Politik betont trotzig bis gelassen, sondern auch das Militär. "Wir haben, was wir brauchen für die geplanten Einsätze und auch für die Einsätze in Rafah", sagte Armeesprecher Daniel Hagari. Im Schutz der Anonymität werden in den israelischen Medien jedoch auch Stimmen aus dem Sicherheitsapparat zitiert, die darauf hinweisen, dass es bald nötig werden könnte, sparsamer mit Munition umzugehen. Vor allem aber wird gewarnt vor Auswirkungen auf andere Fronten.

Denn auch die Feinde Israels werden nun genau beobachten, ob der jüdische Staat wegen Netanjahus Kurs nur politisch ins Abseits driftet oder am Ende auch militärisch geschwächt wird. Das Regime in Teheran oder die Hisbollah-Terroristen in Libanon könnte dadurch dazu verleitet werden, Israel noch offener herauszufordern.

Einen bitteren Vorgeschmack darauf gab es bereits Mitte April beim beispiellosen Angriff Irans auf Israel mit mehr als 300 Raketen, Drohnen und Marschflugkörpern. Abgewehrt wurde diese Attacke maßgeblich mit Hilfe der USA. Jedem wurde dabei klar, wie dringend Israel Verbündete braucht. Nun aber scheint ausgerechnet der Regierungschef das schon wieder vergessen zu haben.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels stand, Iran habe Israel Mitte April mit mehr als 3000 Raketen angegriffen. Dies ist falsch. Es waren mehr als 300 Raketen. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.

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