"Jüdische Taliban":Auf dem Weg zum Erzfeind

Nov 29 2013 Chatham ON Canada CHATHAM NOVEMBER 29 Lev Tahor community members on Novemb

Bei Lev Tahor müssen sich Frauen von Kopf bis Fuß in schwarze Roben hüllen. Das hat der Sekte den Beinamen "jüdische Taliban" eingebracht.

(Foto: imago stock&people/ZUMA Press)

Die ultra-orthodoxe jüdische Sekte Lev Tahor sucht offenbar Asyl in Iran. In Israel weckt das die größten Sorgen.

Von Peter Münch, Tel Aviv

"Lev Tahor" bedeutet übersetzt aus dem Hebräischen "reines Herz". In aller Unschuld, so verheißt es der Name dieser ultra-orthodoxen jüdischen Sekte, sollen die Mitglieder ein gottgefälliges Leben führen. Doch wo immer sie auftauchten in den vergangenen drei Jahrzehnten, folgten schnell schwere Vorwürfe von der Gehirnwäsche über Kindesmisshandlung bis hin zur Entführung. Die ursprünglich aus Israel stammende Gruppierung mit geschätzt 250 Mitgliedern wechselte deshalb oft ihre Stützpunkte, zog von den USA nach Kanada nach Guatemala. Nun plant sie offenbar einen neuen Umzug: nach Iran. Ausgerechnet.

Die Pläne zur Ansiedlung beim israelischen Erzfeind sind die neueste Volte in einer Sekten-Saga, die seit vielen Jahren immer neue Schlagzeilen hervorbringt. Gegründet wurde Lev Tahor in den Achtzigern von einem jungen Rabbi namens Shlomo Helbrans. Er selbst stammte aus einer säkularen Jerusalemer Familie und predigte neben einer frommen Lebensart auch den jüdischen Anti-Zionismus, demzufolge die Gründung des Staates Israel 1948 eine Sünde vor Gott bedeutet.

Rabbi Helbrans zog mit einer Schar erster Anhänger in den Neunzigerjahren von Jerusalem nach Williamsburg, einer Hochburg strenggläubiger Juden in New York. Die Regeln bei Lev Tahor sind noch strikter als ohnehin schon in der ultra-orthodoxen Welt: die Gebete sind lauter und dauern länger, die Vorgaben fürs koschere Essen sind strenger, und die Rolle der Frauen wird noch enger definiert. Schon von frühem Kindesalter an müssen sie sich von Kopf bis Fuß in schwarze Roben hüllen, was der Sekte den Beinamen "jüdische Taliban" einbrachte. Verheiratet werden die Mädchen häufig schon im Teenager-Alter mit oft deutlich älteren Männern.

Lev Tahor möchte Iran helfen, der "zionistischen Dominanz" entgegenzutreten

Nirgends konnte die Sekte länger bleiben, überall wurde bald schon ermittelt. Wegen der Entführung eines 13-Jährigen, den er zum rechten Glauben erziehen wollte, saß der Gründer Rabbi Helbrans zwischenzeitlich für zwei Jahre in den USA in Haft. Als er 2017 starb - Berichten zufolge ertrank er in einem Fluss in Mexiko bei einem rituellen Bad -, versuchte die israelische Regierung auf Druck von Angehörigen, die Sektenmitglieder wieder zurückzulocken. Zum angebotenen Heimkehrer-Programm gehörte neben kostenlosen Fügen auch weitere finanzielle Unterstützung, Hilfe bei der Wohnungs- und Arbeitssuche sowie psychologische Betreuung.

Das Vakuum bei Lev Tahor wurde jedoch rasch gefüllt, zur neuen Führungsriege zählt auch ein Sohn des Gründers - und sehr schnell schon wurde ein neues Ziel vorgegeben: die Ansiedlung der jüdischen Sekte in die Islamische Republik Iran. Aus Unterlagen, die in den USA im Rahmen eines Gerichtsverfahrens veröffentlicht wurden, geht hervor, dass Lev Tahor 2018 einen offiziellen Asylantrag in Teheran gestellt hat. Demnach wurde darin "dem Obersten Führer und der Regierung Loyalität und Unterordnung" zugesichert. Zugleich wurde "Kooperation und Hilfe" angeboten, "um der zionistischen Dominanz entgegenzutreten und das Heilige Land und die jüdische Nation auf friedlichem Weg zu befreien".

Nach einiger Wartezeit soll das Projekt nun offenbar in die Tat umgesetzt werden. In Guatemala, wo die Sekte seit 2014 residiert, wurden israelischen Medienberichten zufolge Dutzende Lev-Tahor-Familien am Flughafen gesichtet. Erstes Ziel soll die Stadt Erbil im Nordirak sein, wo bereits einige Führungsmitglieder eingetroffen seien. Von dort aus könnte der Weg über die Grenze nach Iran führen.

Angehörige von Sektenmitgliedern aus den USA und Israel schlagen nun Alarm. Sie warnen davor, dass die Lev-Tahor-Mitglieder in Iran zum Spielball der Politik und im schlimmsten Fall zu Geiseln werden könnten.

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