Krieg in Nahost:Was wird aus den Geiseln?

Lesezeit: 3 min

224 Lichtsäulen und Lampen sowie Bilder der Entführten hat die Stadtverwaltung von Jerusalem als Mahnmal aufgestellt. (Foto: AHMAD GHARABLI/AFP)

Mehr als 200 Entführte befinden sich in Gaza. Angehörige demonstrieren für ihre Freilassung, doch die Hamas stellt Bedingungen, die Israel bislang strikt ablehnt. Wo könnten die Geiseln sein, wie werden sie behandelt und wie reagiert Israel? Antworten auf die wichtigsten Fragen zum Geiseldrama.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Tel Aviv

Wie viele Geiseln gibt es?

Die israelische Armee hat am Donnerstag die Zahl nach oben korrigiert. 224 Geiseln befinden sich in der Gewalt der Terrororganisation Hamas. Die jüngste Geisel ist neun Monate alt, es gibt auch mehrere, die über 80 Jahre alt sind. Nach Angaben der Hamas wurden etwa 50 Geiseln bei israelischen Luftangriffen getötet - eine Angabe, die sich nicht überprüfen lässt.

Woher kommen die Geiseln?

Die meisten der Verschleppten kommen aus Israel, viele haben aber auch noch einen ausländischen Pass. Nach Angaben der israelischen Regierung trifft dies auf 138 Geiseln zu - also auf mehr als die Hälfte der Entführten. Damit sind Bürgerinnen und Bürger aus 25 Staaten betroffen, darunter laut diesen offiziellen Angaben zwölf Deutsche. Die Angehörigen von Geiseln, die vor der deutschen Botschaft in Tel Aviv demonstrieren, sprechen jedoch von 14 mit deutschem Pass. Es gelten aber noch Dutzende Menschen als vermisst.

Keinen israelischen Pass haben die thailändischen Arbeitsmigranten, von denen 54 verschleppt wurden - die größte Gruppe. Die Hamas hält auch fünf Nepalesen und je einen Staatsbürger aus China und Sri Lanka sowie zwei von den Philippinen und aus Tansania fest. Außerdem sind 15 Argentinier, zwölf mit US-amerikanischer und je sechs mit französischer und mit russischer Staatsbürgerschaft in Geiselhaft.

Wo befinden sich die Geiseln?

Ihr genauer Aufenthaltsort ist unbekannt. Hamas-Sprecher Abu Obeida teilte auf dem Messenger-Dienst Telegram mit, "Dutzende Geiseln" seien "an einen sicheren Ort und in die Tunnel" gebracht worden. Nach Aussagen von einer der vier bisher freigelassenen Geiseln wurde auch sie im unterirdische Tunnelsystem im Gazastreifen versteckt. Yocheved Lifshitz beschreibt es als "Spinnennetz", es habe im Untergrund auch "große Hallen" gegeben, in denen sich Dutzende Geiseln aufhielten.

Wie werden die Geiseln behandelt?

Bisher kann man sich nur auf die Aussage der freigelassenen Geisel Yocheved Lifshitz beziehen. Demnach hätten sie zwei Männer auf einem Motorrad verschleppt, einer habe sie während der Fahrt in den Gazastreifen mehrfach auf die Rippen geschlagen, berichtete die 85-Jährige. Sie hätten ihr Uhr und Schmuck abgenommen. Den restlichen Weg zum Tunnelsystem der Hamas, "einige Kilometer", habe sie zu Fuß zurücklegen müssen.

In Gefangenschaft im Gazastreifen sei sie gut versorgt worden, Essen und Trinken habe man mit den Hamas-Kämpfern geteilt. Die Entführer hätten sich darum bemüht, den Ort sauber zu halten. Alle zwei, drei Tage habe ein Arzt nach ihnen geschaut. Ein verletzter Mann habe Antibiotika und Medikamente bekommen. Die Hamas veröffentlichte ein Video, auf dem die israelisch-französische Geisel Mia Schem zu sehen ist, wie die 21-Jährige wegen einer Verletzung am Arm medizinisch behandelt wird.

Wie reagiert Israel?

Angehörige von Geiseln werfen der Regierung von Benjamin Netanjahu vor, zu wenig zu unternehmen, um die Geiseln zu befreien. Sie halten Demonstrationen und Mahnwachen ab. Die Regierung setzte Gal Hirsch, einen früheren General, als Koordinator ein, der sich um die Angehörigen von Geiseln und Vermissten kümmern soll. Es wurde auch ein Zentrum eingerichtet, in dem Vermisste gemeldet und DNA-Proben abgegeben werden können. Das US-Verteidigungsministerium hat außerdem eine kleinere Gruppe von Spezialisten nach Israel geschickt, die bei der Lokalisierung und möglichen Befreiung von Geiseln unterstützen sollen.

Alle Nachrichten im Überblick
:SZ am Morgen & Abend Newsletter

Alles, was Sie heute wissen müssen: Die wichtigsten Nachrichten des Tages, zusammengefasst und eingeordnet von der SZ-Redaktion. Hier kostenlos anmelden.

Welche diplomatischen Bemühungen gibt es?

US-Präsident Joe Biden sagte, er werde "wie ein Verrückter" darum kämpfen, dass die Geiseln freikommen. Dem Vernehmen nach sollen die USA Druck auf Israel ausüben, im Gegenzug für Geiselfreilassungen mehr Hilfslieferungen in den Gazastreifen zuzulassen. Der wichtigste Verhandlungspartner ist Katar, das gute Beziehungen zur Hamas unterhält. Nach Angaben des katarischen Außenminister Al Khulaifi könnten sogar alle zivilen Geiseln freikommen. Allerdings stellt die Hamas eine Waffenruhe als Bedingung, was Israel bisher strikt ablehnt. Bei Gesprächen in Moskau wiederholten Hamas-Vertreter diese Bedingung.

Mohammed Deif, der Führer des militärischen Arms der Hamas, hat die Inhaftierung von Tausenden Palästinensern in israelischen Gefängnissen als einen Grund für die Terrorangriffe vom 7. Oktober genannt und deren Freilassung gefordert. Stand Ende Juni befanden sich 5349 Palästinenser in israelischen Gefängnissen, davon 186 aus dem Gazastreifen. Seit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober sollen israelische Sicherheitskräfte zusätzlich mehrere Hundert Palästinenser im Westjordanland festgenommen haben.

Wie haben bisherige Geiselnahmen geendet?

2006 wurde der israelische Soldat Gilad Shalit gefangen genommen und von der Hamas fünf Jahre lang als Geiseln gehalten. In die Verhandlungen über seine Freilassung waren der Bundesnachrichtendienst und die ägyptische Regierung involviert. Im Austausch für seine Freilassung wurden rund tausend Palästinenser aus israelischen Gefängnissen entlassen, darunter soll auch Mohammed Deif gewesen sein. Die Hamas hat zudem die Leichen von zwei israelischen Soldaten bislang nicht herausgegeben, die im Krieg 2014 getötet wurden.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusIsrael
:Der Wert eines Lebens

In der Kaplan Straße in Tel Aviv zeigt sich ein neuer Riss, der seit den Anschlägen durch die israelische Gesellschaft geht: Die einen flehen um das Leben ihrer verschleppten Angehörigen, die anderen fordern die Vernichtung der Hamas, koste es, was es wolle.

Von Tomas Avenarius und Peter Münch

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: