Westjordanland:Israel beendet Militäreinsatz in Dschenin - und fliegt Luftangriffe auf Gaza

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Ein Konvoi von Armeefahrzeugen ist während des israelischen Militäreinsatzes in Dschenin zu sehen. (Foto: Majdi Mohammed/dpa)

Nach blutigen Kämpfen hat sich das Militär aus der palästinensischen Stadt zurückgezogen. Es folgen neue Raketenangriffe aus dem Gazastreifen - und prompte Vergeltung. Beobachter kritisieren den Einsatz als Teil einer Gewaltspirale.

Israels Militär hat seinen großen und umstrittenen Militäreinsatz im Westjordanland beendet. Alle Soldaten seien aus der Stadt Dschenin abgezogen, das Militär werde sich nun wieder seinen "Routineaktivitäten" im Westjordanland widmen, erklärte die Armee am Mittwoch. Viele Einwohner Dschenins würden nun in ihre Häuser zurückkehren. Der Zivilschutz suche nach explosiven Überresten des Einsatzes und überprüfe Häuser und Straßen auf Schäden, berichtete die palästinensische Nachrichtenagentur Wafa.

Weil nach Angaben des israelischen Militärs "terroristische Infrastruktur" zerstört wurde, wertet Israel den Einsatz als Erfolg. Mehr als 300 Verdächtige seien festgenommen worden. Der "Kampf gegen den Terror" sei allerdings noch nicht vorbei. Es war der größte Militäreinsatz im besetzten Westjordanland seit zwei Jahrzehnten. Auf israelischer Seite kam ein Soldat ums Leben, auf der Gegenseite wurden mindestens zwölf Palästinenser getötet und mehr als 100 verletzt.

In Dschenin werden die Toten beerdigt

Am Mittwoch versammelten sich in Dschenin Tausende Menschen zur Beisetzung mehrere Palästinenser, die während des Einsatzes getötet wurden. Die Palästinensische Autonomiebehörde begann unterdessen damit, in dem Ort Trümmer zu beseitigen und beschädigte Strom- und Wasserleitungen zu reparieren. Wegen der zerstörten Infrastruktur fehle es vor allem an Trinkwasser. Die die humanitäre Lage in der Stadt und im Camp sei deshalb kritisch, schreiben die Vereinten Nationen.

Menschen stehen am 5. Juli zwischen Trümmern auf der Straße vor einer Moschee in Dschenin. (Foto: Ahmad Gharabli/AFP)

Beobachter bezweifeln, dass der jüngste Militäreinsatz in Dschenin zu einer dauerhaften Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts beiträgt. Dank des Einsatzes konnten zwar einzelne Kämpfer ausgeschaltet werden, sagte Tamir Hajman, Leiter des Instituts für Nationale Sicherheitsstudien an der Universität Tel Aviv. "Aber nur die politische Aktion wird langfristig für Stabilität sorgen."

Die Vereinten Nationen kritisierten den Militäreinsatz, insbesondere die Luftschläge auf dichtbesiedelte Stadtgebiete. Als Besatzungsmacht müsse sich Israel an internationales Recht halten und sicherstellen, dass tödliche Gewalt durch Polizei und Armee nur im absolut notwendigen Maße eingesetzt werde. Israel sei außerdem verpflichtet, Zivilisten zu schützen.

Fünf Raketen wurden aus dem Gazastreifen abgefeuert - es folgt Vergeltung

Als Vergeltung für den Militäreinsatz in Dschenin flogen in der Nacht auf Mittwoch erstmals seit Mai wieder Raketen aus Gaza Richtung Israel. Sie wurden nach Angaben der Streitkräfte abgefangen. Zu den Angriffen bekannte sich zunächst niemand. Israels Armee reagierte mit Luftangriffen auf das abgeschottete Küstengebiet. Zuvor war der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern durch einen Anschlag auf Zivilisten in Tel Aviv zusätzlich befeuert worden. Ein palästinensischer Attentäter verletzte dort am Dienstag sieben Menschen an einer Bushaltestelle.

Israelischen Medienberichten zufolge soll eine der Verletzten ihr ungeborenes Kind nach dem Angriff verloren haben. Die Hamas sprach nach der Attacke von einer "ersten Reaktion" auf die Geschehnisse in Dschenin. Demnach war der Angreifer ein Mitglied der Palästinenserorganisation. Die Ereignisse zeigten "Gewalt führt nur zu mehr Gewalt", sagte Volker Türk - Hoher Kommissar für Menschenrechte bei den Vereinten Nationen - in einem Statement.

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Israels Armee war am Montag nach vorbereitenden Luftangriffen mit etwa tausend Soldaten in die Stadt Dschenin eingerückt. Dort lieferten sie sich heftige Schusswechsel mit bewaffneten Palästinensern. Die Militäroperation - eine der größten im Westjordanland seit Jahrzehnten - hatte laut Armee zum Ziel, "terroristische Infrastruktur" in der Hochburg militanter Islamisten zu zerschlagen.

Am späten Dienstagabend begann die Armee dann mit dem Abzug aus dem dichtbesiedelten Gebiet, wo etwa 50 000 Menschen leben - ein Drittel davon in einem Flüchtlingslager, das die Armee wie ganz Dschenin als Rückzugsgebiet für palästinensische "Terroristen" betrachtet. Während bereits erste Soldaten die Stadt verließen, soll es palästinensischen Berichten zufolge zu heftigen Feuergefechten zwischen der Armee und bewaffneten Bewohnern gekommen sein sowie zu mehreren Explosionen. Nach Angaben des Militärs wurde ein Soldat im Kampf getötet.

Netanjahu: "Wir werden so lange wie nötig weitermachen"

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu machte am Dienstagnachmittag deutlich, die Aktion in Dschenin sei "kein einmaliger Vorgang, wir werden so lange wie nötig weitermachen". Verteidigungsminister Yoav Gallant sagte, Dschenin sei in den vergangenen zwei Jahren zu einer Brutstätte für Terrorismus geworden - das sei nun vorbei. In den vergangenen Jahren hatten mehrere Bewohner der Stadt Anschläge auf Israelis verübt.

Die Sicherheitslage in Israel und in den Palästinensischen Gebieten ist seit Langem angespannt, zuletzt nahm die Gewalt aber weiter zu. Seit Benjamin Netanjahus neue, teilweise rechtsextreme Regierung im Amt ist, hat sie die Rhetorik gegenüber der palästinensischen Seite verschärft und zeigt wenig Interesse, den Konflikt politisch zu entschärfen - im Gegenteil. Auch den Siedlungsbau im Westjordanland will sie massiv ausweiten.

Während Palästinenser immer wieder Anschläge auf Siedlungen oder israelische Soldaten verübten, griffen radikale israelische Siedler zuletzt vermehrt palästinensische Dörfer an und setzten Häuser und Ladengeschäfte in Brand. Seit Beginn des Jahres wurden mehr als 140 Palästinenser bei gewaltsamen Zusammenstößen, israelischen Militäreinsätzen oder nach eigenen Anschlägen getötet. Im gleichen Zeitraum kamen mehr als zwei Dutzend Menschen bei Anschlägen von Palästinensern ums Leben.

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