Imame in Deutschland:Austausch der Vorbeter

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Freitagsgebet in einer Moschee. "Wir brauchen Prediger, die unsere Sprache sprechen, unser Land kennen und für unsere Werte eintreten", erklärt Nancy Faeser. (Foto: Ole Spata/DPA)

Rund 1000 vom türkischen Staat entsandte Imame predigen in deutschen Moscheen. Eine problematische Praxis, die Innenministerin Faeser abstellen will. Doch wie sollen die Geistlichen ersetzt werden?

Von Constanze von Bullion, Berlin

Es wird eine Ablösung in kleinen Schritten. Die Bundesregierung will die Zahl von Imamen verringern, die in der Türkei ausgebildet wurden und in deutschen Moscheen predigen. Nach monatelangen Verhandlungen hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) mit der türkischen Religionsbehörde Diyanet und dem Moscheeverband der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib) eine entsprechende Vereinbarung unterzeichnet. Geplant ist, jedes Jahr 100 islamische Geistliche in Deutschland auszubilden und mit ihnen Geistliche aus der Türkei zu ersetzen.

"Wir brauchen Prediger, die unsere Sprache sprechen, unser Land kennen und für unsere Werte eintreten", erklärte Innenministerin Faeser am Donnerstag. "Wir wollen, dass Imame sich in den Dialog zwischen den Religionen einbringen und Glaubensfragen in unserer Gesellschaft diskutieren." Die Vereinbarung sei ein "Meilenstein für die Integration und die Teilhabe muslimischer Gemeinden in Deutschland".

In den Moscheen sollen Imame das Wort führen, die in Deutschland ausgebildet wurden

Keine Hassbotschaften und weniger türkischer Nationalismus in Deutschlands Moscheen, verlässliche Vermittlung demokratischer Werte im religiösen Raum, dazu etwas mehr Einblick in muslimische Gemeinden - so kann zusammengefasst werden, was Faeser in zähen Verhandlungen mit der türkischen Religionsbehörde Diyanet erreichen wollte. 1000 Imame sind derzeit in Deutschland tätig, die von der Regierungsbehörde in die Bundesrepublik entsandt wurden, für jeweils vier Jahre und als türkische Staatsbeamte. Die Verflechtung der Geistlichen mit der autoritären Regierung des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdoğan gilt seit Langem als problematisch.

Nun also sollen eigenständige Strukturen her, auch in den Köpfen. Nach und nach sollen mehr in Deutschland ausgebildete Imame in deutschen Moscheen das Wort führen und die in der Türkei sozialisierten Prediger ersetzen. Ganz einfach wird das nicht, die Entflechtung wird Jahre dauern. Denn wegen der gebotenen Trennung von Staat und Kirche muss die Bundesregierung die Ausbildung von Geistlichen den jeweiligen Religionsgemeinschaften überlassen.

Zudem sind viele muslimische Gemeinden knapp bei Kasse, ein Finanzierungssystem wie die Kirchensteuer gibt es nicht. Die eigenständige Bestellung von Imamen ist daher oft unmöglich, auch organisatorisch. Es bleibt also bei der Abhängigkeit von Deutschlands größtem Moscheeverband, der Ditib, zu der rund 950 der insgesamt 2600 Moscheen in Deutschland gehören. Ditib wiederum steht der staatlichen türkischen Religionsbehörde Diyanet nahe - auch wenn der Verband in Deutschland als eigenständiger Verein eingetragen ist und es stets von sich gewiesen hat, verlängerter Arm der Regierung Erdoğan zu sein.

Der Moscheeverband, das weiß auch Nancy Faeser, gilt politisch nur bedingt als vertrauenswürdig und vielen als problematisch. In der Frage der Bestellung von Imamen aber bleibt Ditib Gesprächspartner der Bundesregierung. Denn es gibt zwar inzwischen auch in Deutschland ausgebildete Imame. So hat zum Beispiel am Islamkolleg Deutschland in Osnabrück, das von der Bundesregierung finanziell unterstützt wird, 2022 der erste Jahrgang eine zweijährige Predigerausbildung absolviert, nach einem Studium der Islamischen Theologie. 35 weitere Frauen und Männer befinden sich noch in Ausbildung.

Faeser will in der Türkei Menschen mit Theologiestudium anwerben

Faesers Ziel allerdings, jedes Jahr 100 Geistliche in Deutschland auszubilden, ist damit längst nicht erreicht. Die Bundesregierung will das Ausbildungsprogramm im Islamkolleg Osnabrück deshalb verstärken, mit 500 000 Euro im Jahr. Geplant ist eine Kooperation mit der Ditib, die etwa 25 Imame im Jahr in ihrer Akademie in Nordrhein-Westfalen qualifizieren will. Aber auch in der Türkei will Faeser Menschen mit Theologiestudium anwerben lassen, damit sie ihre Zusatzausbildung als Imam in Deutschland antreten - bis irgendwann kein Prediger aus der Türkei mehr gebraucht wird. Die Fachaufsicht für diese Übergangsphase soll bis Sommer 2024 von der türkischen Religionsbehörde Diyanet auf den deutschen Moscheeverband Ditib übergehen, immerhin ein Verein, der deutschen Gesetzen untersteht. Ditib wird damit auch für die Kontrolle der Lerninhalte verantwortlich.

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Letzteres stieß am Donnerstag auf Kritik. Lamya Kaddor, innenpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, fordert seil Langem, den Einfluss von Predigern aus der Türkei zu stoppen. Die geplante Ausbildungsreform sei ein "erster wichtiger Schritt", erklärte sie. Inwiefern die Ditib die Fachaufsicht bei der Ausbildung übernehmen könne, bleibe "allerdings abzuwarten". Ziel bleibe es, so Kaddor, auch "liberale, progressive Kräfte des Islams in Deutschland" als Partner anzuerkennen und zu fördern.

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